Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte von Eldorado und dem Konquistador aus Unterfranken
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Die Mengen an Gold und Silber müssen Philipp von Hutten massiv beeindruckt haben. Am spanischen Hof in Toledo beobachtete er, wie Hernando Pizarro im Februar 1534 sechs Tonnen Gold und zwölf Tonnen Silber an Karl V. übergab. Es war der fünfte Teil jener Beute, die Pizarro und weitere Konquistadoren in Peru gemacht hatten, nachdem sie Atahualpa, den letzten Herrscher des Inkareichs, gefangen genommen und dann getötet hatten.
Von Hutten war deutscher Adliger, stammte aus Unterfranken und hielt sich schon seit Jahren im Gefolge von Karl auf, dem spanischen König und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs. Jetzt packte ihn offenbar das Verlangen nach Gold. Angesichts der Reichtümer, die hier den Besitzer wechselten, war er überzeugt: Die Gerüchte über ein sagenumwobenes Goldland mussten wahr sein. Ein mythischer Ort voller Gold und Reichtümer? Eldorado! Die spanischen Konquistadoren glaubten längst ihrer eigenen Propaganda vom inzwischen berühmtesten aller legendären Goldländer. Nun auch von Hutten.
Er schloss sich den deutschen Konquistadoren an. Dass sich Landsleute von ihm auf dem amerikanischen Doppelkontinent umtaten, lag an einer Augsburger Handelsfamilie, den Welsern. Kaiser Karl V. hatte Bartholomäus V. Welser im Jahr 1528 einige Landstriche Südamerikas als Lehen übergeben. Bei den Deutschen hieß das Land »Klein-Venedig«, auf Spanisch: Venezuela. Für die Kaufleute war dieser Vertrag mit Handelsvorteilen verbunden, im Gegenzug verpflichteten sie sich, Siedlungen anzulegen, die indigene Bevölkerung zum katholischen Glauben zu bekehren und eine Verwaltung einzurichten.
Doch die Welser-Gouverneure in Klein-Venedig dachten nicht daran, ihren Aufbauverpflichtungen nachzukommen – sie wollten maximalen Profit aus dem kolonialen Unterfangen ziehen. Also suchten sie lieber nach Gold. Eine Expedition reihte sich an die nächste, immer in der Hoffnung, hinter der nächsten Bergkette auf Eldorado zu stoßen.
Unersättliche Gier nach Gold
Insbesondere hofften sie, noch vor ihren zahlreichen Konkurrenten das Goldland zu finden. Konquistadoren waren zwar im Namen der Krone unterwegs, mussten aber ihre Eroberungszüge selbst finanzieren und trugen dementsprechend ein finanzielles Risiko, wie Vitus Huber in seinem Buch »Beute und Conquista. Die politische Ökonomie der Eroberung Neuspaniens« schreibt. Daher rührte auch ihr chronisches Verlangen nach dem Edelmetall: Bodenschätze waren die ertragreichste Einnahmequelle. Auf ihrer Jagd nach Reichtum und Ehre zerstörten sie innerhalb weniger Jahrzehnte zahlreiche indigene Kulturen und Großreiche wie das Azteken- oder das Inkareich. Nur Eldorado zerstörten sie nicht. Weil sie es nicht fanden.
Wörtlich übersetzt heißt »el dorado« schlicht »der Goldene«. Wer war damit gemeint? Die ursprüngliche Gestalt der von Indigenen erzählten Legende verschwimmt in den Aufzeichnungen spanischer Chronisten und Konquistadoren. Doch es gibt eine begründete Vermutung, dass es sich bei »dem Goldenen« um eine Figur aus einem Ritual der Muisca handelte, die in der Nähe von Bogotá im heutigen Kolumbien lebten.
Der wahre Kern des Eldorado-Mythos
Zum Amtsantritt jedes neuen Herrschers soll dort am Ufer des kleinen Bergsees in der Nähe ihrer religiösen Hauptstadt Guatavita ein Floß mit Gold und Edelsteinen beladen worden sein. Dann bestieg der neue Herrscher – nackt und den gesamten Körper mit Goldstaub bedeckt – das Floß, um anschließend die Reichtümer im See zu versenken und sich durch einen Sprung ins Wasser das Gold vom Körper zu waschen. Das haben gefangene Muisca wohl den Konquistadoren erzählt.
Dass das Ritual durchaus so stattgefunden haben könnte, zeigt ein Fund aus dem Jahr 1969. Damals wurde in einer Höhle bei Bogotá das Modell eines goldenen Floßes gefunden. Das »Goldfloß von Eldorado« ist 18 Zentimeter lang, lässt sich auf das 14. Jahrhundert datieren und zeigt ein Floß mit elf menschlichen Figuren – eine davon größer und in der Mitte sitzend. Vielleicht »der Goldene«? Wenn die Legende einen historischen Kern hat, dann ist er hier zu finden.
Im Jahr 1536 erreichte der erste spanische Konquistador den Bergsee in Guatavita. Er ordnete an, was in den nächsten Jahrhunderten mehrfach versucht wurde: den See trockenzulegen. Einer der spektakulärsten Versuche, Goldschätze vom Grund des Sees zu bergen, fand im Jahr 1898 statt. Eine britische Firma grub einen Tunnel, durch den der See vollständig entwässert wurde. Was man nicht bedachte: Der Schlamm am frei gelegten Seeboden trocknete schnell aus und wurde hart wie Beton. Nachdem der Schlamm den Tunnel blockierte, füllte sich der See auch schnell wieder mit Wasser.
Aber zurück zu den deutschen Konquistadoren. Der erste Welser-Gouverneur Ambrosius Dalfinger war 1533 auf der Suche nach Eldorado gestorben. Als sich sein Nachfolger Georg Hohermuth von Speyer auf den Weg nach Venezuela machte, schloss sich ihm der 29-jährige Philipp von Hutten an. 1535 erreichten sie Südamerika und starteten sofort einen Beutezug ins Landesinnere, brannten zahlreiche Dörfer nieder und versklavten die Bevölkerung.
Klein-Venedig nimmt ein desaströses Ende
Drei Jahre lang irrte der Trupp herum. Von ursprünglich 400 Mann waren nur noch 160 am Leben. Von Speyer musste die Expedition abbrechen, um einer Meuterei zuvorzukommen. Überzeugt davon, dass sie nur wenige Tagesreisen vor Eldorado hatten umdrehen müssen, kamen sie 1538 wieder, freilich nur für die Einsicht, dass das Goldland doch woanders zu liegen schien. Bevor der Gouverneur zur dritten Expedition aufbrechen konnte, starb er im Juni 1540 an einem Fieber. Von Hutten wurde daraufhin Generalkapitän von Venezuela und damit militärischer Oberbefehlshaber.
Auch er sah seine Hauptaufgabe darin, das Gold von Eldorado zu finden. Im August 1541 machte sich eine Expedition unter seinem Kommando auf den Weg. Mit dabei: Bartholomäus Welser der Jüngere, der älteste Sohn des Chefs der Augsburger Welser-Gesellschaft. Sie peilten das ehemalige Muisca-Reich an, das die spanische Krone, im Glauben an jene gigantischen Reichtümer, allerdings für sich beanspruchte.
Diesmal dauerte die Irrfahrt fast vier Jahre. Anfang 1545, mitten in der südamerikanischen Wildnis, mussten sie sich ihr Scheitern eingestehen. Bitterer aber noch dürfte sie die Erkenntnis getroffen haben, dass sich die Welt in den vier Jahren ihrer Abwesenheit weitergedreht hatte. Nicht allein, dass Kaiser Karl mit den »Neuen Gesetzen« seine Konquistadoren, auch die deutschen, de facto kaltgestellt hatte, mit Juan de Carvajal hatte sich überdies ein ehemaliger Mitarbeiter der Welser zum neuen Gouverneur Venezuelas erklärt.
Ein Doppelmord und kein Paradies
Dieser dachte nicht daran, den Rückkehrern das Feld zu räumen. Im Jahr 1546 kam es zu einem Scharmützel mit von Hutten und Bartholomäus Welser. Der angeschlagene Carvajal sicherte ihnen daraufhin freies Geleit an die Küste zu. Seinen Überfall auf ihr Lager wenig später sahen die Welser nicht kommen. Carvajal ließ die beiden Hauptgegner in Ketten legen, um sie Mitte Mai 1546 schließlich ganz aus dem Weg zu räumen. So endete Philipp von Hutten, der seit seinem Erlebnis am spanischen Königshof für seinen Traum vom Gold über Leichen gegangen war, selbst durch Ermordung, genau wie sein Genosse Bartholomäus Welser. Zwölf Jahre hatte von Hutten in Südamerika verbracht.
Es war auch das Ende des Welser-Abenteuers in Venezuela. Noch im selben Jahr kündigte Karl V. den Vertrag mit der Augsburger Handelsfamilie, äußerst unzufrieden mit der Kolonialpolitik der Welser, die in seinen Augen den Kronvertrag nicht erfüllt hatten. Dennoch ließ der Hof den Mord an von Hutten und Welser untersuchen, was zur Verurteilung und Hinrichtung von Carvajal führte.
Immer seltener brachen nun noch Expeditionen zu einer Suche nach Eldorado auf. Die Zeit der Eroberungen durch die Konquistadoren ging zu Ende, es begann die Zeit der Kolonialisierung. Nun wurde das sagenhafte Goldland tatsächlich entdeckt – als attraktives Ziel fiktiver Reiseberichte, als griffiger Name eines Sehnsuchtsorts, als Paradies. Ein Paradox, wenn man bedenkt, wie viel Leid und Verderben die Gier nach seinem Gold ausgelöst hat, nicht nur bei den Opfern unter den Indigenen, sondern auch bei jenen, die es vergeblich suchten.
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