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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte einer Großsabotage der Nazis

Nazi-Deutschland wollte den Kriegsgegner USA 1942 mit Sabotageaktionen überziehen. Doch unerwartet platzte der Plan. Das hatte gut 60 Jahre später ungeahnte Folgen, erzählen unsere Kolumnisten.
Das Unterseeboot U 8 der deutschen Kriegsmarine in den 1930er Jahren.
Das Unterseeboot U8 der deutschen Kriegsmarine in den 1930er Jahren. Mit U-Booten anderen Bautyps landeten 1942 acht deutsche Spione in den USA. Sie sollten dort Sabotageaktionen durchführen.
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« in ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Im Jahr 1683 führte Franz Daniel Pastorius eine Gruppe Siedler nach Pennsylvania und gründete dort die erste deutsche Ortschaft in der Neuen Welt. Germantown florierte, wurde ein Zentrum deutscher Kultur und Traditionen. Genau deshalb musste Pastorius' Name fast 260 Jahre später für einen geheimen Plan der Nazis herhalten, der Folgen bis ins 21. Jahrhundert hatte.

Wir springen ins Frühjahr 1942: Der Zweite Weltkrieg hatte Europa fest im Griff. Deutschland und Italien kontrollierten weite Teile des Kontinents, und die Alliierten, allen voran Großbritannien und die USA, standen unter erheblichem Druck. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor Ende 1941 waren die USA in den Krieg eingetreten, die Angst vor einer Invasion oder Sabotageakten der Deutschen stieg stetig.

Vor dem Kriegseintritt der USA hatten die Nazis immer wieder Sabotagepläne verworfen, um in Amerika keine antideutschen Ressentiments zu schüren. Das änderte sich mit der amerikanischen Kriegserklärung. Doch Deutschland stand vor einem Problem: Mitte 1941 hatte das FBI unter J. Edgar Hoover das größte deutsche Spionagenetzwerk in den Vereinigten Staaten ausgehoben. Für die Nazis war es also dringend an der Zeit, neue Pläne zu schmieden.

Pläne, die nun in die Hände der Abteilung »Abwehr II« des deutschen Militärnachrichtendiensts gelegt wurden. Mit U-Booten sollten Saboteure an die US-Ostküste gelangen. Die Operation erhielt den Namen »Unternehmen Pastorius« in Anlehnung an den visionären Siedler Franz Daniel Pastorius. Walter Kappe (1905–1944), ein altgedienter Nazi mit umfangreichen Kenntnissen über die USA, sollte die Saboteure rekrutieren und ausbilden. Kappe setzte dabei auf ein Netzwerk ausgewandeter Deutscher. Viele dieser Männer waren desillusioniert von den wirtschaftlichen Zuständen in Amerika wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Andere, die sich teils in nationalistischen Gruppen in den USA engagiert hatten, waren nach Kriegsbeginn dorthin zurückgekehrt, um gegen die Alliierten zu kämpfen.

Die Saboteure begannen ihr Training

Die ursprünglich 13 Männer begannen ihre Ausbildung ab dem Frühjahr 1942 auf einem abgelegenen Bauernhof in Brandenburg, der als getarntes Trainingslager diente. Zwischen Gewächshäusern und Hühnerställen wurde den Saboteuren in spe nähergebracht, was für angehende Spione unerlässlich war: der Umgang mit Sprengstoffen, der Nahkampf und das Schreiben mit unsichtbarer Tinte. Dazwischen lasen die Männer englischsprachige Zeitungen und Magazine, studierten Pläne der amerikanischen Infrastruktur und eigneten sich eine falsche Identität an.

Steckbrief | Die Fotos zeigen die acht deutschen Saboteure in einem Steckbrief des FBI: Oben ist die Gruppe um George Dasch (ganz links) abgebildet, unten die Gruppe um Edward Kerling (ebenfalls ganz links).

Am Ende blieben acht Männer übrig, die in zwei Teams aufgeteilt wurden: Die eine Gruppe unter der Führung von George John Dasch (1903–1991) sollte in Long Island, New York, ankommen, während die andere Gruppe unter Edward Kerling (1909–1942) in Florida an Land gehen sollte. Dort sollten vor allem Aluminiumwerke, die Teile für den Flugzeugbau produzierten, aber auch Verkehrsknotenpunkte und die Wasserversorgung großer Ballungsräume sabotiert werden.

Ein U-Boot setzte die Gruppe um Kerling am 16. Juni 1942 ohne Zwischenfälle in der Nähe von Jacksonville, Florida, ab. Die Landung der Dasch-Gruppe auf Long Island verlief nicht so reibungslos. Kurz nach Mitternacht am 12. Juni 1942 entdeckte ein Beamter der Küstenwache die Männer. Dasch versuchte, ihn zu bestechen und davon zu überzeugen, die Begegnung zu vergessen. Der Polizist gab vor, damit einverstanden zu sein, meldete den Vorfall jedoch sofort seiner Station, die wiederum das FBI informierte. Knapp zwölf Stunden nach der Landung von Daschs Team begann eine der größten Suchaktionen in der Geschichte der USA. In der Zwischenzeit hatten Daschs Leute ihre Ausrüstung im Sand vergraben und waren nach New York City gereist. Dort angekommen teilten sich die Männer in zwei Gruppen auf.

Das »Unternehmen Pastorius« endete, bevor es richtig losgegangen war

Wider Erwarten ließ nicht die Suchaktion des FBI das »Unternehmen Pastorius« scheitern, sondern Dasch selbst: Kurz nach seiner Ankunft in New York City stellte er sich den Behörden. Später soll er behauptet haben, es habe von Anfang an geplant, die Sabotageaktion zu vereiteln. Er wäre nie überzeugter Nationalsozialist gewesen und hätte seine Mitstreiter von Anfang an getäuscht.

Nachdem er sich seinem Gefährten Ernest Peter Burger (1906–1975) anvertraut hatte – auch dieser gab später an, dass er nie Sabotageakte durchführen wollte –, kontaktierte Dasch am 19. Juni 1942 das FBI. Er berichtete von den Sabotageplänen, verlangte jedoch, direkt mit FBI-Direktor J. Edgar Hoover zu sprechen. Der zuständige FBI-Agent am Telefon hielt Dasch allerdings für einen Spinner und wimmelte ihn ab. Also reiste der Deutsche auf eigene Faust nach Washington, wo er schließlich ernst genommen, verhaftet und verhört wurde. Bald darauf hatte das FBI alle acht Saboteure festgenommen. »Unternehmen Pastorius«, das nur das erste von vielen Sabotagekommandos hätte werden sollen, war damit selbst erfolgreich sabotiert worden.

US-Präsident Franklin D. Roosevelt (1882–1945) stand nun allerdings vor einem Problem: Da die Männer bei ihrer Verhaftung keine Uniformen trugen, galten sie nicht als Kriegsgefangene. Auch ein Prozess vor einem zivilen Gericht wäre problematisch gewesen, da die Männer noch keinen der geplanten Sabotageakte durchgeführt hatten. Roosevelt war aber überzeugt, dass zur Abschreckung ein Exempel statuiert werden musste.

Beschlagnahmte Ausrüstung | Als die deutschen Spione Ende Juni 1942 verhaftet wurden, stellte das FBI auch deren Ausrüstung sicher, darunter Bestandteile zum Bau von Sprengsätzen.

Die acht Männer kamen vor ein Militärtribunal, dem nur Generäle, aber keine Juristen vorsaßen. Ihr Verteidiger Kenneth Royall (1894–1971), ein Jurist, der erst seit einigen Monaten freiwillig in die US-Streitkräfte eingetreten war, sah darin ein Problem und veranlasste, die Rechtmäßigkeit dieses Tribunals vom Supreme Court prüfen zu lassen. Das Urteil im Fall »Ex parte Quirin«, der nach einem der Angeklagten benannt wurde, war einstimmig: Die Verurteilung durch ein Militärtribunal sei rechtmäßig, wie es der Politikwissenschaftler Louis Fisher in seinem Buch »Nazi Saboteurs on Trial« schildert.

Am 1. August 1942 endete der Aufsehen erregende Prozess, alle acht Männer wurden schuldig gesprochen und zum Tod durch den elektrischen Stuhl verurteilt. Zwei Tage später wurde das Urteil vollstreckt, allerdings nicht bevor die Todesstrafe für zwei Männer in Haftstrafen umgewandelt worden war. Dasch und Burger entkamen der Hinrichtung. Nach Kriegsende wurden sie aus den USA ausgewiesen.

Wie Guantanamo möglich wurde

Der Fall »Ex parte Quirin« schuf einen Präzedenzfall für die Behandlung von »feindlichen Kämpfern« – so hatte das Gericht die Männer bezeichnet. Obwohl schon zu jener Zeit und in den folgenden Jahrzehnten immer wieder heiß diskutiert, sollte das Urteil in den 2000er Jahren neue Brisanz – und Anwendung – finden.

Als US-Präsident George W. Bush nach den Anschlägen des 11. September 2001 nach Möglichkeiten suchte, mutmaßliche Terroristen ohne Urteil eines zivilen Gerichts einzusperren, verwiesen seine Juristen auf den Präzedenzfall der Nazi-Saboteure. Terroristen von Al-Kaida und jene, die dafür gehalten wurden, konnten nun ohne gerichtliche Anordnung auf unbestimmte Zeit im Gefangenenlager Guantanamo Bay festgehalten werden.

Das »Unternehmen Pastorius« blieb ohne Bedeutung für den weiteren Kriegsverlauf. Und dennoch entfaltete es eine ungeahnte Wirkung – gut 60 Jahre später.

  • Quellen

Dobbs, M.:Saboteurs. The Nazi raid on America. Knopf Doubleday Publishing Group, 2007

Fisher, L.:Nazi Saboteurs on trial: A military tribunal and american law. University Press of Kansas, 2003

O'Donnell, P.:In time of war: Hitler's terrorist attack on America. New Press, 2005

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