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Freistetters Formelwelt: Zeitverschwendung auf hohem Niveau?

Leben wir alle nur in einem Computer? Kanadische Forscher wollten es ausrechnen. Das Ergebnis ist allerdings nicht allzu aufschlussreich.
Ein stilisiertes Gehirn zwischen Schaltkreisen und Nullen und Einsen.

Mathematik kann viel; daran besteht kein Zweifel. Wir nutzen sie, um das Universum und alles darin zu beschreiben und zu verstehen. Sie ist die Sprache der Natur und oft die einzige Sprache überhaupt, in der wir bestimmte Phänomene formulieren können. Aber vielleicht ist die Mathematik noch viel mehr? Vielleicht ist sie alles, was ist. So lautet der Kern der so genannten Simulationshypothese: Die Naturgesetze, die beschreiben, wie alle Dinge im Universum ablaufen, sind mathematische Gesetze. Wir können sie benutzen, um alle möglichen realen Vorgänge im Computer zu simulieren. Wäre es da nicht auch möglich, dass der gesamte Kosmos selbst nur eine Simulation ist?

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Wie wahrscheinlich ist es, dass wir alle keine »realen« Lebewesen sind, sondern nur komplizierte Programme in einer simulierten Welt? Das wollten zwei kanadische Computerwissenschaftler wissen und haben dafür diese Formel aufgestellt:

Von allen Bewusstseinen, die existieren (real und simuliert), ist fSim der Anteil derer, die nur im Computer existieren. Er berechnet sich aus fCiv, der Anzahl an Individuen, die überhaupt die Möglichkeit haben, ausreichend komplexe Simulationen für so ein Vorhaben durchzuführen. Mit fDed wird der Anteil davon beschrieben, der dann auch tatsächlich virtuelle Bewusstseine simuliert. Und RCal ist die Menge an Bewusstseinen, die mit den zur Verfügung stehenden Mitteln simuliert werden kann. Diese Zahl ist, so die beiden Kanadier, sehr groß. Wenn man schon Universen simuliert, dann geht das nur mit Quantencomputern, und man muss dazu irgendwie fast die gesamte in einem Stück Materie steckende Energie in Rechenleistung umwandeln. Dann aber kann man schon mit vergleichsweise wenig Materie enorm viele Bewusstseine simulieren.

Eins oder null?

Betrachtet man die mathematische Struktur der Formel, fällt eines sofort auf: Wenn RCal zwingend eine so große Zahl sein muss, ist das Produkt von fCiv und fDed dagegen natürlich sehr klein. FSim wird also entweder annähernd gleich eins sein. Was bedeutet, das so gut wie alle Bewusstseine simuliert sind. Oder aber es wird praktisch null, es sind also so gut wie gar keine Bewusstseine bloß simuliert – nämlich dann wenn fCiv oder fDed verschwindend kleine Zahlen nahe an null sind.

Bis jetzt klingt das alles eher nach Zeitverschwendung auf hohem Niveau. Denn dass wir entweder simuliert sind oder eben nicht, war auch vor der mathematischen Behandlung trivialerweise klar. Das Problem an der Sache liegt an allem, was wir nicht wissen. Wir haben keine Ahnung, ob man ein echtes Bewusstsein tatsächlich in einem Computer simulieren kann. Das wird bei all dem immer implizit vorausgesetzt, ist aber bei Weitem nicht sicher. Außerdem haben wir keine Ahnung, ob so eine Simulation, sofern sie möglich ist, auch tatsächlich probiert wird. Immerhin stellen sich bei der Erschaffung eines kompletten Universums voller bewusster, wenn auch simulierter Lebewesen ja doch einige ethische Fragen.

Die beiden kanadischen Forscher haben die Formel noch ein wenig verfeinert, um die Möglichkeit abzudecken, dass auch simulierte Wesen selbst wieder eigene Simulationen schaffen können. Und schätzen am Ende daraus ab, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass wir Teil einer Simulation sind.

Am Ende hat die ganze Simulationshypothese aber wenig mit echter Wissenschaft zu tun. Wir haben zu wenig Ahnung davon, um vernünftige Thesen aufstellen und beurteilen zu können. Man kann davon fasziniert sein und daran glauben – immerhin setzt sie ja »Schöpfer« voraus. Aber es gibt weder irgendwelche konkreten wissenschaftlichen Belege dafür, dass sie korrekt sein könnte, noch brauchbare Gründe, sie überhaupt ins Feld zu führen. Ich persönlich halte die Beschäftigung damit tatsächlich für Zeitverschwendung auf hohem Niveau. Aber vielleicht hat der Algorithmus mir ja auch nur vorgegeben, genau das zu denken …

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