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Grams' Sprechstunde: Impft euch!

Eine hohe Impfquote ist mehr denn je Prävention, auch gegen die vierte Welle. Sich impfen zu lassen ist also gerade jetzt ein Akt der Solidarität, der uns allen zugutekommen wird, sagt Ärztin und Kolumnistin Natalie Grams.
Menschen halten ihre Hände zusammen, darüber blauer Himmel.

Kinder und Jugendliche impfen: eigentlich nicht, aber eigentlich doch. Neue Impfschemata, neue Wirksamkeiten. Impfstoffe fallen aus, Impfquoten stagnieren (vielleicht), neue Varianten grassieren, alle wollen in den Urlaub. Horrorszenarien. Endlich Entwarnung? Es ist eindeutig mal wieder Zeit für Aufräumarbeiten und ein paar klärende Worte.

Eins gilt weiterhin: Die Erkenntnis wächst. Wir wissen wieder mehr, wir wissen Genaueres, und wir wären schön blöd, wenn wir darauf nicht reagieren würden. Ein aktuelles Beispiel liefert die neue Veröffentlichung des Robert Koch-Instituts (RKI) im »Epidemiologischen Bulletin« Nummer 27. Unter der Überschrift »Welche Impfquote ist notwendig, um COVID-19 zu kontrollieren?« wagt das RKI hier einen Ausblick auf die kommenden Monate und unsere Möglichkeiten, die Entwicklung der Pandemie unter Kontrolle zu behalten.

Kurz zur Erinnerung: Im letzten Sommer schien es ja schon wieder so leicht und locker zu laufen – und anschließend stellte die Entwicklung das Frühjahr 2020 dann weit in den Schatten. Wir sind also gut beraten, gerade jetzt nach vorn zu blicken. Und wir sind viel weiter als ein Jahr zuvor: Eine Menge Daten und Erkenntnisse ermöglichen bessere Modellrechnungen. In die Berechnungen fließt nun auch Wissen ein, das man beim vergleichsweise schlecht informierten Herumtappen im Sommer 2020 noch gar nicht haben konnte, wie eben zum Beispiel die tatsächliche Impfquote.

Was kann die moderne Medizin leisten? Nutzt die Homöopathie? Was macht einen guten Arzt aus, und welche Rolle spielt der Patient? Die Ärztin und Autorin des Buchs »Was wirklich wirkt« Natalie Grams diskutiert in ihrer Kolumne »Grams' Sprechstunde« Entwicklungen, Probleme und eklatante Missstände ihrer Zunft. Alle Teile lesen Sie hier.

Und wie verändert sich das Infektionsgeschehen (und die Belastung der Kliniken) nun bis zum Frühjahr 2022? Das RKI zeichnet dazu – unter der Annahme bestimmter Bedingungen – ein recht positives Bild. Die Kernaussage: Bei einer Impfquote von 85 Prozent bei den 12- bis 59-Jährigen und 90 Prozent bei den Älteren wird es eine »vierte Welle« im Herbst und Winter wahrscheinlich nicht geben. Deshalb wäre der Plan jetzt ganz einfach – impfen, was das Zeug hält! Und das scheint möglich, denn allen Unkenrufen zum Trotz ist die prinzipielle Impfbereitschaft ziemlich hoch, wie die aktuellen Daten der COVIMO-Erhebung zeigen. Zudem sind wir mit Impfstoff besser versorgt als jemals zuvor, und die offizielle Priorisierung ist aufgehoben. Jede und jeder kann, wenn sie oder er will. Ich wage also zu behaupten, dass die Zielimpfquoten des RKI gar nicht so unrealistisch sind.

Aber halt: Das RKI erinnert uns auch an die Basics der Hygienemaßnahmen, an die wir uns unbedingt weiter halten sollten. Zudem wäre es ratsam, bei einem möglichen Anstieg der Infektionszahlen unsere Kontakte wieder etwas zu reduzieren. Das sollte doch wohl hinzubekommen sein, um zu verhindern, was niemand haben will: nochmalige Lockdowns.

An einer Stelle gibt es noch offenkundigen Dissens: Das RKI rechnet damit, dass auch die 12- bis 17-Jährigen bald geimpft werden – doch bislang gibt es weiterhin keine generelle Impfempfehlung für diese Altersgruppe. Das liegt daran, dass der STIKO hierfür noch Sicherheitsdaten fehlen. Und das wurde nun, klar, von Impfgegnern abgefeiert: »Danke, Herr Mertens, dass wenigstens Sie unsere Kinder beschützen!!« Aber sorry, liebe Impfgegner, ihr seid hier einem Missverständnis aufgesessen und könnt die Fahnen wieder einpacken. Die STIKO macht schlicht, einfach, unabhängig und wissenschaftsbasiert ihren Job. Sie gibt nicht einem Scheinargument von Impfgegnern Recht, ihr scheint derzeit einfach für grundsolide endgültige Aussagen die Datenlage noch zu dünn.

Fehlt noch ein Wort zur Delta-Variante. Auch hier ist die Datenlage dünn, manche Erkenntnis vorläufig, und auch hier wird es vermutlich auch ganz neue Entwicklungen geben. Es ist zurzeit jedoch einigermaßen sicher, dass auch gegen Delta eine vollständige Impfung (relativ unabhängig vom Impfschema) einen hohen Schutz bietet, vor allem gegen schwere Erkrankungen. Die Delta-Variante verbreitet sich dementsprechend besonders unter Ungeimpften aus. Das aber sollte nicht alle Geimpften leichtsinnig machen, sondern eher alle Ungeimpften motivieren: Wer noch nicht zwei Impfdosen bekommen hat, sollte das baldmöglichst bis zum Herbst nachholen.

Die Verantwortlichen der Impfkampagne müssen dabei weiter die Impfstoffversorgung sichern und die Kapazitäten für die Verimpfung gewährleisten. Dank gilt allen Ärzten, Ärztinnen und vielen weiteren Helfenden in Praxen und Impfzentren, die nach all der Zusatzbelastung durch die Impfungen und auch deshalb erschöpft sind, weil sich Empfehlungen immer wieder ändern.

Die Impfkampagne stockt derzeit etwas, aus nachvollziehbaren Gründen. Vielleicht haben sich auch viele noch von den Parolen der Impfgegner abhalten lassen. Meine stille Hoffnung wäre ja, dass immer mehr Menschen erkennen, wie falsch die Impfgegner mit vielen Aussagen und Horrorszenarien (»Tausende Tote! Unfruchtbarkeit!! Genetische Manipulation!!!«) liegen. Also bitte: Ärmel hochkrempeln und ab zur Impfung. Wir können es schaffen, eine vierte Welle zu vermeiden. Das RKI liefert die Modellrechnung – es ist an uns allen, die Modelle mit Realität zu füllen. Sich impfen zu lassen ist gerade jetzt ein Akt der Solidarität, der jedem Einzelnen auch etwas zurückgeben wird.

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