Freistetters Formelwelt: Von Formeln und Vögeln
In diesem Winter habe ich die Freude an der Vogelbeobachtung entdeckt. Am Futterhäuschen in meinem Garten treffen regelmäßig Amseln, Rotkehlchen, Kleiber und Meisen ein. Und diverse andere Vögel, die zuverlässig zu erkennen mir noch das nötige Wissen fehlt. Was aber egal ist, denn es macht einfach enorm viel Spaß und ist auf eine seltsame Art sehr beruhigend, den Tieren dabei zuzusehen, wie sie ihre Vogeldinge tun.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.
Mathematisch haben die Vögel natürlich einiges zu bieten. Schwarmverhalten, Form und Aussehen von Federn, Flugtechniken: All das kann durch entsprechende Gleichungen beschrieben werden. Meine Lieblingsformel zu diesem Thema ist diese hier:
Zugegeben, es ist keine echte Formel. Was hier steht, sind Ausdrücke für vier Zahlen, angeordnet in zwei Paaren. Lässt man den Index i von 1 bis 500 laufen und zieht 500 entsprechende Linien vom Punkt, der durch das Zahlenpaar in der ersten Zeile definiert wird, zum Punkt in der zweiten Zeile, dann erhält man ein Bild, das durchaus ein wenig wie ein fliegender Vogel aussieht.
Entdeckt hat das der iranische Mathematiker und Künstler Hamid Naderi Yeganeh. Seine Kunstwerke können alle komplett durch mathematische Ausdrücke beschrieben werden; er sucht nach Formeln und Konzepten, mit denen sich Objekte aus der realen Welt mathematisch darstellen lassen. Das Bild, das aus dem Ausdruck oben entsteht, heißt »A Bird in Flight« und stammt aus dem Jahr 2015. Yeganeh hat wesentlich naturgetreuere Vogelbilder geschaffen. Zum Beispiel 2016, durch die Überlagerung von 10 000 Kreisen, deren formelhafte Darstellung den Rahmen dieser Kolumne sprengen würde.
Duell der Lüfte
Man muss aber gar nicht so tief in die Gleichungen eintauchen, wie Yeganeh es getan hat, um sich wissenschaftlich mit den Vögeln zu beschäftigen. Es reicht das simpelste Konzept der Mathematik: zählen. Jedes Jahr veranstaltet der NABU Vogelzählungen, bei denen alle Menschen aufgerufen sind, während eines vorgegebenen Zeitraums eine Stunde lang alle Vögel zu zählen, die im Garten, am Balkon oder sonst einem konkreten Platz auftauchen.
Bei diesem Citizen-Science-Projekt werden Daten aus ganz Deutschland gesammelt – und andere Länder veranstalten ähnliche Aktionen, um einen Überblick über die Vogelpopulation zu gewinnen. Bei der »Stunde der Wintervögel 2021« zeigte sich etwa ein Rekordergebnis bei den Sichtungen von Spatzen. Grünfinken dagegen wurden überraschend selten gemeldet, was darauf hindeuten könnte, dass diese Tiere im Sommer von Parasiten geplagt worden sind oder nicht genug Futter finden können.
Die Wahl zum »Vogel des Jahres« schreitet derweil fort. Nachdem in einer Vorwahl aus 307 Arten zehn Finalisten bestimmt wurden, muss der Sieger in einer Stichwahl gekürt werden. Die Abstimmung findet erstmals öffentlich statt, und die Emotionen wallen hoch. Die erste Wahl konnte die Stadttaube mit deutlichem Vorsprung gewinnen, was besonders die Fans des Goldregenpfeifers (nur auf Platz 5) aufregt. Angeführt vom Schriftsteller Saša Stanišić, nicht nur Träger des Deutschen Buchpreises, sondern auch Gründer der »Goldregenpfeifer-Ultras«, werden Stimmen gesammelt, um den streng geschützten Vogel auf Platz 1 zu bringen.
In meinem Garten tummeln sich weder Stadttauben noch Goldregenpfeifer. Die ich sowieso beide nicht wählen würde; mein Favorit ist die Blaumeise! Die Meisen sind die besten Vögel. Unter anderem, weil es Forscherinnen und Forschern der University of Sheffield im August 2020 gelungen ist, das Siedlungsverhalten der Schwanzmeise durch ein sehr elegantes System von Differenzialgleichungen zu beschreiben, das auf der Arbeit des Informatikpioniers Alan Turing basiert.
Wählt die Meise!
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