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Storks Spezialfutter: Grüner Wandel von oben

Gerade hat die EU-Kommission zwei überraschend grüne Landwirtschaftsstrategien aufgelegt. Ein Richtungswechsel, auch wenn jetzt schon der Widerstand der Agrarminister wächst.
Irrwege im Mais-Labyrinth

Die EU-Kommission hat kürzlich zwei fast schon revolutionäre Dokumente auf den Weg gebracht: die Farm-to-Fork-Strategie für eine nachhaltigere Landwirtschaft und die Biodiversitätsstrategie, um den Artenschwund in der EU zu stoppen: Demnach sollen unter anderem 30 Prozent der Land- und Seefläche in der EU rechtlich geschützt werden, ein Drittel davon streng. Zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche sollen aus der Nutzung genommen werden. Auf der Brache sollen dann Hecken, Blühstreifen und andere artenreiche Lebensräume entstehen. Die Menge an Düngemitteln soll bis 2030 um mindestens 20 Prozent reduziert und der Anteil der Biobetriebe EU-weit auf 25 Prozent erhöht werden. In Teilen lesen sich die Dokumente fast, als hätten die Umweltverbände daran mitgeschrieben.

Die Sache hat allerdings zwei größere Haken.

Erstens sind die Strategien erst einmal nicht viel mehr als reine Absichtserklärungen ohne verbindlichen rechtlichen Rahmen. Sie sind nicht vom breiten Konsens der 28 Mitgliedsstaaten getragen, sondern nur von der EU-Kommission. Bei der ersten Sitzung der EU-Agrarminister unter deutscher Präsidentschaft Ende Juli formierte sich bereits der Widerstand gegen die Farm-to-Fork-Strategie in ihrer derzeitigen Form: Wie man aus der Zusammenfassung des Bundeslandwirtschaftsministeriums herauslesen kann, befürchten die Minister unter anderem negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit, das Einkommen der Landwirte und die Ernährungssicherheit. Auch ein Brachenanteil von zehn Prozent ist für viele Agrarminister unvorstellbar. Sie halten höchstens fünf Prozent für praktikabel.

Zweitens laufen die Strategien parallel und ergänzend zur aktuellen Neuverhandlung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Dort ringen die Mitgliedsstaaten direkt um die jährliche Verteilung von mehr als 50 Milliarden Euro für Direktzahlungen oder Naturschutzmaßnahmen, bevor über das Ergebnis im EU-Parlament abgestimmt wird. Ob die von der Kommission in den Strategien formulierten Vorschläge Bestand haben werden oder nicht, hängt unmittelbar davon ab, auf welchen Verteilungsschlüssel sich die Mitgliedsstaaten einigen werden.

Im schlimmsten Fall könnten sich die Strategien der Kommission also bloß als schöne Worte und heiße Luft entpuppen. Im besten Fall aber stehen die ambitionierten Texte für einen echten Richtungswechsel. »Die EU-Kommission unter Claude Juncker war noch ganz auf die Stabilisierung der Wirtschaft nach der Finanzkrise von 2008 ausgerichtet. Umweltbelange waren nur ein Randthema, was sich schon daran zeigt, dass Aufweichungen der Naturschutzrichtlinien erst nach Protesten der Zivilgesellschaft gestoppt wurden«, sagt André Prescher vom Brüsseler Büro des NABU. Bei der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen seien Energiewende, Klimawandel und Artenschutz mittlerweile als drängende Themen angekommen. »Da hat ein echter Sinneswandel stattgefunden«, sagt Prescher.

Hinweise auf ein sich änderndes politisches Klima finden sich auch bei den aktuell stockenden Verhandlungen zur GAP-Reform: Der Rat der Fachminister der Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament müssen sich dafür auf eine gemeinsame Linie einigen. Vorher stimmen sich beide Organe intern ab. Im EU-Parlament hat der Umweltausschuss kürzlich die Verhandlungen mit dem Agrarausschuss über Kompromisse bei der GAP abgebrochen, weil Umweltschutzfragen seiner Meinung nach nicht genügend Berücksichtigung finden würden.

Dieser Schritt ist bisher einmalig und zeigt das Erstarken der Umweltpolitik im EU-Parlament. Auch die Chancen, dass am Ende mehr grüne Themen in die GAP einfließen, steigen dadurch: Der Agrarausschuss ist traditionell eher konservativ besetzt. Die Stellungnahme des Umweltausschusses kann jetzt zur Abstimmung ins Parlament eingebracht werden. Und dort finden sich deutlich weniger konservative Agrarpolitiker als im Agrarausschuss.

Im Oktober sollen die GAP-Verhandlungen zum Abschluss gebracht werden. Dann wird sich zeigen, inwieweit der wachsende Einfluss der Umweltpolitik sich schon in rechtsverbindlichen Regeln und in Euro und Cent widerspiegelt.

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