Gute Nacht – die Kolumne für besseren Schlaf: Wie Alkohol den Schlaf sabotiert
Januar ist für viele der Monat der Alkoholabstinenz. Während man sich in der TV-Kochsendung zum Weihnachtsmenü noch bedenkenlos rote Wangen antrinkt, begegnet mir in meinem Umfeld aus Klientinnen und Freunden immer häufiger der alkoholfreie Januar. Und manche nehmen sich gleich vor, es mit dem Alkohol ganz sein zu lassen – oder fast ganz.
Dabei beobachte ich einen undogmatischen Umgang mit dem Thema. Manche trinken ein Glas Wein, wenn es ihnen angeboten wird. Andere haben ihren alkoholfreien Wein dabei oder schlürfen entspannt einen Becher Tee. Entsteht da ein Trend? Das kann schon sein. Für den Schlaf in unserer Gesellschaft wäre das gut, denn Alkohol schadet dem Schlaf. Das hat Folgen für alle Lebensbereiche.
Zu viele Menschen trinken zu viel
In der öffentlichen Debatte ist Alkohol allgemein ein Trendthema. Gesundheitlich problematischer Alkoholkonsum liegt vor, wenn körperliche, psychische und soziale Folgen spürbar werden. Etwa neun Millionen Menschen in Deutschland trinken problematisch viel, berichtet das Bundesministerium für Gesundheit. Neu ist dabei die Haltung: Gesunder Konsum existiert nicht. Das klingt furchtbar alarmistisch. Und doch kommen wir an der Wahrheit nicht vorbei: Schwere Alkoholiker sind nicht die einzigen, die unter dem Alkohol leiden. Auch der so genannte »moderate Konsum« von einem bis zwei Gläsern Wein oder Bier an mehreren Tagen in der Woche belastet Menschen – manchmal, ohne dass sie es merken.
Das Krebsrisiko, und dass ein Risiko für Organschäden besteht, ist natürlich bekannt. Gemeint sind hier aber die alltäglichen Folgen – die sofort spürbar sind, wenn man sie denn zuzuordnen weiß: Die Betroffenen verlieren mindestens gelegentlich die Kontrolle über ihren Konsum, sie geraten häufiger in Streit oder verlieren Freunde, sie treiben weniger Sport und sind körperlich nicht so fit, wie sie sein könnten. Sie sind weniger kreativ und können sich Dinge schlechter merken. Ihnen passieren Unfälle und Missgeschicke, sie werden häufiger krank. Außerdem schlafen sie schlecht.
Alkohol zum Schlafen ist ein mieser Rat
Eine Klientin sagte mir vor einigen Monaten, ein älteres Familienmitglied riete ihr wegen ihrer Ein- und Durchschlafprobleme häufig zu einem Glas Wein. Ich wusste bereits, dass in ihrem Team bei der Arbeit nach Feierabend häufig angestoßen wird. Schlafstörungen aus Weinmangel sind generell unwahrscheinlich, in diesem Fall aber ganz besonders. »Probieren Sie doch mal das Gegenteil«, sagte ich. »Lassen Sie den Alkohol für eine Weile weg.« In ihren Augen sah ich den inneren Widerstand. Spoiler: Heute lässt sie den Alkohol immer weg, wenn ihr Schlaf sich verschlechtert oder sie sichergehen will, dass die Nacht gut wird.
Natürlich ist der Wein zum Runterfahren am Abend verlockend. Alkohol wird in unserer Gesellschaft mit Feiern oder mit Entspannung assoziiert. Die Bierflasche gelassen in der Hand oder elegant mit dem Weinglas aufs Sofa sinken – das sind schöne Vorstellungen, die nach einem guten Ausklang für einen Tag aussehen. Doch der Drink vor dem Einschlafen ist ein Weg, der in die Irre führt. Alkohol verkürzt den REM-Schlaf messbar, berichtet die australische Schlafforscherin Carissa Gardiner mit ihrem Forschungsteam nach einer Metaanalyse in »Sleep Medicine Reviews«. Man sagt deshalb auch: Für den Drink am Abend bezahlen Sie in der zweiten Hälfte der Nacht.
Alkohol trickst das Gehirn aus – und das rächt sich
Die dabei ablaufenden biochemischen Prozesse im Gehirn haben Timothy Roehrs und Thomas Roth in der Fachzeitschrift »Alcohol research & health« beschrieben. Zwei bedeutsame Neurotransmitter sind die hemmende Gamma-Aminobuttersäure (GABA) und das aktivierende Glutamat. Alkohol grätscht bei beiden dazwischen. Es setzt sich an einen GABA-Rezeptor einer Nervenzelle. Dieser lässt Kalzium in die Zelle strömen, die dadurch nur noch deutlich schwerer feuern kann. Auch ein Typus der Glutamatrezeptoren wird blockiert. Man könnte sagen: Der Alkohol hat die Nervenzelle ausgeknipst.
In der ersten Hälfte der Nacht wirkt das, könnte man sagen, tatsächlich entspannend. Es fördert bei Gelegenheitstrinkern den Tiefschlaf. Warum der REM-Schlaf in der zweiten Nachthälfte gestört ist, ist weniger klar. Doch GABA und Glutamat stehen in einem Kreislauf. Diskutiert wird daher unter anderem, dass der GABA-Überschuss in der ersten Nachthälfte dazu führt, dass das erregende Glutamat in der zweiten Nachthälfte im Überschuss vorhanden ist. Dies würde den REM-Schlaf stören.
REM-Schlaf ist aber wichtig. Während des »Rapid Eye Movement«-Schlafs verarbeitet das Gehirn emotionale Erlebnisse und festigt bestimmte Gedächtnisinhalte. Gemeint ist das non-deklarative Gedächtnis, also jener Teil des Wissens, den Sie nicht rezitieren, sondern der Sie gefühlt intuitiv begleitet. Wenn Sie gerade Eislaufen lernen, dann ist der REM-Schlaf die Zeit, in der der Körper die neuen Bewegungen abspeichert. Wenn Sie zwischen den Jahren einen Streit hatten, dann ist der REM-Schlaf die Zeit, in der Ihr Gehirn sich merkt, worauf die andere Person verletzt reagiert und wie Sie es in Zukunft besser machen können.
Alkohol macht wach
Diesen REM-Schlaf erleben die meisten Menschen vor allem in der zweiten Hälfte der Nacht. Das ist aber genau die Zeit, in der der Schlaf unter Alkoholeinfluss leichter und unruhiger wird. Viele Menschen wachen häufiger auf, einige bleiben dann ganz wach. Alkohol zum Einschlafen ist also auch kurzfristig eine schlechte Idee, wenn Schwierigkeiten mit dem Durchschlafen oder frühem Erwachen bestehen. Alkohol macht wach.
Der Ratschlag, den Schlaf mit Alkohol zu fördern, hält sich so hartnäckig, weil er wahrscheinlich ein wenig stimmt. Ich schreibe das so vorsichtig, weil die Effekte bei moderatem Konsum nicht immer messbar sind, wie Carissa Gardiner im oben erwähnten Review berichtet. Wer dagegen viel trinkt, der schläft schneller ein, hat aber, wie erläutert, wenig davon. Wer regelmäßig trinkt, könnte dagegen feststellen, dass das Einschlafen länger dauert.
Was machen wir nun mit diesen Erkenntnissen? Wer die Schlafberatung aufsucht, der ist in der Regel mit seinem Schlaf unzufrieden. Den Rat »Verzichten Sie auf Alkohol« muss man dann aushalten, denn Alkohol schadet dem Schlaf. Und das beruhigende Glas am Abend? Überlegen Sie sich etwas, das Sie genauso wertschätzen können. Alkohol zur Entspannung ist ein Klischee, das sich selbst überholt hat. Suchen Sie sich etwas, das nur für Sie ist. Machen Sie es sich gemütlich. Am meisten freut sich Ihr Gehirn.
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