Freistetters Formelwelt: Wenn der Kosmos die Kosmologie trollt
Seit den 1920er Jahren wissen wir, dass sich das Universum ausdehnt. Dieses Verhalten lässt sich natürlich auch mathematisch beschreiben:
Die Funktion H(t) stellt den Hubble-Parameter dar und beschreibt die Rate der Expansion. Man kann sie durch den so genannten Skalenfaktor a(t) berechnen, der angibt, wie stark sich der Raum im Lauf der Zeit vergrößert. Der Hubble-Parameter hängt, wie in der Formel angegeben, von der Zeit ab. Setzt man für t aber die Zeitspanne ein, die seit dem Urknall vergangen ist, erhält man einen speziellen Wert des Hubble-Parameters: H0, die so genannte Hubble-Konstante, also die aktuelle Rate der kosmischen Expansion.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.
Natürlich möchten Fachleute den konkreten Wert für H0 wissen. Die gute Nachricht: Man kann ihn messen. Zum Beispiel, indem man die Geschwindigkeit und die Entfernung diverser Galaxien bestimmt. Edwin Hubble, der Entdecker der Expansion des Universums, hat den Wert für die Konstante im Jahr 1929 auf 500 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec berechnet. Bessere Messungen in den 1950er Jahren kamen auf etwa 250 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec und 180 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec. Wie Sie unschwer erkennen, gibt es recht große Schwankungen, die man aber auf die Schwierigkeiten bei der genauen Entfernungsbestimmung mit der damaligen Teleskoptechnik schieben kann.
Mittlerweile gibt es aber nicht nur sehr viel bessere Weltraumteleskope, sondern auch grundlegend unterschiedliche Methoden, um H0 zu bestimmen. Einerseits lässt sich durch Beobachtungen von Supernova-Explosionen oder spezieller Sterne der Abstand zur Erde berechnen. Andererseits sind Fachleute inzwischen auch in der Lage, die kosmische Hintergrundstrahlung zu messen. Das ist, vereinfacht gesagt, das erste Licht, das sich rund 400 000 Jahre nach dem Urknall im Universum ausbreiten konnte. Aus den Variationen, die sich heute in der Intensität der Hintergrundstrahlung messen lassen, kann man ebenfalls ableiten, welchen Wert die gegenwärtige Rate der Expansion haben muss.
Das Hubble-Problem
Wenn man Entfernung und Geschwindigkeit von Galaxien bestimmt, werden Informationen genutzt, die aus dem späten Universum stammen. Bei der Messung der Hintergrundstrahlung liegen hingegen Daten aus dem frühen Universum vor. Und hier kommt die schlechte Nachricht: Im ersten Fall erhält man einen Wert für die Hubble-Konstante, der bei zirka 73 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec liegt; im zweiten Fall ergibt der Wert ungefähr 67 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec. Ein kleiner Unterschied, könnte man meinen. Tatsächlich sind die Messungen aber sehr genau – und zwar so sehr, dass sich die Diskrepanz nicht allein durch Ungenauigkeiten erklären lässt. Die Daten aus dem späten Universum liefern konsistent niedrigere Werte für H0 als die aus dem frühen Universum.
Der Unterschied hat sich über die Jahre sogar verstärkt: Je besser die gesammelten Daten wurden, desto deutlicher stellt sich heraus, dass hier irgendwas nicht stimmt. Der Zustand ist so bedenklich, dass er sogar eine eigene Bezeichnung bekommen hat: die »Hubble Tension«. Um die Spannung aufzulösen, gibt es mehrere Ansätze. Natürlich kann es sein, dass eine der Methoden zur Bestimmung einen systematischen Fehler hat, der bisher übersehen wurde. Es ist aber genauso möglich, dass es irgendein grundlegendes Problem bei unserem Verständnis der Entwicklung des Universums gibt.
Am Ende können nur bessere Daten helfen. Mit dem James-Webb-Weltraumteleskop sollen in den nächsten Jahren deutlich genauere Entfernungsmessungen durchgeführt werden; gleichzeitig nehmen Fachleute die kosmische Hintergrundstrahlung genauer unter die Lupe. Ob sich daraus ein völlig neues Bild des Universums ergibt oder man einfach nur ein paar bisher übersehene Fehler entdeckt, wird sich zeigen. Hauptsache, die Hubble-Konstante bekommt endlich einen verlässlichen Wert.
Schreiben Sie uns!
1 Beitrag anzeigen