Freistetters Formelwelt: Wo die Grenzen des Wachstums liegen
Die 1972 veröffentlichte Studie »Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit« hat nachhaltig Aufsehen erregt. Der Inhalt basiert auf Mathematik, von der im Buch selbst aber kaum etwas zu finden ist. Die einzige Formel findet man in einer Fußnote auf Seite 60 der englischsprachigen Originalausgabe:
Die kompletten mathematischen Grundlagen der Studie zu veröffentlichen, wäre vermutlich kontraproduktiv gewesen. Immerhin haben die Autoren nichts weniger versucht, als die Zukunft der Welt vorherzusagen. Dazu haben sie sich eines Computermodells bedient, das unter Leitung des amerikanischen Ökonomen Dennis Meadows auf der Basis der Arbeit des Informatikers Jay Wright Forrester entwickelt wurde.
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Damit sollte vorhergesagt werden, wie sich Bevölkerung, Nahrungsmittelproduktion, Industrialisierung, Umweltverschmutzung und der Ressourcenverbrauch im Lauf der nächsten knapp 100 Jahren verändern. Die konkrete Modellierung war aber deutlich komplexer, da diese Parameter nicht nur alle voneinander abhängen, sondern auch für sich allein genommen schwierig darzustellen sind. Die obigen Formel demonstriert das.
Angenommen, in meiner Schreibtischschublade läge eine Tüte mit 50 Bonbons – was ich natürlich dementiere – und angenommen, ich esse jeden Tag neben der Arbeit fünf Stück davon. Wie lange reicht mein Vorrat dann noch? Die Antwort liegt nahe (so wie das Ende meiner Bonbons): zehn Tage. Aber das gilt nur, wenn mein Konsum über diesen Zeitraum konstant bleibt. Vielleicht muss ich in Zukunft noch mehr Texte über komplexe mathematische Simulationen schreiben und benötige dafür deutlich mehr Unterstützung durch Süßwaren als bisher? Dann ist die Tüte schon viel früher leer, und ich versäume die Abgabefrist.
Mal wieder die Exponentialfunktion
Vor dem gleichen Problem, nur in einer sehr viel ernsteren Situation, standen die Autoren der Studie. Um zu berechnen, wie viele Jahre ein bestimmter Rohstoff noch zur Verfügung steht, reicht es nicht, die Menge der aktuell bekannten Vorräte durch die derzeitige Rate des Verbrauchs zu teilen. Das würde voraussetzen, dass der Konsum gleich bleibt und die verbrauchte Menge linear wächst.
Die Daten zeigten damals aber, dass wir Rohstoffe immer schneller aufbrauchen, was einem exponentiellen Wachstum der verbrauchten Mengen entspricht. Um zu berechnen, wie lange eine Ressource noch verfügbar ist, wurde deswegen die obige Formel verwendet. Wenn die Menge bei gleich bleibendem Verbrauch noch s Jahre reicht, die Rate des Verbrauchs aber pro Jahr um r Prozent steigt, dann reicht die Ressource tatsächlich nur noch y Jahre.
Das vollständige »World3«-Computermodell, auf dem die Studie basiert, ist deutlich umfangreicher als diese simple Gleichung. Es besteht aus hunderten Formeln, die alle auf verschiedene Weise miteinander gekoppelt sind. Aber das Modell zeigte, dass alle fünf oben genannten relevanten Parameter wuchsen. Während Wachstum bei der Nahrungsmittelproduktion nicht tragisch ist, ist es das bei der Umweltverschmutzung aber durchaus. Und am Ende der Simulation stand das, was der Studie den Titel gab: Die Grenzen des Wachstums. Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann ist in 100 Jahren Schluss.
Diese Feststellung hat viel Aufsehen erregt, und die Studie wurde selbstverständlich kritisiert. Aber auch wenn sie tatsächlich in vielen Bereichen nur eine simple Annäherung an die komplexe Realität ist, bleibt die grundlegende Erkenntnis bestehen: Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Die neuen »Weltmodelle« der Klimaforschung und die immer dramatischer werdende Klimakrise zeigt das mehr als deutlich.
Die Studie endet mit den Worten: »Der Kern der Sache besteht nicht in der Frage, ob die Menschheit überleben wird, sondern vielmehr ob sie überleben kann, ohne dabei in einen Zustand wertloser Existenz zu verfallen.« Diese Frage haben wir bis jetzt noch nicht beantwortet.
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