Hirschhausens Hirnschmalz: Skepsis kostet Kraft - und Poesie
Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsre Augen sie nicht sehn.
Das ist meine Lieblingsstrophe aus Matthias Claudius' Abendlied ("Der Mond ist aufgegangen"). Den Mond und den Gesang habe ich als Kind schon geliebt, und oft hielt ich mit dem Himmelskörper Zwiesprache. In der Schule lernte ich dann, dass der Mond gar nicht zuhören kann, ja dass er noch nicht einmal aufgeht, sondern dass es nur für uns so aussieht. Außerdem erfuhr ich, dass der freundlich herabscheinende Erdbegleiter, in dessen Strahlen ich mich gerne "monte", in Wahrheit ein blasser Trabant ist, sein Leuchten nur ein Abglanz der untergegangenen Sonne. Und im Medizinstudium lernte ich, dass psychotisch erkrankte Menschen Dinge und Verbindungen sehen, die gar nicht da sind.
Aber ist es gleich krankhaft, wenn man in den Wolken oder anderen zufälligen Mustern eine Bedeutung erkennt? Oder gehört es nicht zum Naturzustand unseres Geistes, unsere Umwelt als "durchgeistigt" zu erleben? Forscher aus Finnland versuchten diese Frage mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie zu klären. Dazu teilten sie ihre Probanden in "sone und solche": Die Hälfte der Versuchspersonen glaubte an die Existenz übernatürlicher Phänomene, die übrigen waren entschiedene Skeptiker.
Alle lasen, während sie im Hirnscanner lagen, Situationsbeschreibungen wie "Du hast Angst, dass ein Freund wegen Alkohol am Steuer ins Gefängnis muss". Dann sahen sie ein Foto und sollten angeben, inwieweit das Bild ein "Zeichen" für den Fortgang der Geschichte enthalte. Wie erwartet, taten sich die Freunde des Übernatürlichen leichter, etwa eine gemauerte Wand mit der Gefängnisstory zu verknüpfen.
Psychotest
Sie treffen auf der Rückseite des Mondes den Dichter Edgar Allan Poe. Wie sprechen Sie ihn an?
- A) Hallöchen Popoechen!
- B) Mr. Poe, I suppose?
- C) Poe, Er?
- D) Poe, Sie!
Während der Aufgabe leuchtete im Hirn von Mystikern und Zweiflern ein bestimmtes Areal unterschiedlich stark auf: Bei den Skeptikern war der rechte Gyrus frontalis inferior stärker durch blutet, ein Teil des Stirnlappens, der unter anderem an der "kognitiven Inhibition" beteiligt ist. Auf gut Deutsch: Skeptisch sein bedeutet Anstrengung – das Hirn muss sich selbst hemmen, um nicht wild draufloszuassoziieren.
Die Frage ist also nicht, warum Menschen an Übersinnliches glauben. Sondern eher, warum manche den Prozess willentlich unterdrücken können. "Erworbene Rationalisierungskompetenz" nennen Psychologen diese Fähigkeit. Sie erklärt auch, warum wir in Zuständen verminderter geistiger Zurechnungsfähigkeit der Welt da draußen mehr Geist zurechnen. Ob man nun verliebt ist, berauscht, dement oder erst sehr kurz auf der Welt – vieles erscheint einem dann wie ein Wunder.
Aber vielleicht ist es das ja auch. Vielleicht leuchtet ein Areal im Hirnscanner ja nur, weil es von einer ganz anderen Quelle, die wir nicht sehen können, beschienen wird. Man darf doch mal kognitiv ganz ungehemmt träumen! Der schönste Satz der Studie: "Die kausalen Prozesse hinter dem Phänomen, Zeichen zu sehen, sind nicht bekannt." So ähnlich hat das Matthias Claudius auch schon gesagt. Nur poetischer.
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