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Freistetters Formelwelt: Game of Chaos

Warum ist der Winter in Westeros so wenig vorhersehbar? Die Astronomie weiß die Antwort: Man braucht nur ein äußerst ungewöhnliches Planetensystem. Drachen sind im Vergleich fast schon gewöhnlich.
Ballybunion Castle in Schnee und Nebel. Es ist sehr romantisch, aber wohnen möchte ich da eher nicht.

»Der Winter naht«, lautet das Motto des Adelshauses Stark, das in der Serie eine Hauptrolle spielt. Und die Obsession mit den Jahreszeiten ist verständlich. Einerseits bringt der Winter in der Welt von Game of Thrones nicht wie bei uns Schnee, Weihnachtsmärkte und schwarze Zahlen für die Skigebiete. Sondern Zombieinvasionen, Eisdrachen und eventuell sogar das Ende der Welt. Und andererseits sind die Jahreszeiten dort seltsam chaotisch. Niemand weiß, wann der Winter kommt und wie lange er dauert, wenn er einmal da ist.

Die Frage nach dem Grund für diese unregelmäßige Abfolge der Jahreszeiten hat mich beschäftigt, seit ich das erste Mal davon erfahren habe. Zum Glück habe ich bei meiner Arbeit als Astronom ein Phänomen kennen gelernt, mit dem sich alles wunderbar erklären lässt. Es geht um diese Gleichung:

Planetenbewegung im Sitnikov-System

Was man hier sieht, ist die Gleichung, die die Bewegung eines Planeten beschreibt, der sich in einem so genannten »Sitnikov-System« befindet. Das besteht aus zwei massereichen Himmelskörpern, zum Beispiel Sternen, und einem dritten Himmelskörper, dessen Masse im Vergleich zu den beiden Hauptkörpern vernachlässigbar gering ist, also etwa einem Planeten.

Die beiden Hauptkörper bewegen sich in einer Ebene unter ihrem gegenseitigen Gravitationseinfluss um ihren gemeinsamen Schwerpunkt. Der dritte Körper bewegt sich jedoch senkrecht zu dieser Ebene entlang einer Linie auf und ab, die genau durch den Schwerpunkt führt. Die Gleichung beschreibt den vereinfachten Fall, in dem beide Hauptkörper die gleiche Masse (m) haben; das Folgende gilt aber auch für den allgemeinen Fall. Mit r wird der Abstand der Sterne vom Massenmittelpunkt beschrieben, und die Bewegung des Planeten kann dann mit nur einer Koordinate (z) angegeben werden, dem Abstand vom Schwerpunkt der Sterne.

Das Sitnikov-System beschreibt keine realen Planetensysteme (die Entstehung solcher Systeme auf natürlichem Weg wäre extrem unwahrscheinlich). Aber es wird in der Astronomie als Modellsystem zur mathematischen Untersuchung der dynamischen Eigenschaften der Planetenbewegung benutzt. Zu den vielen interessanten Ergebnissen gehört eine mathematische Eigenschaft, die der Mathematiker Jürgen Moser 1973 entdeckt hat.

Hic sunt dracones

Im Allgemeinen ist die Bewegung des Planeten chaotisch, das heißt, er pendelt nicht immer mit der gleichen Periode auf und ab. Mal entfernt er sich nur wenig von der Ebene der Sterne, bevor er wieder zurückkehrt; mal kehrt er erst weit ober- beziehungsweise unterhalb der Ebene wieder um. Moser hat nun festgestellt, dass für jede beliebige Abfolge von Pendelbewegung mit mathematischer Gewissheit ein Anfangszustand von Sternen und Planet existiert, bei der genau diese auftritt.

Oder anders gesagt: In diesem System werden die Jahreszeiten durch den Abstand des Planeten von der Ebene der Sterne bestimmt. Ist er nahe, ist es warm und Sommer. Ist er weit weg, ist es kalt und Winter. Und je weiter er sich von der Ebene entfernt, desto länger dauert der Winter. Das Theorem von Moser besagt nun, dass je nach den Anfangsbedingungen jede beliebige chaotische Abfolge von Jahreszeiten möglich ist. Und damit auch die, die wir in der Welt von Game of Thrones sehen.

Natürlich gibt es dort nur einen Stern und nicht zwei. Doch auch wenn wir davon ausgehen, dass einer der beiden Sterne sein Leben schon beendet hat und zu einem nicht mehr sichtbaren Neutronenstern oder Schwarzen Loch wurde, funktioniert die Dynamik des Sitnikov-Systems noch genauso. Es ist natürlich ein wenig müßig, eine explizit ausgedachte Welt voller Magie durch Mathematik und Astronomie erklären zu wollen. Aber es ist gut zu wissen, dass es möglich wäre.

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