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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte eines Eimers, der einen Krieg auslöste – angeblich

Im mittelalterlichen Italien schlugen sich Anhänger von Papst und Kaiser regelmäßig die Köpfe ein. Aber wegen eines Eimers? Unsere Kolumnisten erzählen, wie es wirklich war.
Eine Nachbildung des Eimers in der Ghirlandina in Modena
In Modenas Wahrzeichen, dem Glockenturm Ghirlandina, hängt eine Nachbildung des Eimers, der ursprünglich einmal aus dem Besitz Bolognas stammte – und sogar Auslöser eines Kriegs zwischen den beiden Städten gewesen sein soll.
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Kann ein simpler Holzeimer wirklich Auslöser eines Krieges sein? Noch dazu zwischen zwei so reichen und bedeutenden Städten, wie es Bologna und Modena im Mittelalter waren? Bis heute wird die Geschichte vom »Eimerkrieg« so erzählt. Steht sie doch schließlich auch genau so im Gedicht »Der gestohlene Eimer«, das der Modeneser Dichter Alessandro Tassoni im Jahr 1622 veröffentlichte: Die kühnen Modeneser stibitzten besagtes Schöpfgefäß von den Rivalen aus Bologna, woraufhin diese zum Kriegszug rüsten. Und natürlich den Kürzeren ziehen.

Gut, die weitere Handlung sieht auch noch den Auftritt der olympischen Götter und eines Grafen »von Arschland« vor, man darf sich also beim Lesen durchaus Gedanken machen über die Historizität des Ganzen. Aber den Krieg zwischen den beiden Städten gab es. Zweifel ausgeschlossen. Und noch heute wird im Rathaus von Modena ein Eimer aufbewahrt, der in jenem Krieg eine Rolle gespielt haben soll. Allerdings eine ganz andere, als Tassoni in seinem »heroisch-komischen« Gedicht behauptete.

Um zu verstehen, worum es in dem Streit tatsächlich ging, müssen wir ein bisschen weiter zurückschauen. Im 11. und 12. Jahrhundert zeichnete sich ein schleichender Niedergang der kaiserlichen Zentralgewalt ab, die sich auftuenden Lücken im Machtgefüge nutzten neben der Kirche auch die Städte. Handel und Handwerk hatten sie zu mächtigen Kommunen gemacht, nun beanspruchten sie Autonomie und schufen sich eigene Regierungsstrukturen. Das wiederum brachte sie in Konflikt mit dem Adel und jenen geistlichen Fürsten, die bislang diese Macht ausgeübt hatten.

Der Investiturstreit zwischen Kaiser Heinrich IV. und Papst Gregor VII. um das Recht, Bischöfe und Äbte einzusetzen, markierte einen Wendepunkt in der Geschichte des mittelalterlichen Europas. Er führte zu einer tiefen Spaltung innerhalb der christlichen und vor allem der italienischen Welt. Eine Spaltung, die zwei Fraktionen hervorbrachte: zum einen die Guelfen, deren Name sich von den Welfen ableitet, den Gegnern der kaiserlichen Staufer. Sie unterstützten die päpstliche Autorität und die Autonomie der Städte. Und zum anderen die Ghibellinen, abgeleitet von der süddeutschen Ortschaft Waiblingen, dem Stammsitz der Hohenstaufen-Dynastie. Sie standen an Seite der kaiserlichen Macht, ihre Anhänger rekrutierten sich vor allem aus dem hohen Adel.

Es war eine Rivalität, die das gesamte soziale Gefüge des mittelalterlichen Italiens durchdrang. Wer mit den Guelfen sympathisierte und in einer ghibellinisch geprägten Stadt lebte, musste entweder so gut es ging den Kopf einziehen oder sich eine neue (politische oder geografische) Heimat suchen. Umgekehrt galt natürlich das Gleiche.

Immer wieder aber mündete das Machtgerangel in offenen, blutigen Kämpfen. Im Jahr 1260 schickte das guelfische Florenz zum Beispiel 30 000 Krieger gegen das ghibellinische Siena, das seinerseits 20 000 Mann aufbot. Die Schlacht von Montaperti endete mit einer herben Niederlage für Florenz, was der florentinische Dichter Dante Alighieri noch Jahrzehnte später voller Erschütterung nacherzählte. Dass der in eine guelfische Familie geborene Dante schließlich selbst die Stadt verlassen musste, nachdem Florenz die Seiten wechselte, entbehrt da nicht einer gewissen Ironie.

Einige Jahrzehnte später waren dann Bologna und Modena an der Reihe, diesen jahrhundertelang währenden Streit mit Waffengewalt auszufechten.

Im frühen 14. Jahrhundert war Bologna eine der reichsten und bedeutendsten Städte Norditaliens. Dank der im Jahr 1088 gegründeten Universität, einer der ersten überhaupt, war die Stadt ein europaweit anerkanntes Zentrum der Gelehrsamkeit. Hinter ihren Mauern konkurrierten oligarchische Familien um die Macht, was zu einer stabilen Verwaltung und einer starken militärischen Präsenz führte. Die vorherrschende Fraktion waren die Guelfen.

Modena, knapp 50 Kilometer westlich gelegen, teilte viele dieser Merkmale. Die Stadt war durch Landwirtschaft und Handwerk, insbesondere Keramik und Textilien, ebenfalls zu beträchtlichem Reichtum gekommen. Anders als Bologna war Modena jedoch tief in der ghibellinischen Fraktion verankert, was zu ständigen Spannungen mit seinen guelfischen Nachbarn führte.

Der »Eimerkrieg« von 1325 war nichts anderes als die gewaltsame Entladung dieser aufgeladenen Atmosphäre in einem Regionalkrieg von durchaus beachtlichen Ausmaßen. Auslöser waren territoriale Fragen, die wieder eng mit den grundsätzlichen Streitigkeiten zwischen Guelfen und Ghibellinen zu tun hatten. Der Stauferkaiser Friedrich II. hatte einige Jahrzehnte zuvor den Grenzverlauf zwischen beiden Städten festgelegt und dabei die beiden Ortschaften Bazzano und Savigno dem Territorium seiner Parteigänger in Modena zugeschlagen. Mit Rückendeckung von Papst Bonifatius VIII. eroberten die guelfischen Bologneser sie wenig später zurück und ließen sich den neuen Grenzverlauf vom katholischen Oberhaupt bestätigen – was die Modeneser nicht anerkannten.

Die Situation eskalierte schließlich, als Modena die Festung Monteveglio auf dem Gebiet Bolognas eroberte, woraufhin die Stadt eine groß angelegte Mobilisierung begann. Am 15. November 1325 trafen die Heere beider Städte in der Schlacht von Zappolino, knapp sechs Kilometer südlich von Monteveglio, aufeinander. Mit über 30 000 Fußsoldaten und einem kleinen Kavalleriekontingent war Bologna dem kleineren Modena, zumindest was die Zahl der Truppen anging, weit überlegen. Trotzdem siegten die Modeneser, nicht zuletzt, weil sie über kampferprobte deutsche Söldner in ihren Reihen verfügten.

Modena verfolgte die fliehenden Truppen bis zu den Toren Bolognas und schleifte unterwegs zwecks Machtdemonstration auch gleich einige Burgen des Rivalen. Eine Belagerung der Stadt, hinter deren Mauern sich die verbliebenen Truppen verschanzt hatten, erwies sich jedoch schnell als wenig sinnvoll. Stattdessen manipulierte Modena die Schleuse eines vor der Stadt gelegenen Flusses, um die Wasserversorgung Bolognas zu stören. Wohl als symbolische Geste dieser Erniedrigung wurde ein Holzeimer, gefunden an einem der Brunnen vor der Stadt, als Trophäe mitgenommen. Eine Geste, die, wie Elke Goez in ihrem Buch »Geschichte Italiens im Mittelalter« beschreibt, durchaus in die Zeit passte – so waren im Zuge früherer Auseinandersetzungen gerne mal Gemeindeglocken, Torschlüssel oder auch ganze Stadttore unterlegener Städte erbeutet worden.

Für die weitere Entwicklung der italienischen Stadtstaaten spielte der Krieg so gut wie keine Rolle. Der Sieg Modenas verschob das Machtgefüge nur vorübergehend. Der Konflikt zwischen Guelfen und Ghibellinen setzte sich fort. Erst im 15. Jahrhundert nahm die Bedeutung der beiden Fraktionen ab.

Ohne den gestohlenen Eimer, dessen Nachbildung heute auch im Glockenturm Ghirlandina, einem Wahrzeichen der Stadt Modena, zu bestaunen ist, wäre der Konflikt wahrscheinlich als einer von zahllosen anderen in die Geschichte eingegangen. So aber wurde er, nicht zuletzt dank Allessandro Tassonis komödiantischen Gedichts, das 1772 von Antonio Salieri sogar vertont wurde, zu einem Mythos – einer Anekdote, an der sich die gesamte politische und soziale Landschaft des mittelalterlichen Italiens aufspannen lässt.

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