Grams' Sprechstunde: Was wirkt denn wirklich?
Mit Informationen sind wir in der Pandemie gut versorgt: Gesundheitstipps und neue Studienergebnisse kommen in Live-Ticker-Geschwindigkeit, es äußern sich Experten und Expertinnen tagesaktuell und prinzipiell in Talkshows, Podcasts, Chats. Derart ausgiebig informiert können wir dann handeln, im Sinne unserer Gesundheit. Oder?
Nun, ehrlich gesagt: Nicht mal ich als Ärztin blicke da auf Anhieb immer durch. Meine These wäre eher, dass sich der persönliche Wissensstand umgekehrt proportional zur Masse an Informationen verhält, die wir in kurzer Zeit verarbeiten müssen.
Dafür gibt es Gründe. Aber zunächst: Will man überhaupt noch gut informiert sein, nach zwei Jahren auslaugender, bleierner Pandemie? Will man es jede Woche aufs Neue, und über alles Neue? Spätestens am Mittwoch überschattet doch die große Sehnsucht nach dem Wochenende alles; glücklich, wer es bis dorthin ohne positiven Test übersteht. Wer verschafft sich immer noch und immer wieder den Überblick, taucht tief in Studienergebnisse und Bewertungen ein, die sich teils widersprechen? Wer ist nicht müde von Überschriften, die spannende wissenschaftliche Neuigkeiten versprechen und manchmal doch nur Clickbait sind?
Und selbst, wenn die Kraft reicht: Gesundheitskompetenz wächst eben nicht gleichmäßig mit mehr Informationen. Schon lange vor der Pandemie war es nicht einfach, sich im Datenwust zurechtzufinden. Man muss dazu auch sein Gehirn austricksen: In komplexen Situationen macht es sich es gerne leicht und denkt ab und an Energie sparend (zu) kurz. Das macht uns anfällig für Angebote, die gut klingen – und einen schnellen Ausweg aus der Komplexität bieten. Selbst dann, wenn sie nicht wirklich wirken.
Diese Nachfrage nach Haurucklösungen wird vielfältig gedeckt. Es gibt staatlich legitimierte Pseudomedizin wie die Homöopathie oder mit wissenschaftlicher Fassade seriös ummantelte Angebote, zu denen ich etwadie Osteopathie zähle. Es gibt pure Fantastereien (Chakrenheilung!). Es mangelt nicht an vollmundigen, tatsächlich jedoch ziemlich leeren Versprechungen, wie jenen der Anbieter von Nahrungsergänzungs- oder gar Lebensmitteln – ich habe das gerade in einem Podcast mit der Verbraucherzentrale NRW aufgegriffen. Natürlich kommt zu kurz geratenes Denken aber auch in der echten Medizin vor, wir wollen hier ebenso wenig unterkomplex sein.
Doch nun die gute Nachricht: Es gibt im Großen und Ganzen wirksame Mittel gegen unseren Drang, auf unhaltbare Heilsversprechen hereinzufallen. Um ihnen nicht auf den Leim zu gehen, müssen wir sie zunächst als unseriös erkennen. In meinem Buch »Was wirklich wirkt«, das im Februar in erweiterter Neuauflage als Taschenbuch erschienen ist, habe ich für die richtig kritischen Fälle ein kleines Kompendium an Alarmzeichen zusammengestellt.
Höchste Vorsicht ist geboten, wenn
- Ihnen jemand verspricht, dass nur er Ihnen helfen kann,
- Ihnen jemand verspricht, dass lediglich diese eine Methode Ihnen helfen kann,
- Ihnen jemand verspricht, dass seine Methode bei (fast) allen Krankheiten hilft,
- jemand behauptet, dass die Methode nur dann nicht funktioniert, wenn Sie nicht richtig daran glauben (Schuldzuweisung),
- jemand behauptet, dass Angehörige und Freunde den Heilungsprozess stören (Isolation),
- Ihnen jemand verspricht, es gäbe keine Risiken und Nebenwirkungen,
- Sie jemand über die Behandlungsdauer und mögliche Behandlungsverläufe völlig im Unklaren lässt,
- Ihnen jemand keine plausiblen Erklärungen für seine Methode geben kann, dafür aber auf Erfahrung pocht oder auf dankbare Patienten aus aller Welt verweist (»Wer heilt, hat Recht«),
- jemand auf absoluter Verschwiegenheit gegenüber Dritten besteht,
- jemand versucht, Ängste zu schüren vor der »Schulmedizin«, vor Impfungen im Allgemeinen oder vor schwerer Krankheit, falls man sich ihm nicht anvertraut,
- die Behandlung übermäßig teuer ist und auf Barzahlung ohne Quittung bestanden wird.
Diese Punkte gelten in der Pandemie und darüber hinaus: Sie helfen, um zumindest ein Gefühl dafür zu bekommen, wo Vertrauen gerechtfertigt ist. Klar, das kann nicht Evidenz ersetzen und jene rigorose Expertise, die nach wissenschaftlichen Prinzipien den tatsächlichen Wissensstand zu einem komplexen Thema herausarbeitet. Aber ebendazu fehlen uns verständlicherweise oft Kraft, Wille und Knowhow.
Der Schutz vor zu kurzem Denken
Was auch wirklich wirkt, ist außerdem das Gefühl, gut behandelt zu werden – menschlich und medizinisch. Wenn Sie sich in der Praxis Ihrer bisherigen Wahl nicht wohl fühlen: Sie dürfen wechseln, das Gesundheitssystem lässt Ihnen die freie Arztwahl. Und es gibt sie, die empathischen Ärztinnen und Ärzte, die auf der Grundlage soliden medizinischen Wissens behandeln. Sie bieten auch sprechende – oder besser noch zuhörende – Humanmedizin an. Im Übrigen muss es gar nicht immer mehr Medizin sein. Sich etwas Gutes zu tun, wirkt in vielen Fällen wirklich. Gute soziale Kontakte, gute Ernährung, möglichst viel Bewegung und Self-care. Ebenso wenig ist im Prinzip gegen Naturheilkunde-Hausmittelchen einzuwenden, wenn klar ist: Wenn etwas hilft, heißt das nicht gleich, dass es im medizinischen Sinne wirkt. Es hat gutgetan. Punkt.
Genau hinzuschauen wird jedoch weiter nötig bleiben, und auch: gegenüber unseren eigenen Urteilen kritisch zu sein. Denn wir dürfen nicht vergessen, wie störanfällig die menschliche Wahrnehmung von Wirksamkeit ist, gerade wenn wir von einem Mittel oder einer Methode überzeugt sind. Wir blenden dann gerne aus, was uns nicht passt. Faktoren wie Zeit, guter Glaube, der Placeboeffekt, die Selbstheilungskräfte unseres Körpers, unser Immunsystem oder schlicht Glück können für eine Verbesserung von Beschwerden (ergo Wirksamkeit) verantwortlich sein. Oder alles zusammen. Es bleibt also komplex.
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