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Freistetters Formelwelt: Ganz oder gar nicht!

Ganze Zahlen scheinen simpel. Aber auch in ihnen steckt die volle Komplexität der mathematischen Welt.
Bunte magnetische Plastikzahlen, wie sie möglicherweise auch bei der Finanzplanung des Flughafens Berlin Brandenburg zum Einsatz kamen.

Gegen Ende meines Astronomiestudiums habe ich im Seminar unserer Arbeitsgruppe einen Vortrag über »diophantische Gleichungen« gehört. Ich war ein wenig besorgt, da der vortragende Kollege bekannt für seine komplizierten mathematischen Themen war. Dann aber wurde ich schnell wieder beruhigt, als er die erste Formel an die Tafel schrieb.

Diophantische Gleichung

Das sah gar nicht kompliziert aus, und es kam noch besser: Diophantische Gleichungen, so erklärte mein Kollege, sind Gleichungen, die sich nur um ganze Zahlen kümmern. In obiger Formel muss also »d« eine ganze Zahl sein, und man sucht nur nach ganzzahligen Lösungen x und y.

Dann wurde es leider doch sehr schnell sehr kompliziert. Denn auch die ganzen Zahlen haben es in sich. Es sind zwar die Zahlen, die uns intuitiv am einfachsten erscheinen und die wir schon in der Grundschule lernen. Aber selbst sie stecken voller Möglichkeiten für komplexes Rechnen. Das wusste schon Diophantos von Alexandrien vor mehr als 2000 Jahren. Der Mathematiker aus der griechischen Antike ist der Namensgeber dieser Art von Gleichungen; die spezielle Formel, die am Beginn des Seminarvortrags (und auch dieses Artikels) stand, hat allerdings eine noch längere Geschichte.

Schon im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung beschäftigten sich die Schüler des Pythagoras mit dem Spezialfall der Gleichung, bei dem d = 2 ist. Sie interessierte vor allem die Verbindung dieser Gleichung zur Wurzel aus 2. Denn wenn x und y beides ganze und positive Zahlen sind und d gleich 2, dann lässt sich zeigen, dass x/y eine gute Annäherung an den Wert der Wurzel aus 2 ist. Indische Mathematiker kamen später zu demselben Ergebnis und nutzen die Gleichung, um immer bessere Approximationen der Wurzel zu finden.

Zurück zu den Wurzeln

Auf die Gleichung stößt man auch, wenn man das berühmte »Rinderproblem des Archimedes« lösen möchte – sie beschäftigte die Mathematiker aber bis in die Moderne hinein. Heute nennen wir sie die pellsche Gleichung, nach dem englischen Mathematiker John Pell, der mit der Sache jedoch überraschend wenig zu tun hat. Er arbeitete zwar mit diophantischen Gleichungen; doch die Aufgabe, die heute nach ihm benannte Gleichung zu lösen, stellte der Franzose Pierre de Fermat. Pell war nur der Übersetzer eines Buchs, in dem eine Lösung der Gleichung diskutiert wurde. Leonhard Euler sah ihn fälschlicherweise als Urheber dieser Lösung an, weswegen er ihr Pells Namen gab.

Diese ganze Verwirrung hätte man sich sparen können, wenn man ein wenig genauer auf das geschaut hätte, was die indische Mathematik bereits Jahrhunderte vorher geleistet hat. Denn schon im 7. Jahrhundert n. Chr. entdeckte der Astronom und Mathematiker Brahmagupta eine allgemeine Methode, um die unendlich vielen Lösungen der Gleichung finden zu können.

Bei der pellschen Gleichung weiß man also, wie man sie lösen kann. Bei anderen diophantischen Gleichungen muss das nicht so sein. Im Jahr 1900 stellte der deutsche Mathematiker David Hilbert beim Internationalen Mathematiker-Kongress in Paris seine berühmten 23 Probleme vor, die er für die wichtigsten ungelösten Fragen der Disziplin hielt.

Sein zehntes Problem lautete: »Man gebe ein Verfahren an, das für eine beliebige diophantische Gleichung entscheidet, ob sie lösbar ist.« Es dauerte 70 Jahre, bis der russische Mathematiker Juri Wladimirowitsch Matijassewitsch die – unbefriedigende – Antwort geben konnte: So ein Verfahren existiert nicht. Er konnte zeigen, dass die Frage nach der Lösbarkeit diophantischer Gleichungen unentscheidbar ist. Es ist also egal, auf welcher Grundlage man ein mathematisches System entwickelt: Es wird darin immer diophantische Gleichungen geben, die nicht nur keine Lösung haben, sondern deren Unlösbarkeit sich auch nicht innerhalb des gewählten mathematischen Systems beweisen lässt.

Auch die ganzen Zahlen fordern also unseren Respekt. Was einfach aussieht, muss es noch lange nicht sein.

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