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Die fabelhafte Welt der Mathematik: Wie man mit Mathematik einen Serienkiller überführt

Mit »Geographic Profiling« lassen sich nicht nur Mordfälle lösen, sondern auch Wildtiere schützen und Krankheitsausbrüche lokalisieren. Oder die Identität von Banksy aufdecken.
Ein Tatort mit einer blutigen Brille und einem gelben Nummernkärtchen, um die Beweise zu sichern
Mit Zahlen Serienmörder überführen: In der Kriminologie werden seit mehreren Jahren auch mathematische Konzepte genutzt.

Die britische Polizei sah sich Ende der 1970er Jahre mit einer Mammutaufgabe konfrontiert: Nach den Morden an 13 Frauen umfasste die Liste der Verdächtigen nicht weniger als 268 000 Namen. Das Problem: Anders als bei vielen anderen Gewaltdelikten haben Serienmörder meist keine direkte Verbindung zu ihren Opfern, was es oft schwer macht, sie zu überführen. Dieser Kriminalfall zählt inzwischen zu einem der aufwändigsten und teuersten in der britischen Geschichte. Es wurden mehr als 25 000 Häuser durchsucht; im Einsatzraum der Polizei befanden sich zeitweise vier Tonnen Papier, so dass die Böden des Gebäudes verstärkt werden mussten. Doch es war schier unmöglich, mit jeder einzelnen tatverdächtigen Person zu sprechen – und es sollte fünf Jahre dauern, bis der berüchtigte »Yorkshire Ripper« schließlich als Peter Sutcliffe identifiziert wurde.

Wie sich später herausstellte, lief bei den Ermittlungen vieles schief, die Verzögerung war also nicht nur der hohen Zahl an Verdächtigen geschuldet. Trotzdem veranlassten solche und ähnliche Kriminalfälle den Polizisten und Kriminologen Kim Rossmo dazu, eine mathematische Methode zu entwickeln, um Serienmördern schneller auf die Spur zu kommen. Diese Technik lässt sich auf Probleme aus allerlei anderen Bereichen anwenden: von Ökologie über Epidemiologie bis hin zur Klärung der Identität des unbekannten Graffiti-Künstlers Banksy.

Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen hin zu Steuertricks. Die Artikel können Sie hier lesen oder als Buch kaufen.

Eine wichtige Sache vorab: Allein mit Mathematik ist es nicht möglich, einen Serienmörder zu entlarven. Doch die Wissenschaft kann dabei helfen, eine Liste mit Verdächtigen zu ordnen, von den wahrscheinlichsten Tätern bis hin zu den am wenigsten wahrscheinlichen. Somit soll die Arbeit der Polizei erleichtert werden – im besten Fall müssen sie dann nur eine kleine Zahl an Personen verhören, bis sie auf den Täter (oder die Täterin) treffen.

Fiktive Morde in Heidelberg | Falls drei Taten in Heidelberg so gleichmäßig verteilt waren, könnte man vermuten, dass der Ankerpunkt des Mörders im Zentrum der drei Straftaten befindet.

Dafür kommt die Methode des »Geographic Profiling« zum Einsatz, die Rossmo 1987 in seiner Doktorarbeit entwickelte. Sein Ansatz sollte dazu dienen, einen Serienmörder zu lokalisieren, indem man die Positionen der Tatorte untersucht. In einem ersten Schritt muss man hierfür also zunächst die Morde (oder sonstige kriminelle Handlungen) auf einer Karte verzeichnen. Es erscheint vielleicht nahe liegend, einfach den Mittelpunkt der Koordinaten zu bilden, um eine zentrale Stelle zu identifizieren. Tatverdächtige, die in der Nähe dieses Zentrums leben oder arbeiten, müssten demnach von der Polizei priorisiert werden.

Fiktive Morde Teil 2 | Ein vierter Mord in Darmstadt würde dazu führen, dass sich der mögliche Ankerpunkt stark verschiebt. Indem man bloß das Zentrum der Mordfälle berücksichtigt, lässt man außer Acht, dass ein Mörder auch mehrere Ankerpunkte haben kann (etwa den Wohnort und den Arbeitsplatz).

Doch diese Überlegung erscheint nicht richtig. Zunächst einmal würde ein weit entfernter Mord das Ergebnis stark verfälschen. Außerdem kann es sein, dass ein Täter von mehreren Orten aus agiert, also mehrere so genannte Ankerpunkte hat: Die Person könnte über mehrere Wohnsitze verfügen oder einen entfernten Arbeitsplatz haben. Zudem hielten Serienmörder in der Vergangenheit oft eine gewisse räumliche Distanz zu ihren Taten ein – würde man eine Person gleich neben der eigenen Wohnung umbringen, wäre man schnell im engeren Kreis der Verdächtigen. Es scheint also eine bestimmte Pufferzone um die Ankerpunkte herum zu geben, in denen die Person keine Straftaten begeht. Umgekehrt erscheint es aber auch unwahrscheinlich, dass ein Mörder eine extrem lange Reise auf sich nimmt, um seine Taten umzusetzen.

Die Taten eines Serienmörders sollten Rossmo zufolge also in einem bestimmten Umkreis um dessen Ankerpunkt verteilt sein. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung, die beschreibt, mit welcher Häufigkeit man Opfer um den Ankerpunkt findet, sollte theoretisch der Form eines Vulkans ähneln: Der Ankerpunkt des Mörders befindet sich inmitten des Kraters, in dessen unmittelbarer Nähe findet man also kaum Leichen. Doch dann steigt die Wahrscheinlichkeitsverteilung schnell an; die Orte, an denen die Morde begangen werden, sammeln sich in der Nähe des Kraterwalls und werden mit zunehmender Distanz seltener.

Querschnitt der Vulkanfunktion | Der Verlauf der Funktion gib an, in welcher Distanz von einem Ankerpunkt (Wohnort, Arbeitsplatz und so weiter) ein Serienmörder typischerweise einen Mord begeht. Je höher die Punktzahl, desto größer die Wahrscheinlichkeit.

Damit lässt sich eine »Vulkanfunktion« f definieren, die Distanzen zwischen Ankerpunkt und möglichen Tatorten eine Punktzahl (so etwas wie eine Wahrscheinlichkeit) zuordnet: Für eine Entfernung x jenseits der Pufferzone (mit Entfernung P vom Ankerpunkt) ist die Punktzahl proportional zu 1/xn, wobei n eine positive Zahl ist. Das heißt, je näher die Entfernung x an der Pufferdistanz P liegt, desto höher ist die Punktzahl – und damit die Wahrscheinlichkeit, dass eines der Opfer in dieser Umgebung gefunden wurde. Unterhalb des Puffers verhält sich die Punktzahl proportional zu Pm-n/(2Px)m, wobei m ebenfalls eine ganze Zahl ist. Die gesamte Funktion beschreibt sozusagen den Querschnitt des Vulkans und hat folgende Form:

\[ f(x) \propto \begin{cases} \frac{P^{m-n}}{(2P -x)^m},& \text{falls } x \leq P\\ \frac{1}{x^n}, & \text{falls } x > P \end{cases} \]

Wie findet man den Ankerpunkt eines Serienmörders?

Um einen möglichen Ankerpunkt zu identifizieren, kann man zunächst die Karte mit den eingezeichneten Taten in ein Gitter unterteilen. Ziel ist es, mit der obigen Formel für f bei jeder Gitterzelle eine Punktzahl zu ermitteln: Je höher der Wert, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich dort der Ankerpunkt des Mörders befindet. Zur Berechnung der Punktzahl einer Zelle muss man ihre Distanz zu einem Tatort bestimmen und das Ergebnis x dann in die obige Funktion f(x) einsetzen. Das wiederholt man anschließend für die anderen Tatorte und summiert dabei die erhaltenen Punktzahlen. So erhält man am Ende einen Zahlenwert für jede Zelle.

Je höher der Wert, desto wahrscheinlicher befindet sich innerhalb der Zelle ein Ankerpunkt des Mörders. Theoretisch könnte dieser mehrere Ankerpunkte haben, etwa den Arbeitsplatz, den Wohnort, einen Zweitwohnsitz und so weiter. Die Polizei kann das Ergebnis anschließend mit den persönlichen Daten der Tatverdächtigen abgleichen und somit jene Personen zuerst befragen, die in den Bereichen mit den höchsten Punktzahlen leben oder arbeiten.

Anwendungen auch außerhalb der Kriminologie

Inzwischen wird Geographic Profiling nicht nur in der Kriminologie verwendet, sondern findet auch im Bereich der Ökologie Einsatz, um beispielsweise Wildtiere zu schützen. So hat die Biologin Sally Faulkner von der Queen Mary University of London im Jahr 2014 zusammen mit ihrem Team den Lebensraum von Koboldmakis auf der indonesischen Insel Sulawesi untersucht. Um die Populationsgröße von Tieren verlässlich zu bestimmen, muss man ihre Schlafplätze finden. Doch diese sind oft tief in dichten Wäldern versteckt, so dass sich eine Suche meist sehr aufwändig gestaltet. Wie Faulkner und ihre Kollegen gezeigt haben, kann Geographic Profiling bei solchen Aufgaben nützlich sein. Indem sie GPS-Koordinaten von Tonaufnahmen der Tiere auswerteten, konnten sie die Orte eingrenzen, an denen die Äffchen sich vermutlich sammeln. Und tatsächlich mussten die Forschenden nur 15 Prozent des gesamten Bereichs – der immerhin 3,4 Quadratkilometer umfasste – durchforsten, um 25 von 26 Schlafplätze zu finden.

Zwei Jahre später verwendete Rossmo seine Methode, um Hinweise auf die Identität des Graffiti-Künstlers Banksy zu sammeln. Dafür hat er zusammen mit seinem Team die Standorte der Graffiti zu verschiedenen Zeitpunkten untersucht und mit Hilfe des Geographic Profiling analysiert. Wie die Forschenden herausfanden, passen die Ergebnisse zu den Wohnorten von Robin Gunningham, einer Person, die schön länger unter Verdacht steht, Banksy zu sein. In ihrer Arbeit betont die Forschungsgruppe, dass die Liste der Verdächtigen im Fall von Banksy sehr klein ist und ihre Analyse daher keine eindeutigen Schlüsse zulässt. Doch die Strategie ließe sich generell nutzen, um »kleinere terroristische Handlungen« frühzeitig aufzuklären, schreiben die Autoren.

Geographic Profiling im Kampf gegen Krankheiten

Im Bereich der Epidemiologie kann Geographic Profiling dabei helfen, die Ursachen von Krankheiten auszumachen. Tatsächlich nutzte bereits der englische Arzt John Snow in den 1850er Jahren eine vereinfachte Form dieser Methode, um einen kontaminierten Brunnen zu identifizieren, der einen Ausbruch von Cholera im Londoner Stadtteil Soho herbeigeführt hatte.

Der Biologe Steven Le Comber von der Queen Mary University of London hat 2011 zusammen mit Rossmo und anderen Kollegen Geographic Profiling verwendet, um die Quellen von Malariaausbrüchen auszumachen, die sich im Sommer 2005 in Kairo ereigneten. Dafür verzeichneten sie die Wohnorte der 139 Erkrankten sowie 59 Wasserstellen, in denen Moskitos brüteten. Anhand der Daten konnten die Forschenden die Bereiche markieren (die etwa zwei Prozent der betrachteten Region ausmachten), in denen sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Malariaerreger vermuteten. Sechs der sieben Wasserstellen, an denen Stechmücken positiv auf Malariaerreger getestet wurden, befanden sich in genau diesen Bereichen.

Malariafälle | Die schwarzen Punkt entsprechen den Wohnorten von Erkrankten in Kairo. Dort trug sich 2005 ein Malariaausbruch zu, den Fachleute sechs Jahre später mit Hilfe des Geographic Profiling untersuchten. Die weiß markierten Bereiche entsprechen denjenigen, in denen sich demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wasserquelle mit Malariaerregern befand. Rot sind die Orte markiert, an denen Moskitos positiv auf Malaria getestet wurden.

Mit Hilfe des Geographic Profiling könnten sich Infektionsquellen schnell finden lassen. Das kann dabei helfen, die Ausbreitung von Krankheiten frühzeitig zu stoppen.

Aber zurück zum Yorkshire Ripper: Auch auf diesen – inzwischen längst gelösten – Fall lässt sich die statistische Methode im Nachhinein anwenden. Anhand der Fundorte der Mordopfer kann man eine Karte mit den wahrscheinlichsten Ankerpunkten des Täters markieren. Einer der Wohnorte von Peter Sutcliffe befand sich tatsächlich in einem der als »sehr wahrscheinlich« markierten Bereichen: Nur fünf Prozent der Tatverdächtigen wohnten in einer solchen Gegend. Der zweite Wohnsitz des Mörders befand sich innerhalb eines Bezirks, der etwa ein Viertel aller Verdächtigen umfasste.

Ankerpunkte des Yorkshire Ripper | Die Fundorte (schwarz) der Opfer des Yorkshire Ripper geben Auskunft über mögliche Ankerorte. In Weiß sind die Regionen dargestellt, in denen das Geographic Profiling den Ankerort des Mörders angibt. Peter Sutcliffe lebte an den rot markierten Punkten.

Doch selbst wenn die britische Polizei das Geographic Profiling genutzt hätte, wäre der Fall wohl kaum schneller gelöst worden: Im Lauf der fünfjährigen Ermittlung war Sutcliffe neunmal ergebnislos befragt worden. Er wurde erst 1981 durch eine zufällige Verkehrskontrolle überführt, als auffiel, dass seine Nummernschilder gefälscht waren und daraufhin die Mordwaffen gefunden wurden.

Um einen Mord zu lösen, braucht es nunmal mehr als bloße Mathematik – doch sie kann trotzdem dabei helfen. Und das hat auch die Polizei erkannt: Inzwischen nutzen viele verschiedene Ermittlungsteams Softwareprogramme, die es ihnen ermöglichen, Geographic Profiling auf verschiedene Probleme anzuwenden.

Sie haben auch ein Lieblingsthema zu Mathematik und würden gerne mehr darüber in dieser Kolumne lesen? Dann schreiben Sie es mir gerne in die Kommentare!

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