Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte, warum die Flaschenpost Schiffbruch erlitt
Platsch! Machte es am 14. Juli 1864 bei Kap Hoorn, dem südlichsten Punkt Südamerikas, als eine Glasflasche von Bord der »Norfolk« ins Meer plumpste. Aber nicht irgendeine Flasche, sondern eine zu Forschungszwecken. Sie enthielt einen Zettel mit der Aufforderung, das Datum der Auffindung und die Koordinaten des Fundorts darauf einzutragen. Anschließend sollte der Zettel nach Hamburg geschickt werden – an Georg Neumayer (1826–1909). Der Gelehrte erhoffte sich aus den Daten, genauere Kenntnis über die Meeresströmungen zu erlangen.
Neumayer war nicht der Erste, der Flaschenpost zu Forschungszwecken nutzte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts experimentierten zahlreiche Meereskundler mit Driftkörpern. Es war die Zeit, als die Ozeanografie als Wissenschaft entstand und die Flaschenpost innerhalb der neuen Disziplin als ein anerkanntes Forschungsinstrument galt.
Wohin es die Flaschenpost vom Kap Hoorn trieb
Drei Jahre später kam Neumayers Flaschenfundzettel tatsächlich in die Hansestadt zurück. Zuvor hatte die Nachricht den Pazifik einmal durchquert, dabei mehr als 8500 Seemeilen zurückgelegt und war schließlich am Strand von Yambuk in Australien gelandet, wo sie gefunden wurde. Es ist die älteste erhaltene Flaschenpost der Welt und war für Neumayer nur der Auftakt zu einem außergewöhnlichen Experiment.
Jahrzehntelang ließ er tausende Flaschen ins Meer werfen, die Formulare enthielten, versehen mit der Bitte, Fundstelle und Datum einzutragen und nach Hamburg zu senden. 660 dieser Nachrichten fanden ihren Weg zurück zur Deutschen Seewarte, deren Leiter Neumayer ab 1875 war.
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Georg Neumayer, nach dem heute die deutsche Forschungsstation in der Antarktis benannt ist, stieg in dieser Zeit zum wichtigsten Hydrografen des Deutschen Reichs auf. Er war der erste Direktor der Deutschen Seewarte, die 1868 als Norddeutsche Seewarte gegründet wurde. Heute ist es das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg, wo die Flaschenfundzettel von Neumayer noch immer aufbewahrt werden. Die Behörde verfügt über die mit Abstand größte Flaschenpost-Sammlung der Welt.
Wissenschaftlich nutzlos, literarisch wertvoll
Der erhoffte wissenschaftliche Erfolg des Experiments blieb allerdings aus. Unser Wissen über die Meeresströmungen verdanken wir nicht der Flaschenpost. Einen wissenschaftlichen Mehrwert lieferten die Glasflaschen mit ihren Auffindungsprotokollen jedenfalls nicht. Und so spielten sie nach 1900 praktisch keine Rolle mehr für die Forschung. Nur den Ausgangs- und Endpunkt einer Flaschenpost zu kennen, ist zu wenig für verlässliche Analysen. Auf den Karten zeichneten die Gelehrten die Reise der Driftkörper denn auch mit geraden Linien nach, weil sie als einzige Informationen Start- und Endpunkt kannten. Auch wenn ihnen klar war, dass Objekte im Meer nicht schnurgerade dahinschwimmen.
Dem Erfolg der Flaschenpost tat das keinen Abbruch. Denn für die Bekanntheit und Faszination sorgten nicht Meereskundler und Wissenschaftspioniere wie Neumayer, sondern Literaten. Zahlreiche bekannte Autoren wie Charles Dickens, Jules Verne oder Victor Hugo veröffentlichten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Geschichten, in denen die Flaschenpost eine Rolle spielt. Auch der Erfinder jener Art der Nachrichtenübermittlung war eigentlich ein Schriftsteller: Ein gewisser Jacques-Henri Bernardin de Saint-Pierre setzte die Idee von Glasflaschen als Driftkörper 1784 in einem Artikel in die Welt.
Das Wort »Flaschenpost« tauchte erstmals 1802 auf – und zwar in der Mitschrift einer Kant-Vorlesung. Alternativ kursierten Bezeichnungen wie »Wasserpost«, »Seepost« oder »Neptunspost«, wie Wolfgang Struck in seinem lesenswerten Buch »Flaschenpost. Ferne Botschaften, frühe Vermessungen und ein legendäres Experiment« erklärt.
Kolumbus und sein Abschiedsbrief im Holzfass
Doch ist die Flaschenpost nicht viel, viel älter? Angeblich verwendete ein antiker Philosoph, der Grieche Theophrast von Eresos (371–287 v. Chr.), Flaschen, um die Meeresströmung in der Straße von Gibraltar zu erkunden. Diese Anekdote dürfte allerdings ziemlich sicher nicht stimmen. Glasflaschen gab es zwar zu jener Zeit schon, aber sie waren viel zu wertvoll, um sie einfach ins Meer zu werfen. Wenn, dann hat Theophrast vielleicht Holzkisten benutzt. Flaschen sollten erst mit der industriellen Glasfertigung im 19. Jahrhundert zu Alltagsgegenständen werden.
Ein anderer Aspekt ist entscheidender: Die Idee der Flaschenpost setzt voraus, dass es eine globalisierte Welt gibt. Sonst stünden die Chancen sehr gering, dass die gefundenen Nachrichten auch wieder zurückkommen. Denn dafür braucht es ein weltweit funktionierendes Postwesen. Wer hätte in der Antike Theophrasts Nachricht an irgendeinem Mittelmeerstrand aufklauben und mit einem Boten nach Athen schicken können? Ein organisierter, internationaler Nachrichtenaustausch setzte erst mit den europäischen Handelsgesellschaften während der Kolonialisierung ein. Erst im Jahr 1874, als der Weltpostverein gegründet wurde, waren eigentlich die Voraussetzungen für den Postverkehr geschaffen. Und die wichtigste Aufgabe des Vereins war es, eine weltumspannende, zeitnahe Zustellung von Briefen und Paketen sicherzustellen.
Vielleicht nicht in der Antike, aber zu Beginn der Neuzeit plumpste wohl eine der ältesten Beispiele einer Flaschenpost ins Meer. Es war allerdings keine Glasflasche, sondern eher eine Fasspost. Am 14. Februar 1493 geriet das Schiff »Niña« auf der Fahrt über den Atlantik in einen heftigen Sturm – Christoph Kolumbus (1451–1506) kehrte von seiner ersten Amerikareise zurück. Als er auf Höhe der Azoren befürchtete, das Schiff würde kentern, verfasste er einen Abschiedsbrief, wickelte ihn in ein Stück Wachsleinwand und legte das Schriftstück in ein Fass. Fest verschlossen ließ er selbiges ins Meer werfen. Später schrieb Kolumbus, dass niemand an Bord geglaubt hatte, dass seine Nachricht je gefunden werden würde.
Offenbar war Kolumbus' Fasspost ein Einzelfall, denn wäre es eine alte Seemannstradition gewesen, würde es mehr solcher Berichte geben. Die gibt es aber nicht. Während die Flaschenpost also durch die Literatur berühmt wurde, wenn sich in einer Erzählung ein Schiffsunglück oder eine Katastrophe ereignete, sah ihr wahrer Alltag ganz anders aus: Nicht nahezu kenternde Seefahrer warfen die Flaschen zu Tausenden in die Ozeane, sondern Meereskundler, die mehr über Meeresströmungen erfahren wollten.
Faszination Flaschenpost
Heute entsenden Forschende keine Flaschen mehr als Treibkörper, sondern setzen so genannte Drifter mit allerhand Sensoren aus. Für das globale Ozeanbeobachtungsprogramm ARGO etwa schwimmen weltweit rund 3300 Mess- und Sendeinstrumente über die Meere. Gläserne Driftkörper erwiesen sich für die Forschung letztlich als unbrauchbar, doch die Flaschenpost übt bis heute eine große Faszination aus. Vielleicht liegt es daran, dass wir eigentlich eine Kommunikation bevorzugen, bei der Informationen schnell und zuverlässig übermittelt werden. Genau das garantiert die Flaschenpost nicht. Denn wer sie ins Meer wirft, weiß nicht, wann und ob die Nachricht überhaupt ankommt. Doch wer ist nicht erstaunt darüber, wenn irgendwo nach vielen Jahren auf hoher See eine Glasflasche heil angespült wird?
Überhaupt: Es lohnt sich immer noch, am Strand nach Flaschen Ausschau zu halten, die im Auftrag von Georg Neumayer ins Meer geworfen wurden. Neumayer, der die moderne Meeresforschung in Deutschland etablierte, war bis 1903 Direktor der Deutschen Seewarte in Hamburg. Seine bislang letzte verbliebene Flaschenpost fand eine Frau 2018 am Strand einer Insel vor Westaustralien. Die Flasche wurde 1886 ins Meer geworfen und ist damit zwar nicht die älteste Flaschenpost, aber die, die am längsten unterwegs war.
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