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Angemerkt!: Grabenkämpfe

Hakan Baykal
Im Sommer 2004 stolperten zwei Wanderer in Nordzypern auf dem Kral Tepesi, dem Königshügel, über ein Erdloch, in dem sie einen Topf mit bronzenen Gerätschaften fanden. Sie verständigten Uwe Müller, einen Spezialisten an der Eastern Mediterranean University (EMU) in Famagusta. Der Archäologe konnte aus einem Vorratsgefäß aus Ton, das auf dem Hügel vergraben worden war, 26 sehr gut erhaltene Objekte aus der Bronzezeit (13. Jahrhundert v. Chr.) bergen.

Sodann machte er sich daran, den Fundort in einer Notgrabung zu retten. Schließlich suchten sofort nach Bekanntwerden des Fundplatzes Raubgräber den Hügel heim. Sie gruben an mehreren Stellen und zerstörten Teile der archäologischen Substanz. Der Fundplatz war offenbar stark gefährdet, und unverzügliche Rettungsmaßnahmen taten not, wollte der Wissenschaftler doch weitere Zerstörungen verhindern. Unterstützung erhielt Müller dabei von seinem Fachkollegen Martin Bartelheim und dem Archäometallurgen Ernst Pernicka.

Der Befund der archäologischen Kampagne im letzten Sommer übertraf alle Erwartungen, denn erstmals konnten für die Bronzezeit Wandmalereien nachgewiesen werden. Außerdem fanden die Archäologen Quadermauerwerk, Schriftzeugnisse, Bergkristalle und Feinwaagen. Die Funde unterstrichen die Bedeutung des Fundorts. Was aber darauf folgte, betonte die verfahrene Situation auf der Mittelmeerinsel.

"Krieg ist die bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln", meinte General Carl von Clausewitz. Blickt man dieser Tage nach Zypern, möchte man meinen, Archäologie sei die Fortsetzung des Kriegs mit eigenartigen Mitteln. Ein für Laien unscheinbares Grabungsgelände von zehn mal zehn Metern im türkisch besetzten Nordteil der Insel sorgt für diplomatische Irritationen. Der Zwist, der bisher nur wenige Fachleute beschäftigte, könnte mehrere europäische Außenminister in Aufregung versetzen und tiefe Gräben durch die Forscherszene ziehen. Denn die Archäologen befinden sich im Zentrum eines Konflikts, der vor fast einem halben Jahrhundert begann.

Kurz nach der Unabhängigkeit Zyperns von Großbritannien im Jahr 1960 wuchs das tiefe gegenseitige Misstrauen zwischen griechischer Bevölkerungsmehrheit und türkischer Minderheit und eskalierte zum Bürgerkrieg. Nachdem Militärs 1967 die Macht in Griechenland an sich gerissen hatten, nahmen geheime Waffenlieferungen an paramilitärische, extrem nationalistische Verbände der Inselgriechen zu. Im Juli 1974 kam das Unvermeidliche: Die Extremisten in der zyprischen Hauptstadt Nikosia putschten gegen die gewählte Regierung, um die Vereinigung Zyperns mit Griechenland durchzusetzen – Faschisten wollten sich Faschisten anschließen. Ein solcher Anschluss an einen anderen Staat war aber laut Verfassung verboten.

Die Türkei berief sich auf diesen Passus und annektierte den Norden der Insel. Dort wurden griechische Zyprer vertrieben, und türkische Einwanderer vom anatolischen Festland siedelten sich an. Zwar brach in Athen in Folge dieses Abenteuers die Junta zusammen, und Griechenland kehrte zur Demokratie zurück. Dennoch sind heute rund 30 000 türkische Soldaten in der "Türkischen Republik Nordzypern" stationiert – einem nur von der Türkei anerkannten Staat. Ein Uno-Plan zur Wiedervereinigung der Insel wurde zwar von der großen Mehrheit der türkischen Zyprer unterstützt, scheiterte aber im April 2004 am Veto der griechischen Bevölkerungsmehrheit.

Wie aber gerieten die Archäologen in die Mühlen der Politik? Im griechischen Teil Zyperns – und teilweise auch in Griechenland selbst – wurden die Forscher umgehend beschuldigt, durch die Grabung in besetztem Gebiet internationales Recht zu missachten. Bald informierte Leonidas Markides, Botschafter der Republik Zypern in Berlin, den Rektor der Universität Tübingen Eberhard Schaich, einer seiner Professoren – gemeint war Pernicka – sei in eine Ausgrabung involviert, die "als illegal angesehen wird". Das würde auch stimmen, handelte es sich um die Arbeit auf dem Kral Tepesi nicht um eine Notgrabung. Eine solche lassen nämlich die Bestimmungen der Haager Konvention, denen Nordzypern als besetztes Gebiet unterliegt, ausdrücklich zu, auch wenn ansonsten archäologische Ausgrabungen in Krisengebieten verboten sind.

"Dies wird ernste Auswirkungen ... auf alle auf Zypern und in Griechenland arbeitenden deutschen Archäologen haben"
(Vassos Karageorghis)
Mit äußerst groben Drohungen wartete Vassos Karageorghis auf. Der prominenteste Archäologe Zyperns zeigte sich "schockiert" über das deutsche Engagement in Kral Tepesi: "Dies wird ernste Auswirkungen ... auf alle auf Zypern und in Griechenland arbeitenden deutschen Archäologen haben." Nun mag Karageorghis auf der Insel der große Mann der Archäologie sein, sein Einfluss auf die Politik des griechischen Mutterlands wird Grenzen haben.

Dennoch macht sich ob seiner unverhohlen erpresserischen Drohung unter den klassischen Archäologen Deutschlands Sorge breit: Wer will schon gern die jährlich zu beantragende Grabungsgenehmigung in Griechenland verlieren und damit um die Früchte jahrelanger Arbeit gebracht werden? Also beeilten sich einige unter ihnen, dem Inselcholeriker Ergebenheitsnotizen zu schreiben und ihre Kollegen und Landsleute zu verurteilen. Die tun aber letztlich nur ihre Arbeit – auch diesen Sommer wieder. Mittlerweile haben sich die Wogen des letzten Jahres immerhin etwas geglättet. Und beide Seiten scheinen die Beruhigung der Diskussion zu schätzen.

Einige Aspekte der ganzen Aufregung allerdings hinterlassen einen bleibenden bitteren Nachgeschmack: Erstens wurde die Archäologie als Gegenstand einer Politik der Emotionen in Europa wiederentdeckt, zweitens erwiesen sich Teile der deutschen Archäologenszene als erpressbar – unter diesen Umständen zwar subjektiv verständlich, aber nichts desto weniger betrüblich. Nicht zuletzt zeigte sich an den heftigen Reaktionen von griechisch-zyprischer Seite auf einem vermeintlichen Nebenschauplatz, wie verheerend der Fehler war, den die Europäische Union beging, als sie Zypern am 1. Mai 2004 aufnahm: Die Regierung im Südteil des geteilten Lands kann jeden Beschluss der Union verhindern. Das zeigte sich vor wenigen Wochen, als mächtigeren Vertretern der Zyperngriechen als Karageorghis jemals sein könnte, beinahe gelang, die Aufnahme konkreter Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu kippen.

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