Freistetters Formelwelt: Mathematische Probleme als Neujahrsvorsatz?
Vor mehr als 200 Jahren stellte der französische Mathematiker Adrien-Marie Legendre eine Vermutung über Primzahlen auf, die sich in dieser Formel zusammenfassen lässt:
Die Formel lässt sich leicht in verständliche Sprache übersetzen: Für jede natürliche Zahl n existiert mindestens eine Primzahl p, so dass p zwischen n2 und (n+1)2 liegt. Für n=1 ist leicht zu sehen, dass die Vermutung korrekt ist: Zwischen 1 und 4 liegen die Primzahlen 2 und 3. Für n=2 findet man zwischen 4 und 9 ebenfalls zwei Primzahlen (5 und 7). Numerisch hat man die Vermutung von Legendre für jede Menge weitere natürliche Zahlen überprüft und bestätigt. Aber sie soll für alle natürlichen Zahlen gelten, und dieser allgemeine Beweis steht immer noch aus.
1912 hat der deutsche Mathematiker Edmund Landau auf dem Internationalen Mathematikerkongress in Cambridge vier Probleme zu Primzahlen benannt, die seiner Meinung nach außerhalb der damaligen Möglichkeiten der Mathematik lagen. Jede der vier Fragen war leicht zu formulieren. Zum Beispiel: Gibt es unendlich viele Primzahlen p, die sich in der Form p=n2+1 darstellen lassen? Oder: Ist jede gerade Zahl (größer als 2) die Summe zweier Primzahlen? Oder: Gibt es unendlich viele Primzahlen p, für die auch p+2 eine Primzahl ist? Diese drei Fragen – die letzten beiden sind als »Goldbach-Vermutung« und »Primzahlzwillings-Vermutung« bekannt – sind heute immer noch unbeantwortet. Ebenso wie die Legendre-Vermutung, die das vierte der so genannten »Landau-Probleme« darstellt.
Interessanterweise konnte der britische Mathematiker Albert Ingham in den 1930er Jahren beweisen, dass für jede ausreichend große natürliche Zahl n mindestens eine Primzahl p existiert, die zwischen n3 und (n+1)3 liegt. Was für die Kubikzahlen also schon lange klar ist, ist bei den Quadratzahlen immer noch unbeantwortet.
Ein allgemeiner Beweis der legendreschen Vermutung würde nicht nur die Neugier der Mathematikerinnen und Mathematiker befriedigen, sondern auch das Verständnis der Primzahlen selbst deutlich erweitern. Diese fundamentale Gruppe der Zahlen stellt uns bislang vor jede Menge Rätsel. Wir kennen immer noch keine allgemeine Regeln, die ihr Auftreten erklären. Wäre aber die Vermutung von Legendre korrekt, dann wäre zumindest schon einmal sichergestellt, dass die Abstände zwischen zwei Primzahlen nicht beliebig groß werden können. Der Abstand zwischen einer Primzahl p und der nächstgrößeren Primzahl könnte immer nur höchstens der Größenordnung der Wurzel aus p entsprechen. Und auch die berühmte riemannsche Vermutung würde durch einen Beweis von Legendres Formel deutlich an Glaubwürdigkeit gewinnen.
Am nächsten kam bis jetzt der Chinese Chen Jingrun einem Beweis: Er konnte zeigen, dass sich zwischen n2 und (n+1)2 entweder eine Primzahl p oder aber eine so genannte Fastprimzahl pq befindet, also eine Zahl, die als Produkt von zwei unterschiedlichen Primzahlen p und q geschrieben werden kann.
Es ist unwahrscheinlich, dass gerade 2019 das Jahr werden wird, in dem diese seit langer Zeit offene Frage der Mathematik eine definitive Antwort finden wird. Aber genau so, wie wir uns jedes Jahr zu Silvester erneut vornehmen, jetzt aber endlich und wirklich ein gesundes Leben zu führen, mit mehr Sport, weniger Essen, und so weiter: Genau so werden auch die Mathematikerinnen und Mathematiker nicht aufhören, nach Beweisen für die ungelösten Probleme ihrer Disziplin zu suchen.
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