Freistetters Formelwelt: Die Supervulkan-Formel
Es ist absolut verständlich, dass wir Menschen in früherer Zeit Vulkane als Gottheiten verehrt oder sie mit Göttern assoziiert haben. Vulkanismus ist einerseits notwendig, um die Erde lebensfreundlich zu machen. Die tektonische Aktivität treibt grundlegende geologische Kreisläufe an, die unter anderem die Menge an Kohlenstoff regulieren und für die Bewohnbarkeit unseres Planeten von großer Bedeutung sind. Andererseits kommt es dadurch zwangsläufig immer wieder zu verheerenden Vulkanausbrüchen. In der Geschichte der Menschheit gehören sie zu den größten Katastrophen, die uns widerfahren sind. Wenn man nicht weiß, was es mit diesen Feuer, Tod und Verderben speienden Bergen auf sich hat, kann man kaum anders, als übernatürliche Wesenheiten dafür verantwortlich zu machen.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.
Mittlerweile verstehen wir die Vorgänge im Inneren der Erde jedoch recht gut, und die Wissenschaft hat die Zerstörungskraft der Vulkane in Formeln gefasst:
Der »Volcanic Explosivity Index« (VEI) ist eine Kennzahl, die die Stärke eines explosiven Vulkanausbruchs angibt. Sie wurde 1982 von den amerikanischen Geologen Christopher Newhall und Stephen Self definiert. Im Wesentlichen basiert sie auf der Menge an ausgeworfenem Material, und es handelt sich um eine logarithmische Skala. Ein Ausbruch mit einem VEI von 3 ist also zehnmal stärker als einer mit einem Index von 2. Die Skala ist prinzipiell nach oben hin offen; bis jetzt sind aber keine Eruptionen bekannt, die stärker als Stufe 8 waren.
Was allerdings durchaus schon ausreichend katastrophal ist; bei einem VEI von 8 – manchmal auch schon bei 7 – spricht man von »Supervulkanismus«. Solche Ereignisse sind durchaus in der Lage, die Erde in ihrer Gesamtheit zu beeinflussen. So wird etwa der Ausbruch des Tambora im Jahr 1815, der das berühmte »Jahr ohne Sommer« zur Folge hatte, heute mit einem VEI der Stärke 7 klassifiziert. Der Toba-Ausbruch vor knapp 74 000 Jahren hatte einen VEI von 8 – möglicherweise ist die Menschheit damals nur knapp ihrer Auslöschung entgangen.
Die größten Eruptionen
Die gewaltigen Mengen an Asche und Schwefel, die der Ausbruch in die Atmosphäre geschleudert hat, haben die Durchschnittstemperatur der Erde auf Jahre hinweg um bis zu fünf Grad gesenkt. Eine – nicht unumstrittene – Hypothese geht davon aus, dass die damals lebende Homo-sapiens-Population auf wenige tausend Exemplare reduziert wurde und nur knapp nicht gänzlich ausstarb.
Laut der ursprünglichen Definition von Newhall und Self wird der VEI durch Messungen des Auswurfmaterials bestimmt; man kann aber auch die Höhe der Eruptionssäule Hc dazu heranziehen, wie amerikanische Geophysikerinnen und Geophysiker 2018 zeigten. Sie haben die oben dargestellte Formel empirisch abgeleitet, mit der der VEI direkt aus der Höhe der Eruptionssäule zu berechnen ist. Das hat den Vorteil, dass sich die Stärke eines Ausbruchs quasi in Echtzeit aus Beobachtungsdaten bestimmen lässt.
Der medial sehr präsente Ausbruch des Cumbre Vieja auf der kanarischen Insel La Palma im Herbst 2021 hat übrigens »nur« einen VEI von 2. Aus menschlicher Sicht kommt es allerdings nicht bloß auf die reine Stärke der Eruption an, sondern auch auf die betroffene Bevölkerung. Deswegen wurde der »Population Exposure Index« (PEI) entwickelt. Er berücksichtigt die Anzahl der Menschen, die von einem Ausbruch (in Abhängigkeit von der Entfernung zum Vulkan) betroffen sind. Hier erreicht die Eruption auf La Palma immerhin Stufe 4 von 7.
Vulkanausbrüche mit einem VEI von 2 sind vergleichsweise häufig, so etwas gibt es alle paar Wochen auf der Erde; meistens jedoch in abgelegenen Gebieten, wo keine Menschen betroffen sind (damit sind sie für die Massenmedien uninteressant). Die wirklich großen Supervulkan-Eruptionen sind zum Glück selten. Mit Ereignissen, die einen VEI von 8 haben, muss man statistisch nur zirka alle 50 000 Jahre rechnen. Aber was weiß ein Vulkan schon von Statistik?
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben