Mäders Moralfragen: Hauptsache publiziert
In meiner Promotionszeit habe ich mal einen Artikel bei einem wirklich renommierten Fachjournal eingereicht. Es dauerte nur ein paar Wochen, und ich erhielt eine Absage. Einer der beiden anonymen Gutachter hatte mir netterweise einige Kritikpunkte genannt, der andere beließ es bei einem Satz: ungeeignet für unsere Zeitschrift. Später habe ich den Artikel erneut eingereicht – bei einem Magazin, das eher meiner Kragenweite entsprach. Dort dauerte die Begutachtung (im Englischen wird das Verfahren »Peer Review« genannt, also: Begutachtung unter Fachkollegen) dann so lange, dass ich nicht mehr an der Uni war, als die Bitte kam, den Artikel für eine eventuelle Veröffentlichung zu überarbeiten.
So ungefähr ergeht es, glaube ich, vielen Wissenschaftlern – mitunter auch den sehr guten, und sie gehen vermutlich auch ähnlich damit um. Jedenfalls erinnere ich mich an einen Nobelpreisträger, der witzelte, die Abkürzung »PNAS« stehe für: Previously Not Accepted at »Science«, also: zuvor beim Wissenschaftsmagazin »Science« abgelehnt. Tatsächlich handelt es sich auch bei »PNAS« um ein angesehenes Magazin mit dem Titel »Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA«. Aber »Science« hat einen Impact-Faktor von 37 und »PNAS« nur einen von 10 – und das heißt, dass ein Artikel in »Science« viel mehr Aufmerksamkeit erhält als einer in »PNAS«. Denn diese Zahl gibt an, wie häufig Artikel aus diesen Journalen zitiert werden. Und wer zitiert wird, wird ernst genommen, daher ist der Impact-Faktor ein Wert für das Renommee.
Weil angesehene Zeitschriften häufiger gelesen werden als weniger angesehene, bemühen sich Wissenschaftler darum, ihre Artikel dort unterzubringen. Denn auch für sie wird aus der Häufigkeit, mit der ihre Artikel zitiert werden, eine Zahl berechnet: der h-Faktor. Er erlaubt es, bei Berufungsverfahren schnell ein erstes Ranking der Kandidaten aufzustellen. Natürlich sollte bei der Frage, ob jemand zum Professor berufen wird, nicht eine Zahl den Ausschlag geben. Denn die Zahl lässt sich trimmen – zum Beispiel indem man ein interessantes Forschungsergebnis auf drei Artikel aufteilt. Und man möchte doch nicht ernsthaft jemanden ans Institut holen, der bei solchen Tricksereien seine Fähigkeiten ausspielt, aber ansonsten faul ist und langweilig unterrichtet. Doch ich vermute, dass viele in den Berufungskommissionen auf solche Zahlen schauen, um sich einen ersten Eindruck der Bewerberlage zu verschaffen. Man kann schließlich nicht von jedem Kandidaten die Artikel selbst lesen.
Schreiben für den Papierkorb
Diese Vorrede ist nötig, um ein seltsames Phänomen einzuordnen, das seit etwa zehn Jahren wächst und gedeiht: Wissenschaftler veröffentlichen zunehmend in Fachzeitschriften, die gar kein Renommee haben und nicht gelesen werden. Sie versenken damit Forschungsergebnisse, die mit Steuergeld gefördert wurden. Die Magazine, in denen sie veröffentlichen, werden »Predatory Journals« (Raubjournale) genannt, weil sie für die Veröffentlichung Geld verlangen, ohne dem Autor dafür etwas zu bieten. Sie haben sich im Schatten der Open-Access-Bewegung ausgebreitet, der es darum geht, Forschungsergebnisse für alle zugänglich zu machen. Eine wichtige Triebfeder dieser Bewegung sind die teuren Abos vieler Fachjournale, deren hoher Preis ungerechtfertigt erscheint, da die Autoren und Gutachter gar nicht von den Verlagen für ihre Arbeit bezahlt werden – sie bekommen ihr Geld üblicherweise aus Steuermitteln.
Beim Open Access verlangen die Verlage nicht von Lesern oder Bibliotheken eine Gebühr, sondern vom Autor. Die Gebühr soll die Kosten für Begutachtung, Lektorat, Layout und das Einpflegen in die Fachdatenbanken decken. So halten es auch die Raubjournale – nur dass sie für ihr Geld nicht viel mehr tun, als den Artikel ins Netz zu stellen. Das wissenschaftliche Qualitätsbewusstsein geht ihnen ab, sie messen sich nur am monetären Profit. Man könnte auch von Fake-Journalen sprechen.
Ein Rechercheverbund von NDR, WDR, »Süddeutscher Zeitung« und weiteren Medien hat ermittelt, dass in den vergangenen Jahren 5000 deutsche Forscher, also etwas mehr als ein Prozent, mindestens einmal von dieser Publikationsmöglichkeit Gebrauch gemacht haben. Warum zahlen Wissenschaftler diesen Verlegern Geld? Eine mögliche Erklärung: Sie hätten auf diese Weise fragwürdigen Forschungsarbeiten den Anschein von Seriosität verleihen können. Doch das hat die Recherche nicht ergeben. Vielmehr war die Angelegenheit den darauf angesprochenen Forschern peinlich: Sie hatten sich täuschen lassen, denn die Raubjournale heißen oft ähnlich wie renommierte Fachjournale, sie ahmen auch deren Websites nach und sie geben einen falschen Impact-Faktor an.
Studien, die sonst kein Journal haben wollte
Aber als Forscher kennt man sein Fachgebiet und die Namen der wichtigsten Zeitschriften oder sollte sie zumindest von seinen Mentoren, Vorgesetzten oder Kollegen genannt bekommen. Außerdem möchte man gelesen und zitiert werden, damit der h-Faktor steigt. Wie kann es dann sein, dass man bei dieser wichtigen Angelegenheit den kritischen Verstand ausschaltet? Schon die erste Frage in der Checkliste der Initiative »Think. Check. Submit« lautet sinnigerweise: Kennen Sie oder Ihre Kollegen das Journal? Vielleicht liegt es daran, dass im Zuge der Open-Access-Bewegung viele Onlinejournale entstanden sind, deren Namen sich in der Branche noch nicht herumgesprochen haben, so dass die Unterscheidung zwischen seriös und unseriös manchen noch schwerfällt. Oder es handelt sich um Forscher, die interdisziplinär oder anwendungsorientiert arbeiten und in einem Fachgebiet publizieren, in dem sie nicht zu Hause sind, wie eine stichprobenartige Analyse des »Scilogs«-Bloggers Markus Pössel nahelegt.
Jeffrey Beall, der sich als Bibliothekar der University of Colorado in Boulder ausführlich mit Raubjournalen beschäftigt hat, nennt in einem persönlichen Fazit einen weiteren möglichen Faktor: »Forscher lieben Verlage, die ihre Artikel akzeptieren und veröffentlichen – vor allem Forscher, deren Arbeit sonst von den Journalen der angesehenen Verlage abgelehnt werden.« Dass in Raubjournalen eher schlechte Arbeiten veröffentlicht werden, bestätigt David Moher vom Ottawa Hospital Research Institute mit seinen Kollegen in einer Studie im Wissenschaftsmagazin »Nature«. Das Team hat sich rund 2000 biomedizinische Fachartikel aus Raubjournalen angeschaut und attestiert ihnen mangelnde Qualität. Die verwendeten Methoden seien oft ungenau oder gar nicht beschrieben, außerdem fehlten wichtige Informationen wie Angaben zur ethischen Prüfung und zur Finanzierung der Studie. Aber letztlich scheint noch niemand systematisch untersucht zu haben, warum Wissenschaftler ihre Arbeiten in Raubjournalen publizieren.
Allgemein wird die geringe, aber substanzielle Zahl der Raubjournalveröffentlichungen jedenfalls als ein Zeichen dafür gesehen, wie groß der Druck ist, der auf den Forschern lastet: Sie müssen ihre Artikel publizieren, um im wissenschaftlichen Wettbewerb zu bestehen – koste es, was es wolle. Selbst wenn es für den h-Faktor nichts bringt, weil kein Fachkollege den Artikel lesen wird, steht er immerhin auf ihrer Literaturliste und kann vielleicht den einen oder anderen Gutachter bei Berufungen oder Förderanträgen blenden. Der »Spektrum«-Chefredakteur Carsten Könneker fordert daher ein Ende des übertriebenen Publikationsdrucks. Nur wie, das ist die Frage. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft lässt bei Anträgen auf Fördermittel nur noch zehn Nennungen eigener Fachartikel zu, um die Motivation für ellenlange Literaturlisten zu senken. Doch solange das nicht alle machen, werden Wissenschaftler sicherheitshalber nicht nur an die Qualität ihrer Arbeit denken, sondern auch an die Quantität.
Maßnahmen gegen das Millionengeschäft
Was lässt sich gegen die Veröffentlichung von ungeprüften Fachartikeln unternehmen? Eine Liste der schwarzen Schafe zu erstellen, gilt als rechtlich problematisch, weil Raubjournale in allen Schattierungen vorkommen und die Abgrenzung von den seriösen Zeitschriften nicht immer eindeutig ist. Außerdem gibt es sehr viele davon: Cenyu Shen und Bo-Christer Björk von der Hanken School of Economics in Helsinki haben in einer ersten Übersicht für das Jahr 2014 rund 8000 aktive Raubjournale mit zusammen 420 000 Artikeln gezählt, mit denen ein Umsatz von 75 Millionen US-Dollar gemacht worden ist.
Jeffrey Beall hat viele Jahre eine Liste schwarzer Schafe gepflegt, sie aber kürzlich aus dem Netz genommen, weil ihm der Druck zu groß wurde. Er zielt in seinem persönlichen Fazit stattdessen auf die Herausgeber und auf die Bibliothekare: Er möchte das Bezahlmodell der Open-Access-Bewegung aushebeln, weil es den Markt für Raubjournale geschaffen hat. Dazu könnten die kostenlosen Publikationen auf Preprint-Servern beitragen, also Datenbanken mit Entwürfen von Fachartikeln. Der bekannteste Server ist arXiv.org für Physik, Mathematik und benachbarte Disziplinen: Die Vorveröffentlichung erlaubt es den Forschern, erste Kommentare ihrer Kollegen einzuholen. »Ein Vorteil [davon] ist der Wegfall der Autorengebühren und der damit verbundenen Korruption«, schreibt Beall. Diese freie Veröffentlichung unabhängig von einem Verlag lässt sich mit einer anderen Innovation verknüpfen: der öffentlichen Begutachtung. Ein Beispiel dafür liefert die Studie von Shen und Björk aus Helsinki, die achtmal begutachtet und siebenmal überarbeitet wurde, bevor sie im Onlinejournal »BMC Medicine« erschien. So geht Wissenschaft.
Im Grunde können die Raubjournale nur funktionieren, solange es Menschen gibt, die nicht genau genug hinschauen. Im eigenen Fachgebiet werden sich Wissenschaftler nichts vormachen lassen. Aber wenn über Berufungen oder Förderanträge entschieden wird, sitzen meist auch fachfremde Forscher am Tisch. Man würde sich gerne darauf verlassen, dass sie sich die Zeit nehmen und sich in das Thema einarbeiten, anstatt die Abkürzung zu wählen und bloß die Einträge auf der Literaturliste zu zählen. Haben sie diese Zeit? Und dann gibt es die – bisher zum Glück bloß abstrakte – Gefahr, dass mit Studien aus Raubjournalen die öffentliche Meinung manipuliert wird. Für Laien ist es natürlich sehr aufwändig zu prüfen, ob eine Studie seriös ist. Aber hierfür gäbe es eine Lösung: Ich werbe dafür, dass Wissenschaftsjournalisten die Aufgabe übernehmen, die berichtenswerten Studien kritisch einzuordnen.
Die Moral von der Geschichte: Gute Forschung braucht einen offenen Dialog – und viel Zeit.
Schreiben Sie uns!
6 Beiträge anzeigen