Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte des Metalls, das die Moderne machte
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Am 3. November 1897 versammelten sich Tausende in Berlin am Exerzierplatz der Berliner Garnison, dem heutigen Tempelhofer Feld, um die erste Fahrt eines Luftschiffs mitzuerleben. Der einige Monate zuvor verstorbene Luftfahrtpionier David Schwarz hatte jahrelang an den Plänen und dem Bau dieses ersten Starrluftschiffs getüftelt. Es bestand aus einem Skelett aus Trägern und Streben, war ganz mit Metall verkleidet und mit Wasserstoff befüllt.
Nun saß ein gewisser Ernst Jagel am Steuer des fast 40 Meter langen Luftfahrzeugs. Jagel war Unteroffizier der Luftschifferabteilung der preußischen Armee und insofern erfahren mit den militärischen Fluggeräten der Zeit: Fesselballons, die zur Beobachtung des Schlachtfelds genutzt werden sollten. Die Jungfernfahrt mit dem Starrluftschiff endete bei fast 400 Meter Höhe. Der Motor fiel aus, Kapitän Jagel zog die Reißleine, das Gasventil öffnete sich, und das Luftschiff sank zu Boden. Jagel überlebte, aber es sollte der erste und einzige Flug dieses Luftschiffs bleiben: Nach der harten Landung war es nicht mehr zu gebrauchen.
Ferdinand Graf von Zeppelin, ein hochrangiger Militär, den schon seit einigen Jahren die Idee von lenkbaren Luftschiffen umtrieb, beobachtete als Zaungast gebannt die Fahrt des ersten Luftschiffs. Drei Jahre später ließ er seinen eigenen Prototyp aufsteigen. Für den LZ1 hatte er Teile der Konstruktion vom Schwarzschen Luftschiff abgeschaut, insbesondere die Verwendung eines ganz besonderen Hightech-Materials: Aluminium. Schwarz hatte sein Luftschiff komplett damit eingekleidet, Zeppelin nutzte das Leichtmetall für das Gerippe von LZ1.
Das häufigste Metall der Erdkruste
Luftschiffe haben sich zwar am Ende nicht bewährt, aber Aluminium setzte sich schnell durch als das Metall der Lüfte. Wie kein anderes Material steht es für die Moderne, in der Raumfahrt ist es ebenso unerlässlich wie im Supermarkt oder auf dem Bau. Das silbrig weiße Leichtmetall ist zwar das häufigste Metall der Erdkruste, kann jedoch erst seit ungefähr 130 Jahren in größeren Mengen produziert werden. Denn die Aluminiumproduktion ist extrem energieintensiv.
Das ist der Grund, warum reines Aluminium erst spät entdeckt wurde und zwischenzeitlich sogar teurer war als Gold. Gängig war es nur in gebundener Form, zum Beispiel als Gemisch aus Salzen, den Alaunen, bitteren Tonerdesalzen. Man verwendete sie unter anderem in der Gerberei. Bereits Antoine Lavoisier, der Begründer der modernen Chemie, vermutete in Alaun – lateinisch Alumen – ein noch unbekanntes Element. Nur extrahieren ließ es sich nicht.
Das neue Wundermetall: Silber aus Lehm
Den Weg dafür ebnete schließlich einer der renommiertesten Forscher seiner Zeit: Humphry Davy, der auch den Namen »Aluminium« vorschlug. Davy war ein englischer Naturforscher, Professor für Chemie und von 1820 bis 1827 Präsident der Royal Society. Als einer der Ersten nutzte er ab 1800 die Voltasäule, die erste elektrische Batterie, für chemische Experimente und wurde so zu einem Pionier der Elektrochemie. So gelang es ihm erstmalig durch Elektrolyse, elementares Natrium und Kalzium zu gewinnen, nur beim Aluminium biss er sich die Zähne aus. Die voltasche Säule war schlicht nicht leistungsfähig genug. So zeichnete Davy zwar den Weg vor, blieb aber selbst erfolglos.
Erst 1825 gelang es dem Dänen Hans Christian Ørsted, reines Aluminium zu gewinnen. Er nutzte eine chemische Reaktion dafür, erhielt das gewünschte Produkt allerdings bloß in winzigen Mengen. Er bat seinen deutschen Chemikerkollegen Friedrich Wöhler, die Arbeiten weiterzuführen. Die Menge an Aluminium, die dieser zu Tage förderte, war jedoch ebenfalls viel zu gering, es reichte nicht einmal, um die Eigenschaften des Stoffs zu bestimmen. Selbst 20 Jahre später war die Ausbeute so mager, dass er lediglich stecknadelkopfgroße Aluminiumkügelchen herstellen konnte.
Kein Wunder also, dass diese minimalen Proben teurer waren als Gold. Und das, obwohl Aluminium acht Prozent der Erdkruste ausmacht und nach Sauerstoff und Silizium das dritthäufigste Element des Planeten ist. Erst als im Jahr 1854 der französische Chemiker Henri Étienne Sainte-Claire Deville die Bühne betrat, kam Bewegung in die Sache. Ihm gelang es erstmals, größere Mengen Aluminium herzustellen. Nun wurde das Leichtmetall auch über die Kreise der Akademien hinaus bekannt. Auf der ersten Weltausstellung in Frankreich 1855 präsentierte Deville das Material als »Silber aus Lehm«.
Selbst wenn die Ausgangsmaterialien immer noch teuer waren und die Ausbeute nach wie vor karg, trieb die Fantasie bereits Blüten. Der französische Kaiser Napoleon III. etwa zeigte sich begeistert: In Zukunft sollten Helme oder Schwertgriffe aus Aluminium hergestellt werden, um Gewicht für die Soldaten zu reduzieren. Ab 1855 finanzierte der Monarch den Aufbau der französischen Aluminiumindustrie. Noch blieb die militärische Bedeutung jedoch marginal.
Vom Stecknadelkopf zur Massenproduktion
Deville stellte in den nun folgenden 1860er Jahren die Weichen für die moderne Aluminiumproduktion. Er verwendete als Schmelzmittel Kryolith, ein aluminiumhaltiges Mineral, das ausschließlich in Grönland abgebaut wird. Als Ausgangsmaterial kam Bauxit zum Einsatz, benannt nach der ersten bekannten Lagerstätte in Les Baux im Süden Frankreichs.
Das Jahr 1886 brachte dann die entscheidende Veränderung: Mit einem Mal wurde Aluminium ein industriell herstellbares Massenprodukt. Die neuesten Generatoren lieferten jetzt genug Strom, um Aluminium durch Elektrolyse herzustellen. Schmelzflusselektrolyse wird das Verfahren genannt, das von zwei Forschern unabhängig voneinander erfunden wurde: Charles Martin Hall und Paul Héroult. Für die Schmelzflusselektrolyse, den Hall-Héroult-Prozess, muss das Ausgangsmaterial Aluminiumoxid geschmolzen werden. Dafür werden aber 2050 Grad benötigt. Gibt man Kryolith hinzu, sinkt der Schmelzpunkt auf 950 Grad. Das war machbar, wenn auch nur unter erheblichem Einsatz von Energie – etwa dreimal mehr als für die Stahlproduktion. Dennoch war der Startschuss für die industrielle Herstellung des Leichtmetalls in Aluminiumhütten erfolgt.
Satelliten und Getränkedosen
Ab jetzt stand deutlich mehr und günstigeres Aluminium zur Verfügung, weshalb in vielen Bereichen damit experimentiert wurde: in der Architektur, im Fahrzeug- und Flugzeugbau, der Metallverarbeitung und beim Militär. Insbesondere die beiden Weltkriege sorgen für die Durchsetzung von Aluminium als allgegenwärtiges Metall, wie Luitgard Marschall in ihrem Buch »Aluminium« erklärt. Nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckte man Aluminium als leichten Massenverpackungsstoff, etwa für Getränkedosen.
Aluminium schuf die technische Moderne – und umgekehrt: Wo etwas futuristisch aussehen sollte, griffen Designerinnen und Designer auf das silbrig schimmernde Metall zurück und verfestigten die Sehgewohnheiten einer neuen Epoche, in der glänzende Flugzeuge nonstop den Atlantik überquerten, Satelliten ihre Bahnen am Nachthimmel zogen und das Sandwich in der Folie steckte.
Der Weg vom stecknadelkopfgroßen Aluminium zum Alltagsprodukt hatte allerdings einen hohen Preis: Die Nutzung des Leichtmetalls stellt inzwischen ein gigantisches Umweltproblem dar. Nicht nur, weil durch seinen Einsatz zum Beispiel in Einwegverpackungen viel Energie verschwendet wird, sondern auch, weil die Herstellung mit giftigen Nebenprodukten einhergeht. Beim Abbau von Bauxit entsteht Rotschlamm, der in riesigen Auffangbecken gelagert wird und vor Ort zu einer gesundheitsgefährdenden Verschmutzung beiträgt.
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