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Freistetters Formelwelt: Mit dem Fahrrad auf einen Lavadom

Medizinische Behandlungen, Abwasser im Kanal oder beeindruckende Berge: Es gibt eine mathematische Formel, mit der sich all das und noch viel mehr beschreiben lässt.
Zwei Mountainbiker auf einem Berggrat
Der Puy de Dôme bleibt für viele Fahrradfahrer ein unerfüllter Traum.
Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Ich finde Radsport spannend, sowohl aktiv als auch passiv. Als Zuschauer der großen Landesrundfahrten in Italien, Spanien und Frankreich bin ich immer wieder beeindruckt von den großen Bergen, auf die dort mit dem Rad gefahren wird: Col du Tourmalet, Mont Ventoux, Alpe d’Huez, Passo dello Stelvio, und so weiter.

In der echten Welt habe ich leider noch keinen dieser Berge mit dem Fahrrad bezwungen, ich kenne die Anstiege nur aus den Simulationen meines computergestützten Radtrainingsprogramms. Einen dieser Berge würde ich aber wirklich gerne hochfahren: Der Puy de Dôme in Zentralfrankreich ist zwar »nur« 1465 Meter hoch, hat aber eine spannende wissenschaftliche Vergangenheit. Bei meiner Recherche dazu bin ich schnell vom Radsport zur Mathematik und dieser Formel gelangt:

Diese Gleichung ist eine Möglichkeit, das »Gesetz von Hagen-Poiseuille« zu beschreiben. Es wurde im 19. Jahrhundert vom deutschen Ingenieur Gotthilf Hagen und dem französischen Physiker Jean Léonard Marie Poiseuille aufgestellt und beschreibt, wie eine Flüssigkeit durch ein Rohr strömt. Der Volumenstrom V pro Zeiteinheit eines newtonschen Fluids (also eine Flüssigkeit oder ein Gas, deren Viskosität nicht von einer äußeren Kraft abhängt) ist durch den Radius r des Rohrs, der Viskosität η und den Druckgradient dpdx bestimmt. Aus mathematischer Sicht fällt die vierte Potenz des Radius auf. Der Durchmesser des Rohrs, durch das sich das Fluid bewegt, hat also einen großen Einfluss auf die Durchflussmenge.

Man muss nicht lange nachdenken, um jede Menge Anwendungsmöglichkeiten für das Gesetz von Hagen-Poiseuille zu finden. Gotthilf Hagen war Wasserbauingenieur und beschäftigte sich mit dem Bau von Häfen und Kanälen; Jean Léonard Marie Poiseuille war nicht nur Physiker, sondern auch Physiologe und interessiert daran, Phänomene wie Blutkreislauf und Blutdruck zu verstehen. In beiden Fällen muss man sich mit strömenden Flüssigkeiten beschäftigen. Ich selbst bin aber aus ganz anderer Richtung auf die Formel gestoßen, und zwar in einem geologischen Fachartikel mit dem Titel »Growth rates of lava domes with respect to viscosity of magmas«.

Eine Kuppel aus Lava

Darin geht es um Lavadome, also das, was entsteht, wenn zähflüssige Lava aus einem Vulkan austritt. Wenn sie einen hohen Siliziumdioxidanteil hat, dann fließt sie sehr langsam, kühlt schnell ab und bildet eine Art Kuppel. Der Puy de Dôme ist mit dem Rest der »Chaîne des Puys« im französischen Zentralmassiv genau so ein Lavadom. Die Art und Weise, wie sich so eine Kuppel bildet und vor allem die Dauer des Prozesses hängt von der Viskosität der Lava ab. Die ist aber leider nicht immer einfach direkt zu messen.

Man kann aber durchaus bestimmen, wie schnell so ein Lavadom wächst. Im November 1944 brach zum Beispiel der Vulkan Usu in Japan aus und man konnte ein Wachstum von zirka 30 000 Kubikmeter pro Tag feststellen. Beim Ausbruch des Lamington-Vulkans auf Papua-Neuguinea im Jahr 1951 betrug die Wachstumsrate mehr als das Doppelte. Mit ein paar weiteren geologischen Messdaten (und sehr viel komplexer Wissenschaft und Datenauswertung) lässt sich das Gesetz von Hagen-Poiseuille benutzen, um aus der Wachstumsrate auf die Viskosität der Lava zu schließen, die den Dom gebildet hat.

Beim Puy de Dôme muss man sich keine Sorgen um einen zeitnahen erneuten Ausbruch machen. Der Vulkan entstand vor zirka 10 000 Jahren und gehört zu einem Typ, der üblicherweise nur einmal ausbricht. Wer also mal zu Besuch in der Auvergne ist, kann gefahrlos auf den Gipfel wandern oder mit der Zahnradbahn nach oben fahren. Etwas anderes bleibt mir leider auch nicht übrig: Die Straße, die nach oben führt, ist für den privaten Verkehr mit Autos und Fahrrädern gesperrt – und die Chancen, dass mich ein Profiteam für die Tour de France nominiert, stehen eher schlecht.

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