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Freistetters Formelwelt: Die erstaunliche Vielfalt von sieben Punkten und Linien

Geometrie kann auf den ersten Blick täuschend einfach aussehen. In Wahrheit ist es ganz anders, insbesondere dann, wenn man es mit projektiven Ebenen zu tun bekommt.
Polyeder
Geometrie ist eines der ältesten Gebiete der Mathematik. Hinter der scheinbaren Einfachheit steckt jedoch jede Menge Komplexität.
Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Die Geometrie stand schon ganz am Anfang der Mathematik. In Babylonien, in Ägypten oder Griechenland hat man damit begonnen, die Eigenschaften von Kreisen, Dreiecken und anderen anschaulichen Formen zu studieren. Euklids Buch »Die Elemente« beginnt nicht nur mit einer ausführlichen Darstellung der Geometrie, sondern war fast 2000 Jahre lang ein Standardwerk dieser Disziplin. Aber trotz aller Anschaulichkeit kann die Geometrie sehr abstrakt werden – paradoxerweise auch dann, wenn man ihre Möglichkeiten einschränkt.

Ein Beispiel dafür ist die »Fano-Ebene«, die sich durch diese Gleichungen darstellen lässt:

\[ \begin{split} L &= (PGI) \\ P &= \{1,2,3,4,5,6,7\} \\ G &= \{\{1,2,3\}, \{1,4,5\}, \{1,6,7\}, \{2,5,7\}, \{2,4,6\}, \{3,4,7\}, \{3,5,6\}\} \end{split} \]

Die Fano-Ebene (benannt nach dem italienischen Mathematiker Gino Fano) wird durch eine »Inzidenzstruktur« L definiert, die aus einer Menge von Punkten und Geraden (P und G) besteht. Außerdem wird noch eine Inzidenzrelation I benötigt, die angibt, in welcher Beziehung die Punkte und Geraden zueinander stehen. Viel einfacher lässt sich die Fano-Ebene jedoch verstehen, wenn man die Struktur auf die richtige Weise aufzeichnet. Dazu konstruiert man ein gleichseitiges Dreieck, zeichnet die Höhen der jeweiligen Seiten ein und dazu den Inkreis. Die drei Eckpunkte, die drei Höhenfußpunkte und der Mittelpunkt des Inkreises sind die sieben Punkte der Menge P. Die drei Seiten des Dreiecks, die drei Höhen und der Inkreis sind die sieben Geraden der Menge G.

Kombiniert man Punkt- und Geradenmenge mit einer Inzidenzrelation, dann erhält man das, was in der Mathematik als »projektive Ebene« bekannt ist. In diesem Fall besagen diese Relationen, dass zwei Punkte immer genau auf einer Geraden liegen, zwei Geraden sich immer in genau einem Punkt treffen, jede Gerade mindestens drei Punkte enthält und jeder Punkt auf mindestens drei Geraden liegt.

Fano-Ebene | Indem man die Punkte der Fano-Ebene nummeriert, findet man sieben Zahlentripel, in denen jedes Zahlenpaar genau einmal vorkommt.

Die Fano-Ebene ist unter allen endlichen projektiven Ebenen die kleinste, sie besteht aus nur sieben Punkten und sieben Geraden. Man kann sich leicht davon überzeugen, dass sie alle Relationen erfüllt (in der Visualisierung von Dreieck und Inkreis wird die Kreislinie als eine der sieben Geraden betrachtet).

Vielfältige Anwendungen

Auf den ersten Blick mag diese Art von Geometrie verwirrend erscheinen. In einer projektiven Ebene gibt es zum Beispiel keine Parallelen, denn zwei Geraden müssen sich zwangsläufig in einem Punkt schneiden. Doch gerade ihre Abstraktheit und vor allem die Beschränkung auf eine endliche Anzahl von Punkten und Geraden machen projektive Ebenen wie die Fano-Ebene sehr interessant für bestimmte Anwendungen.

Stellen wir uns etwa vor, dass wir Daten übermitteln wollen, aber nicht sicher sein können, ob sie auch fehlerfrei ankommen. Dann kann man mit Hilfe der Fano-Ebene einen Korrekturmechanismus entwickeln. Die Punkte stehen in dem Fall für Datenpakete, die mit Hilfe der Geraden zu Gruppen kombiniert werden. An jede der durch eine der Geraden gebildeten Gruppe wird eine zusätzliche Information gehängt, um einen bestimmten Zustand zu bilden (beispielsweise, um dafür zu sorgen, dass alle Datenpunkte einer Gruppe sich zu einer geraden Zahl summieren). Gibt es einen Übertragungsfehler, lässt sich durch die Inzidenzrelationen der projektiven Ebene genau feststellen, in welcher Gerade und damit Datengruppe der Fehler aufgetreten ist – und ihn mit den Informationen aus den anderen Geraden korrigieren.

Die Fano-Ebene spielt eine Rolle in der Kryptografie, beim Design von Quantencomputern und bei der Analyse von Netzwerken. Man benötigt sie, wenn man statistische Experimente designen möchte oder wenn Software getestet werden soll, und selbst manche Kinderspiele bauen auf der mathematischen Struktur projektiver Ebenen auf. Mit der richtigen Mathematik kann selbst aus sieben Punkten und sieben Linien eine erstaunliche Vielfalt entstehen.

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