Freistetters Formelwelt: Ein Tourist schmilzt 83 Tonnen Schnee
Wer auf der Suche nach exotischen Urlaubszielen ist, hat es heutzutage schwer. Einerseits gibt es kaum noch Orte auf der Erde, an die man keine Reise buchen könnte. Andererseits wird immer klarer, dass Fernreisen unserem Planeten nicht guttun.
Anfang 2022 haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersucht, wie sich Tourismus und die Anwesenheit von Menschen in der Antarktis auswirken. Ihre Arbeit dreht sich dabei um diese Formel:
Diese Gleichung abzuleiten ist nicht trivial. Sie beschreibt die Menge an Schnee (Wt), die früher als vorgesehen schmilzt, weil sich die Albedo (A) der Erde, also ihre Reflexionsfähigkeit, reduziert, und zwar durch »schwarzen Kohlenstoff«. Das ist quasi extrem feiner Ruß, der unter anderem entsteht, wenn zum Beispiel im Zusammenhang mit Tourismus fossiler Brennstoff oder andere organische Materie verbrannt wird.
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Er kann sich auf hellen Flächen ablagern, die dadurch das Sonnenlicht nicht mehr reflektieren, sondern absorbieren und sich aufwärmen. Dann berücksichtigt man noch die Bestrahlungsstärke (I) des Sonnenlichts und einen konkreten Zeitraum (d) sowie die Menge an Energie (E), die es braucht, um ein Kilogramm Schnee zu schmelzen. Zusammen mit der von schwarzem Kohlenstoff bedeckten Fläche (D) kommt man schließlich auf die oben angegebene Formel.
Ebenso interessant wie die Mathematik sind die konkreten Messungen, die die Forscher und Forscherinnen in der Antarktis angestellt haben, um herauszufinden, wie viel schwarzer Kohlenstoff den Schnee dort bedeckt. Natürlich gibt es immer ein gewisses »Hintergrundlevel« von Ruß, der von überall her durch die Luft bis auf den südlichsten Kontinent gelangt.
Es arbeiten auch Menschen in der Antarktis, im Sommer bis zu 5500, die mit ihren Aktivitäten ebenfalls schwarzen Feinstaub erzeugen. Doch darüber hinaus reisen jedes Jahr zirka 74 000 Personen aus touristischen Gründen in die Antarktis; und genau dort, wo die beliebtesten Ziele für diese Reisen sind, konnte eine überdurchschnittlich hohe Menge an schwarzem Kohlenstoff festgestellt werden.
Finger weg vom Südkontinent
Berücksichtigt man alle Messergebnisse und touristischen Zahlen, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass jeder Mensch, der die Antarktis besucht, dadurch für das verfrühte Schmelzen von rund 83 Tonnen Schnee verantwortlich ist. Insgesamt schmelzen jedes Jahr mehr als vier Megatonnen Schnee durch die touristischen Aktivitäten.
Angesichts der gewaltigen Massen von Schnee und Eis, die in der Antarktis zu finden sind, mag das wenig erscheinen. Aber der Tourismus nimmt zu, und uns sollte daran gelegen sein, den südlichen Kontinent so frei von menschlichen Einflüssen wie möglich zu halten. Als einzige große Landmasse der Erde hat dort nie dauerhaft jemand gelebt; bis zur offiziellen Entdeckung der Antarktis im Jahr 1820 war dieser Kontinent vollkommen unberührt.
Das macht ihn zu einem einzigartigen Ort für die Forschung. Insbesondere für die Klimawissenschaft, die im Eis der Antarktis ein Archiv an Daten über die klimatischen Bedingungen der Vergangenheit finden und die Auswirkungen der Klimakrise erforschen kann. Astronomie, Biologie, Meteorologie und noch viel mehr Disziplinen können an diesem abgelegenen Ort Dinge lernen, die man anderswo nicht lernen kann.
Eine Kreuzfahrt entlang der eisigen Küste; ein Flug über die gewaltigen Gletscher; langlaufen oder wandern, wo einem nicht alle zehn Meter andere Menschen begegnen: Es mag verlockend erscheinen, diesem abgelegenen Ort einen Besuch abzustatten – man kann sogar einmal im Jahr an einem Marathonlauf in der Antarktis teilnehmen. Manche spornt gerade das Wissen an, dass die Antarktis vielleicht bald nicht mehr so unberührt sein wird wie früher. Dieser »last chance tourism« – ein Begriff, der tatsächlich existiert – ist zwar ein gutes Geschäft für die Anbieter entsprechender Reisen, moralisch allerdings fragwürdig. Vielleicht sollten wir zumindest diese eine Gegend der Erde in Ruhe lassen.
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