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Freistetters Formelwelt: Hochflug kommt vor dem Fall

Was fällt, geht sehr oft kaputt. Hinter dieser Binsenweisheit steckt auch jede Menge Wissenschaft, die man zum eigenen Vorteil nutzen kann – und das gilt nicht nur für Menschen.
Saatkrähe mit Nuss im Schnabel

Vor Kurzem bin ich umgezogen. Von Jena in Thüringen, wo ich die letzten 15 Jahre verbracht habe, nach Baden bei Wien. Mein Arbeitszimmer dort hat einen schönen Ausblick, unter anderem auf einen Parkplatz. Im Sommer werden sich dort die Autos der Besucher des nahen Strandbads drängen. Jetzt im Winter ist er leer, von einigen Vögeln abgesehen, deren Treiben ich bei meiner Arbeit wunderbar beobachten kann. Sie nutzen die leere asphaltierte Fläche, um Nüsse aus der Luft auf den Boden fallen zu lassen und sie so zu knacken.

Ob es sich um Raben oder Krähen handelt, kann ich mangels ornithologischer Kenntnisse nicht sagen. Aber ich weiß genug über Physik und Mathematik, um zu verstehen, was passiert, wenn sich die Nuss auf den Weg Richtung Boden macht. Sie befindet sich dann im freien Fall, zumindest, wenn wir die Reibung der Nuss mit der Luft ignorieren. Auf sie wirkt nur die Schwerkraft, die die Nuss nun beschleunigt senkrecht nach unten Richtung Boden bewegt. Dort trifft sie mit einer Geschwindigkeit auf, die sich aus dieser simplen Formel berechnen lässt:

Die Endgeschwindigkeit hängt zum einen von der Fallhöhe h ab und zum anderen natürlich von der durch die Anziehungskraft der Erde verursachten Fallbeschleunigung von 9,81 Meter pro Sekunde zum Quadrat. Doch von wie weit oben muss die Krähe (oder der Rabe?) die Nuss eigentlich fallen lassen, damit die Schale aufbricht? Die Vögel selbst werden vermutlich keine entsprechenden Rechnungen angestellt haben. Dafür aber Christian Ucke von der Technischen Universität München und mein »Spektrum«-Kolumnistenkollege Hans-Joachim Schlichting, damals noch an der Universität Münster. Im Jahr 2005 veröffentlichten sie im Physikmagazin »Physik in unserer Zeit« einen Artikel über das Knacken von Nüssen. Ausgehend von Experimenten mit Schraubstöcken bestimmten sie die Energie, die zum Knacken einer Nuss aufgebracht werden muss, auf 0,21 Joule.

Mit dieser Zahl wiederum lässt sich leicht berechnen, aus welcher Höhe der hartschalige Leckerbissen fallen muss. Die potenzielle Energie einer Masse m in der Höhe h über dem Erdboden entspricht einfach dem Produkt dieser beiden Zahlen multipliziert mit der Fallbeschleunigung. Die Masse der Nuss und die zu erreichende Energie sind bekannt, und so kommen Ucke und Schlichting auf eine Höhe von 1,9 Metern. Setzt man diesen Wert in die Formel oben ein, erhält man eine Aufprallgeschwindigkeit der Nuss von knapp sechs Metern pro Sekunde, was immerhin fast 22 Kilometer pro Stunde sind.

Natürlich werden die Raben (oder Krähen?) die Nuss nicht immer exakt aus der von der Wissenschaft berechneten Höhe von 1,9 Metern fallen lassen. Meinen Beobachtungen zufolge tun sie das meistens aus deutlich größeren Höhen. Aber es ist ja auch nicht jede Nuss gleich, und sicher ist sicher – auch beim Nüsseknacken. Für die ganz harten Nüsse haben die Tiere ebenfalls entsprechende Strategien entwickelt: In Tokio beobachtete man, wie sie die Früchte auf der Straße deponierten. Direkt auf Kreuzungen und immer dann, wenn die Autos gerade vor der roten Ampel warten mussten. Nachdem die Fahrzeuge über die Nüsse gerollt waren und sie so aufgeknackt hatten, nutzten die Vögel die nächste Rotphase, um die Früchte ihrer Arbeit einzusammeln.

Während ich diesen Text schreibe, hat übrigens eines der Tiere den Balkon direkt vor meinem Arbeitszimmer als brauchbare Fläche zum Nüsseknacken entdeckt. Ich werde also in Zukunft aus nächster Nähe studieren können, wie diese intelligenten Vögel an ihr Essen kommen. Und dabei hoffentlich keine Nuss auf den Kopf geworfen kriegen.

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