Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte vom großen Raubzug einer kunstsinnigen Königin
Nach drei Jahrzehnten voll Krieg und Verwüstung kommt endlich ein Ende in Sicht: Es ist der Sommer des Jahres 1648, der Westfälische Frieden steht kurz vor seiner Unterzeichnung. Noch aber streiten in Münster und Osnabrück die Unterhändler, noch fehlen die Unterschriften unter den wichtigsten Verträgen. Und wie die Bewohner Prags gerade erfahren: Noch ist der Dreißigjährige Krieg nicht vorbei.
Denn vor den Toren ihrer Stadt steht die Armee des schwedischen Generals Hans Christoph von Königsmarck. Prag ist für ihn eine Art Traumdestination: Bekanntermaßen ist die Stadt bis oben hin mit Gold, Silber und anderen Schätzen angefüllt.
Auch der Umstand, dass wenig Gegenwehr droht, ist verlockend. Seit der Niederlage der kaiserlichen Armee in der Schlacht bei Jankau drei Jahre zuvor gibt es keine nennenswerte Opposition mehr. Jetzt heißt es für die Schweden, vor dem sich abzeichnenden Kriegsende aus ihrer Übermacht Kapital zu schlagen.
Für Königsmarck wäre die Eroberung der Stadt die Krönung einer illustren Karriere, doch wie er bald erfahren wird, verbindet seine Königin, Christina von Schweden, noch ganz andere Hoffnungen mit dem Sturm auf die Stadt an der Moldau. Und so schickt sich Königsmarck am 26. Juli 1648 an, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen.
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Mit Hilfe eines gewissen Ernst Odowalsky von Streitberg, früher im Dienst der kaiserlichen Armee, nun als Überläufer für die Schweden tätig, kann Königsmarck mit einer kleinen Vorhut – nicht mehr als 100 Mann – durch ein schlecht gesichertes Stück Stadtmauer schleichen. Sie dringen zum Strahover Tor vor, öffnen es für den Rest der Truppen, und innerhalb kürzester Zeit, ohne nennenswerte Gegenwehr, ist die Prager Kleinseite besetzt. Damit auch die Prager Burg, der Hradschin.
Zwar wird es seinen Truppen bis Kriegsende nicht gelingen, auch den Rest der Stadt auf dem gegenüberliegenden Moldauufer einzunehmen, doch wie dem auch sei: Das Filetstück gehört ihnen bereits. Königsmarck gibt seinen Männern die Plünderung frei und füllt sich selbst angeblich fünf Wagen mit Gold und Silber.
Schätze der anderen Art
Das ist aber nicht alles, was es an Schätzen in Prag zu holen gibt. In der Goldenen Stadt hatte einst der äußerst kunstsinnige und bildungsbeflissene Kaiser Rudolf II. (1552-1611) eine Sammlung hinterlassen, die europaweit ihresgleichen suchte. Als am 5. August des Jahres Königin Christina von der Erstürmung der Prager Burg erfährt, lässt die 22-jährige Tochter Gustavs II. Adolf ihrem General ausrichten, er solle nicht vergessen, sich auch um die Bibliotheken und die künstlerischen Raritäten zu kümmern. »Wie ihr wisst, ist dies das Einzige, was mir wirklich wichtig ist«, fügt sie ihrer Nachricht an. General Königsmarck lässt sich das nicht zweimal sagen, allerdings weiß er, dass die Zeit nun drängt. Laut Artikel 16 des Friedensvertrags, dessen Unterzeichnung immer näher rückt, wäre es nicht erlaubt, Kriegsbeute außer Landes zu bringen. Was auch immer sie nun in Prag finden, es muss so schnell wie möglich nach Stockholm gelangen.
Und so beginnt im September 1648 der große Kunstraub von Prag. Königsmarcks Männer durchforsten die Stadt nach Büchern, Gemälden, Statuen und packen für den großen Transport, der die Beute ins eigene Land bringen soll.
Was wird mitgenommen?
Die Beute hat es in sich. Ganze Bibliotheken werden eingepackt, insgesamt mehr als 20 000 Bücher, darunter etwa auch der legendäre »Codex Gigas«, der innerhalb einer Nacht vom Teufel selbst geschrieben worden sein soll. Dass dieses Buch überhaupt in Prag war, hatte selbst mit einem Diebstahl zu tun: Kaiser Rudolf II. hatte sich das Buch von den Mönchen des Klosters Broumov im Jahr 1594 ausgeliehen, es allerdings nie wieder zurückgegeben.
Auch an die 700 Gemälde laden Königsmarcks Männer auf. Viele davon stammen von Guiseppe Arcimboldo, dem Hofmaler Rudolfs II. Und schließlich sind da noch unzählige Skulpturen, bevorzugt jene aus Marmor und Bronze, weil davon ausgegangen wird, dass nur sie den langen Transport nach Schweden überstehen. Etliche Bronzeskulpturen des niederländischen Bildhauers Adrian de Vries landen auf den Wagen, darunter auch einige, die für den kaiserlichen Feldherrn Wallenstein angefertigt wurden. Ohne Zweifel ein großer Triumph für die schwedischen Truppen.
Der Schatz landet in Schweden
Nach einer Reise über Land und auf Moldau und Elbe landet der Schatz schließlich im damals von Schweden okkupierten Dömitz. Hier, rund 50 Kilometer südostlich von Hamburg, überwintert der Treck. Ende Mai 1649 kommt er schließlich in Stockholm an.
Für Königin Christina sind die Kulturschätze ein großer Gewinn. Es geht ihr allerdings nicht um den rein monetären Wert, der Grund sitzt tiefer. Anfang des 17. Jahrhunderts war Schweden ein Land, das, verglichen mit den anderen Reichen Europas, arm an Kunst, Kultur und Bildung war. Mit ihrer Aufforderung an Königsmarck, Bücher und Kunst nicht zu vergessen, beabsichtigte die junge Königin wohl, Schwedens Position nicht nur machtpolitisch, sondern auch in Kultur- und Bildungsangelegenheiten zu verbessern.
Was bleibt?
Was von den Prager Kunstschätzen tatsächlich in Schweden ankam, ist nicht vollständig belegt. Funde diverser Kunstwerke in ganz Europa beweisen, dass einige Offiziere alliierter Truppen ihre eigenen Galerien oder Gärten mit Gemälden und Statuen schmückten.
Nachweisen lässt sich aber heute noch, dass die schwedische Königin ihre Bildungsinitiative in die Tat umsetzte: Viele Statuen, Bücher und Gemälde, die anfangs in den Händen der schwedischen Königin waren, tauchten später in den Museen, Bibliotheken oder Kirchen des Landes auf.
Das De-Vries-Museum in Stockholm, das größte seiner Art, ist zum überwiegenden Teil mit Bronzen aus Prag gefüllt, und auch der oben erwähnte »Codex Gigas« befindet sich noch heute in Schweden. Nach einem kurzen Aufenthalt in Königin Christinas Bibliothek ging er in den Besitz ihres Bibliothekars Isaac Vossius über, und nach diversen Verkäufen und Schenkungen landete er schließlich an der Universität von Uppsala, wo er sich immer noch befindet.
Die vielen Arcimboldo-Gemälde gelangten zwar auch in den Besitz der Königin, doch entsprachen sie offenbar wenig dem Geschmack der Königin. Nachdem Christina in einem Aufsehen erregenden Akt abgedankt und Land und Krone den Rücken gekehrt hatte, nahm sie viele Gemälde in ihr neues Domizil in Rom mit, Arcimboldos Gemälde aber blieben in Schweden.
Wer also heute sehen will, welche Kunstschätze das Prag des 17. Jahrhunderts zu bieten hatte, fährt wohl am besten einmal nach Schweden.
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