Direkt zum Inhalt

Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte über die Schicksalsjahre einer Kaiserin in Brasilien

Mit Sack und Pack floh Portugals König 1807 nach Brasilien. Bald darauf bescherte seine österreichische Schwiegertochter dem Land die Unabhängigkeit, erzählen unsere Kolumnisten.
Kolorierte Lithographie, die die Ankunft der Habsburgerin Leopoldine auf Schiffen in Rio de Janeiro zeigt.
Im November 1817 wurde Leopoldine von Österreich feierlich in Rio de Janeiro empfangen. Die Ehefrau des portugiesischen Thronfolgers Pedro bestieg später mit ihrem Mann den Kaiserthron von Brasilien. (zeitgenössische, kolorierte Lithografie)
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« in ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Eine gelbe Raute auf grünem Grund – die Farben der brasilianischen Flagge symbolisieren die Bodenschätze und Urwälder des Landes. Sagt man heute. Aber ursprünglich repräsentierten sie etwas völlig anderes: zwei europäische Herrscherhäuser. Grün stand für das Haus Braganza und gelb für die Habsburger. Und hätte es die beiden nicht nach Brasilien verschlagen, wer weiß, wie das Land seine Unabhängigkeit erlangt hätte.

Ihren Anfang nahm die Entwicklung im November 1807. Die portugiesische Königsfamilie begab sich samt ihrem Hofstaat auf die Flucht, weil napoleonische Truppen gen Lissabon marschierten – mit dem Ziel, die gesamte Iberische Halbinsel zu erobern. Die Herrscherfamilie der Braganza machte sich sicherheitshalber aus dem Staub. Der zurückgebliebenen Bevölkerung gab der Prinzregent João die Anweisung, sich den herannahenden französischen Soldaten nicht zu widersetzen.

Wenige Tage später nahmen die Franzosen die portugiesische Hauptstadt ein. Napoleon wollte das Land abstrafen dafür, dass es sich nicht an der Kontinentalsperre gegen England beteiligt hatte. Die Flucht der Königsfamilie stellte jedoch ein Novum dar: Plötzlich hatte eine europäische Kolonialmacht ihre Residenz in die Neue Welt verlegt.

Seit 1777 hatte mit Königin Maria I. (1734–1816) erstmals eine Frau auf dem portugiesischen Thron gesessen. Allerdings war sie nach einigen Jahren gesundheitlich nicht mehr in der Lage zu regieren. Und so übernahm Sohn João (1767–1826) als Prinzregent die Regierungsgeschäfte. Nach der Flucht, ab 1808, tat er dies von Rio de Janeiro aus. Während zur selben Zeit britische Soldaten in Portugal die Invasionsarmee der Franzosen zurückschlugen.

Der König blieb lieber im Exil

Im Jahr 1811 zog sich Napoleon endgültig aus Portugal zurück. Doch Prinzregent João, der sich im wirtschaftlich florierenden Brasilien pudelwohl fühlte, beschloss, in der südamerikanischen Residenzstadt zu bleiben und das Königreich weiterhin von der Kolonie aus zu regieren. An seiner statt übernahm William Beresford (1768–1854), Befehlshaber der britischen Truppen, in Portugal die Macht. Aber selbst noch im Jahr 1815, nachdem Napoleon endgültig besiegt war und seine letzten Jahre auf St. Helena fristete, unternahm João keinerlei Anstrengungen, zurückzukehren. Stattdessen erklärte er Brasilien zu einem gleichberechtigten Teil des Königreichs und regierte von nun an das Vereinigte Königreich von Portugal, Brasilien und der Algarve – mit Residenz in Rio de Janeiro.

Zu Hause wurden inzwischen Stimmen lauter, die einen endgültigen Abzug der britischen Truppen und eine Rückkehr der Braganza forderten. Denn die Lage in Portugal war katastrophal. Der Krieg gegen Frankreich hatte das Land verwüstet, die Industrialisierung steckte fest und die Wirtschaft lag in den Händen der Engländer. Brasilien hingegen blühte auf, nicht zuletzt auf Grund des lukrativen Sklavenhandels.

Eine Habsburgerin in Brasilien

Zur selben Zeit war Klemens Wenzel Fürst von Metternich in Wien auf der Suche nach einem passenden Ehemann für Erzherzogin Leopoldine (1797–1826), der vierten Tochter des Kaisers. Die Habsburger waren bekanntlich Meister der Heiratspolitik, der sie ihre Großmachtstellung verdankten. Kaiser Franz I. soll jedoch nicht begeistert gewesen sein, als Metternich ihm einen Abkömmling Joãos VI. als Schwiegersohn vorschlug, den portugiesischen Thronfolger Pedro. Dieser drängte auf die Hochzeit, wohl auch in der Überzeugung, dass Leopoldine nur kurzzeitig in Brasilien leben müsste. War doch damit zu rechnen, dass die Braganza ihre Residenz bald wieder nach Portugal zurückverlegen würden. Eine Fehleinschätzung, wie sich noch zeigen sollte.

Maria Leopoldine von Österreich | Das Gemälde des österreichischen Malers Joseph Kreutzinger zeigt die spätere Kaiserin von Brasilien im Jahr 1815.

Es folgte die Hochzeit und Leopoldines Überfahrt nach Brasilien. Mit der Erzherzogin setzten nicht nur die Mitglieder ihres Hofstaats über den Atlantik, sondern auch zahlreiche Gelehrte. Es war der Beginn der großen Österreichischen Brasilien-Expedition – eine Forschungsreise zur Erkundung Brasiliens, die bis in die 1830er Jahre andauerte. Der Naturforscher Johann Natterer ließ in diesen Jahren zehntausende Objekte nach Wien verschiffen, darunter mehr als 30 000 Insekten und 1000 Säugetiere, wie die Kulturhistorikerin Ursula Prutsch von der LMU München in ihrem Buch »Leopoldine von Habsburg: Kaiserin von Brasilien – Naturforscherin – Ikone der Unabhängigkeit« schreibt.

Doch zunächst verzögerte sich die Abfahrt. In Brasilien waren mit Simón Bolívar und den Südamerikanischen Unabhängigkeitskriegen politisch unruhige Zeiten angebrochen. Aber nicht nur in Brasilien bekamen die Braganzas Probleme: In Portugal hatte sich eine liberale Bewegung formiert, die eine Verfassung für das Land forderte und ein Ende der britischen Besatzung. Beresford reiste nach Brasilien und bat den König, nach Lissabon zurückzukehren. Aber João VI. lehnte ab. Bei seiner Rückkehr musste Beresford allerdings feststellen, dass ihm der Weg nach Lissabon versperrt wurde und seine Offiziere entwaffnet worden waren. Die Aufständischen verabschiedeten daraufhin eine Verfassung und forderten den König auf, Brasilien zu verlassen. Widerwillig beugte er sich den Forderungen. Nach 14 Jahren kehrte João in die portugiesische Hauptstadt zurück.

Stabilisieren konnte er die politische Lage jedoch nicht – ganz im Gegenteil. Seine Frau Carlota Joaquina und sein jüngster Sohn Miguel, die mit dem König heimkehrten, bekämpften die liberale Revolution und setzten João sogar fest. Mit britischer Unterstützung konnte er sich befreien. Miguel floh daraufhin ins Exil nach Wien zu Metternich. Später kehrte er zurück und bestieg den portugiesischen Thron.

Pedro wollte fliehen, Leopoldine suchte eine Lösung

Anders als sein Vater waren Thronfolger Pedro und seine Frau Leopoldine in Brasilien geblieben. Beide hatten keinerlei politische Erfahrung – in einer unübersichtlichen und sehr instabilen Lage.

Ιn einem Brief berichtete Leopoldine ihrem Vater nach Wien, dass jeden Tag neue Aufstände ausbrachen und viele Regionen erklärten, sich selbst zu regieren. Das riesige Land drohte auseinanderzubrechen. Leopoldine und Pedro einte in dieser Zeit die Sorge vor einem Umsturz. Auch aus Portugal kamen bedrohliche Nachrichten: Die Cortes, das portugiesische Parlament, forderte, die politische Gleichstellung Brasiliens rückgängig zu machen.

Pedro schwankte. Überfordert von der Situation spielte er mit dem Gedanken, seinem Vater zu folgen und sich nach Europa abzusetzen. Ein Schritt, den Leopoldine verhinderte. Sie überzeugte ihn zu bleiben und machte ihm klar, dass die territoriale Einheit des Landes nur garantiert wäre, wenn sie beide Brasilien nicht den Rücken kehren würden. Sie appellierte an sein Pflichtbewusstsein. Und das, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschte, als nach Europa heimzukehren. Je länger sie sich in Brasilien aufhielt, desto isolierter lebte sie am Hof. Ihre Vertrauten hatten Rio de Janeiro nach und nach verlassen.

Unabhängigkeit oder der Tod!

Im August 1822 spitzte sich die Lage zu: Pedro reiste nach São Paulo und übergab Leopoldine die Regierungsgeschäfte. Da tauchte plötzlich ein portugiesisches Kriegsschiff in der Bucht von Rio auf, und erneut brach ein Aufstand aus. Leopoldine handelte. Sie berief den Staatsrat ein. Gemeinsam entschied man: Brasilien soll unabhängig werden!

»Independência ou Morte!« – »Unabhängigkeit oder der Tod!« Mit dieser Parole erfolgte die Loslösung von Portugal. Es war eine Revolution von oben. Pedro, der weiterhin designierter König von Portugal war, stieg zum Kaiser von Brasilien auf und Leopoldine zur Kaiserin. Sein Vater nahm ihm diesen Schritt nicht übel. »Pedro, setze dir selbst die Krone aufs Haupt, ehe es irgendein Abenteurer tut«, soll er ihm geraten haben.

Ohne die Entscheidung, die Leopoldine herbeiführte, würde Brasilien in seiner heutigen Form wohl nicht existieren. Vermutlich wäre das riesige Land in kleine Einzelstaaten zerfallen. Und: Seitdem zeigt die brasilianische Flagge eine gelbe Raute auf grünem Grund.

Das tragische Schicksal der Kaiserin

Leopoldines Leben nahm hingegen eine furchtbare Wende. Ihr Dasein am brasilianischen Hof wurde zur Hölle. Pedro, so heißt es, suchte jede Gelegenheit, sie zu demütigen, und machte auch vor gewalttätigen Übergriffen nicht Halt. Leopoldine war weitgehend isoliert und konnte sich nicht zur Wehr setzen. Einer ihrer Schwestern in Europa schrieb sie in einem Brief, sie lebe »im Zustand der schwärzesten Melancholie«.

Ende 1826 erlitt sie eine Fehlgeburt und starb kurz darauf – bevor sie ihre habsburgische Familie jemals wiedersehen konnte. In Österreich geriet Leopoldine bald in Vergessenheit, während sie in Brasilien bis heute als Ikone der Unabhängigkeit gefeiert wird.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.