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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte einer Frau, die eine Invasion vereitelte

Frankreich unternahm 1797 den kühnen Versuch, Großbritannien zu erobern. Doch die Invasion scheiterte an einer Mistgabel und einer fatalen Verwechslung, wie unsere Geschichtskolumnisten erzählen.
Stich aus dem Jahr 1797, der das Scheitern der ersten Invasion Großbritanniens durch Frankreich 1796 zeigt.
Der Versuch einer Invasion 1796 endete im Desaster: Weil die Wetterbedingungen eher ungünstig waren, konnten die französischen Schiffe nicht an der englischen Küste landen. Der später kolorierte Stich entstand 1797.
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« in ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Die Französische Revolution versetzte Europa in Aufruhr. Hatte Frankreich doch die Feudalordnung abgeschafft, die Ländereien neu verteilt und eine Republik geschaffen, die die Gesellschaft gerechter machen sollte. All das löste in den Monarchien Europas jedoch blanke Existenzangst aus. Und so hielt keiner mehr still. Was auf 1792 folgte, war Krieg. Die europäischen Monarchien, die sich über Jahre hinweg in wechselnden Allianzen zusammenschlossen, fochten mit Frankreich die so genannten Koalitionskriege aus. Frankreich schlug den militärischen Weg auch ein, um seine revolutionären Ideale auf dem Kontinent zu verbreiten. Großer Widersacher jenes Plans: Großbritannien!

Einer, der damals seine Gelegenheit gekommen sah, war der Revolutionär Theobald Wolfe Tone (1763–1798). Der Ire und Gründer der republikanischen Society of United Irishmen war 1796 nach Frankreich gereist, um Unterstützung für die irischen Unabhängigkeitsbestrebungen zu finden. Dort stieß er mit seiner Idee auf offene Ohren, das Direktorium übertrug die Aufgabe an General Lazare Hoche. Das hochdekorierte Mitglied der Republikanischen Armee heckte nun einen Plan aus, der tollkühner gar nicht sein konnte.

Eine Invasion über Umwege

Nichts Geringeres wurde geplant als eine Invasion Großbritanniens – über einen klitzekleinen Umweg: Irland. England sollte so militärisch von innen heraus geschwächt werden. Auch erhoffte man sich, eine Revolution loszutreten, nicht unähnlich der französischen. Die Hauptflotte Frankreichs mit 15 000 Mann sollte in Bantry Bay in Irland landen, zwei kleinere Flotten steuerten Newcastle und Cornwall an, von wo aus sie eine Art Guerillakrieg führen sollten. Aber es lief nicht wie geplant. Die Landungen in England wurden aus Witterungsgründen abgeblasen, und die Invasion Irlands scheiterte einerseits am Wetter und andererseits an der Inkompetenz der französischen Marine. So waren vier Schiffe bereits kurz nach Aufbruch miteinander kollidiert.

Doch die Geschichte war hiermit nicht zu Ende. Anfang 1797 entwarfen die Franzosen einen neuen Plan. Diesmal lautete das Ziel, direkt an der Südküste Englands zu landen, dann bis zum Handelsstützpunkt Bristol vorzudringen, dabei Brücken und Herrenhäuser des Adels zu zerstören und wenn möglich die lokale Bevölkerung gegen die Krone aufzubringen.

Kommandant der neuen Invasionstruppe war William Tate, ein irisch-amerikanischer Offizier. Weil er – glühender Verfechter der Französischen Revolution – in seiner Heimat South Carolina spanische Gebiete für Frankreich erobert hatte, drohte ihm ebenda Gefängnis. Tate setzte sich daher nach Frankreich ab. Er traf den bereits erwähnten Theobald Wolfe Tone und kam so mit dem glücklosen Kommandanten der irischen Expedition, General Hoche, in Kontakt. Hoche sah in ihm den richtigen Mann für den neuerlichen Versuch einer Invasion.

Mit vier Schiffen und 1200 Mann, von denen mindestens die Hälfte Zwangsarbeiter aus den Schiffswerften von Brest waren, legte Tate am 18. Februar 1797 von Camaret in Frankreich in Richtung Bristolkanal ab. Als die Soldaten dort ankamen, machte ihnen das Wetter wieder einen Strich durch die Rechnung. Tate und seine Truppe mussten einen alternativen Landungsort ansteuern. Sie entschieden sich für Cardigan Bay im walisischen Pembrokeshire.

Was als strategischer Coup begann, verwandelte sich schnell in ein Desaster

Am 22. Februar 1797 gelang es Tate und seiner »Schwarzen Legion« – weil es an einheitlichen Uniformen fehlte, wurde die Kleidung kurzerhand schwarz gefärbt –, in der Nähe der kleinen walisischen Stadt Fishguard anzulanden. Später meinten manche Historiker trocken, dass die Landung das einzig geglückte Manöver der Invasion gewesen sei. Denn was als strategischer Coup begann, verwandelte sich schnell in ein Desaster. Die Bevölkerung von Fishguard und Umgebung wollte nämlich von einer Revolution nichts wissen und leistete Widerstand. Die französischen Truppen, schlecht ausgerüstet und auf die harschen Wetterbedingungen unvorbereitet, begannen bereits am ersten Tag zu plündern. Bald schon zerfiel auch der Truppenverband.

Jemima Nicholas und die 400 Frauen von Fishguard

Dass die Invasion vollends scheiterte, lag aber noch an einer anderen Sache. Die Schlüsselfigur war die lokale Schusterin Jemima Nicholas (1755–1832). Laut Überlieferungen soll sie, bewaffnet mit nichts weiter als einer Mistgabel, eine Gruppe französischer Soldaten gefangen genommen und in einer Kirche eingesperrt haben. Obwohl der Historiker Hywel Davies im Essayband »Footsteps of ›Liberty and Revolt‹« aus dem Jahr 2013 diese Anekdote eher als eine Erfindung des viktorianischen Zeitalters einordnet, spielten die Frauen von Fishguard tatsächlich eine verbriefte Rolle in der Abwehr der Invasion.

Bekleidet mit traditionellen roten Flanellschals, ähnelten sie aus der Ferne sehr stark den Red Coats, also den britischen Soldaten mit ihren roten Uniformjacken. Tate und seine Männer gingen angesichts dieser vermeintlich über 400 Mann starken Truppe, die ihnen zusätzlich zu den mittlerweile angerückten knapp 500 Soldaten der Briten gegenüberstand, von einer Übermacht aus. Sie selbst waren nur für Guerillakampf ausgerüstet und daher schlecht gewappnet für eine direkte Konfrontation mit britischen Kontingenten. Tate blieb nach weniger als zwei Tagen der Invasion keine Wahl mehr.

Am 24. Februar kapitulierte er bedingungslos vor den britischen Kräften. Der Einmarsch, der als die letzte Invasion Großbritanniens in die Geschichte eingehen sollte, war gescheitert. Tate und seine Männer wurden gefangen genommen und später nach Frankreich zurückgeschickt. Während dort der Misserfolg heruntergespielt wurde, entwickelte sich daraus in Großbritannien, nicht zuletzt auf Grund der vermeintlichen Mitwirkung der Schusterin Jemima Nicholas, ein nationaler Mythos.

Das hatte auch damit zu tun, dass sich Wales damals zu einem Tourismus-Hotspot für wohlhabende Engländerinnen und Engländer entwickelte. Die Gäste wollten auf den Spuren der Franzosen und ihrer glücklosen Invasion wandeln. Historische Romane, die ab dem späten 19. Jahrhundert die Invasion zum Thema nahmen, sorgten für eine weitere Mythologisierung.

In der Geschichtsschreibung der Revolutionskriege nimmt die Invasion eigentlich nicht mehr als eine Fußnote ein, doch in der Geschichte von Wales ist sie heute noch eine bekannte Episode. Die Menschen in Fishguard und darüber hinaus erinnern daher weiterhin an die letzte Invasion Großbritanniens und vor allem an die Rolle der Schusterin Jemima Nicholas. Ähnlich dem berühmten Teppich von Bayeux, der die Invasion Englands im Jahr 1066 darstellt, hängt heute im Rathaus von Fishguard ein Teppich, der die Vorgänge der französischen Invasion von 1797 wiedergibt. Überdies wurde Jemima Nicholas Anfang 2024 eine »Blue Plaque« verliehen, ein Schild samt Ehrung, die der heroischen Taten walisischer Frauen gedenkt.

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