Freistetters Formelwelt: Warum Aerosole schweben
Ein klassische, flauschig weiße Wolke am Sommerhimmel sieht federleicht aus. Dennoch kann sie durchaus Wassertropfen mit einem Gewicht von einigen dutzend Tonnen enthalten, und eine große Regenwolke noch viel mehr. Warum schwebt sie dann am Himmel und klatscht nicht einfach auf den Erdboden? Das lässt sich mit dieser Formel verstehen:
Das ist das Gesetz von Stokes (nicht zu verwechseln mit der Stokes-Gleichung). Mit dem berechnet man die Reibungskraft F, die auf einen kugelförmigen Körper mit dem Radius r wirkt, der sich in einer laminaren – also nicht turbulenten – Strömung bewegt. Mit η wird dabei die Viskosität des Mediums beschrieben, in dem sich der Körper mit der Geschwindigkeit ν bewegt.
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Ein typischer Wassertropfen in einer Wolke hat einen Radius von etwa zehn Mikrometern. Solche Aerosole können sehr lange schweben. Die Schwerkraft der Erde lässt den Tropfen zwar nach unten fallen. Die auf den Tropfen wirkende Reibungskraft wirkt der Schwerkraft jedoch entgegen, bis die Fallgeschwindigkeit im Kräftegleichgewicht konstant wird. Damit lässt sich die Sinkgeschwindigkeit des Tropfens berechnen, die abhängig von der Größe bei einigen Zentimetern pro Sekunde liegt. Die Wolke fällt also tatsächlich nach unten.
Zumindest im Prinzip, denn die Luft ist ja nie völlig unbewegt. Es gibt Aufwinde, die die langsame Sinkgeschwindigkeit einer Wolke kompensieren können, und Wolken bilden sich vor allem in aufsteigender Luft, die sich dabei ausdehnt und abkühlt. Doch wenn die Tropfen groß genug werden, fällt das Wasser aus den Wolken tatsächlich zu Boden, was wir dann als Regen erleben dürfen.
Fallende Tröpfchen und die Elementarladung
Die physikalische Beschreibung der Bewegung kleinster Partikel und Tröpfchen ist aber nicht nur von meteorologischem Interesse. Gerade in der Zeit der Covid19-Pandemie wurden diese Aerosole auch sehr intensiv öffentlich diskutiert. Die Frage nach der Ausbreitung von Viren mit der ausgeatmeten Luft hat unser Leben in den letzten Monaten massiv beeinflusst. Die Physik der Aerosole spielt jedoch auch eine wichtige Rolle, wenn wir die Klimakrise oder die Auswirkungen der Umweltverschmutzung verstehen wollen.
Schon vor mehr als 100 Jahren stand das Gesetz von Stokes im Zentrum eines heute klassischen Experiments. 1910 wollten die amerikanischen Physiker Robert Millikan und Harvey Fletcher den Wert der Elementarladung bestimmen: die Stärke der kleinstmöglichen elektrischen Ladung, die ein freies Teilchen besitzen kann. Diese Naturkonstante bestimmt die Stärke der elektromagnetischen Kraft und ist damit ein fundamental wichtiger Wert für unser Verständnis der Natur.
Um sie zu berechnen, erzeugten Millikan und Fletcher winzige Öltröpfchen. Sie beleuchteten sie so, dass sie das an ihnen gebeugte Licht in einem Mikroskop beobachten konnten. Anschließend luden sie die Tröpfchen elektrisch auf und ließen sie in einem elektrischen Feld schweben. Dafür muss man die Stärke des Felds exakt so einstellen, dass sie die auf die Tropfen wirkende Gravitationskraft kompensiert. Ist dieser Zustand erreicht, kann man aus dem Wert der elektrischen Feldstärke die Elementarladung berechnen.
Im Detail war die Durchführung des Experiments natürlich um einiges komplizierter. Aber die beiden Physiker waren erfolgreich und konnten einen für die damalige Zeit angemessen genauen Wert bestimmen. Robert Millikan erhielt dafür 1923 den Nobelpreis, Harvey Fletcher dagegen wurde nicht berücksichtigt. Die Elementarladung muss heute nicht mehr gemessen werden; nach einer Neudefinition des Coulomb, der SI-Einheit für die elektrische Ladung, wurde der Wert exakt festgelegt. Das Millikan-Experiment ist allerdings bis heute ein Klassiker geblieben. Generationen von Studierenden haben die fallenden Tröpfchen während ihres Studiums selbst beobachtet – fast so schön wie ein Blick in die Wolken.
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