Schlichting!: Hunde im Schleudergang
Wer neben einem Hund steht, der sein nasses Fell schüttelt, merkt sofort: Die Trocknungstechnik ist äußerst gründlich. Ein Großteil des im Pelz steckenden Wassers wird innerhalb weniger Sekunden ringsum davongeschleudert. Ein Wasser liebender Hund geht deswegen selbst bei Temperaturen, die unsereins nicht gerade zum Baden einladen, ohne Zögern gewissermaßen mit voller Bekleidung schwimmen.
Beim Eintauchen verdrängt das Wasser die im Fell enthaltene Luft teilweise. Es leitet Wärme wesentlich besser und erhöht deren Transport vom Körper zur Umgebung um einen Faktor von etwa zwölf. Dadurch droht anschließend Unterkühlung: Würde er warten, bis alles von selbst verdunstet und er wieder trocken ist, verlöre ein 30 Kilogramm schwerer Hund mit 500 Gramm Wasser im Fell rund 20 Prozent der Energie, die er pro Tag mit der Nahrung aufnimmt.
Den kühlenden Effekt nasser Haut spürt jeder augenblicklich, der nach einem Bad aus dem Wasser steigt. Selbst bei eigentlich angenehmen Temperaturen lässt einen der kleinste Windhauch frösteln. Da Landtiere in ihrem dichten Pelz große Mengen Wasser speichern, ist ihre Situation deutlich dramatischer. Ein trockener Körper kann für sie überlebenswichtig sein!
»Er schüttelt es ab wie der Hund den Regen«
Karl Simrock, 1802–1876
Wie viele Materialien ist auch das Fell eines Hunds weitgehend »hydrophil«, das heißt, Wasser haftet ziemlich hartnäckig daran. Denn die Ausbildung einer Grenzfläche zwischen Härchen und Wasser benötigt weniger Energie als die einer Grenzfläche zur Luft. Dadurch entsteht eine Adhäsionskraft. Um sie zu überwinden und Tröpfchen aus dem Fell zu lösen, ist eine entsprechende Gegenkraft nötig. Tropfen mit einer bestimmten Mindestgröße und einer verhältnismäßig kleinen Kontaktfläche mit den Haaren fallen in der Regel bereits auf Grund der Schwerkraft. Die überwiegende Menge der anhaftenden Feuchtigkeit bleibt aber erst einmal hängen.
Um das Wasser loszuwerden, schütteln sich viele Tiere, setzen also ihren Körper und damit das durchnässte Fell starken Bewegungen aus. Erst wenn die Kraft, welche die Wasserteilchen auf eine Kreisbahn zwingt, die jeweilige Adhäsionskraft übersteigt, reißt die Verbindung zum Fell. Die nunmehr befreiten Tropfen bewegen sich nach dem Trägheitsprinzip gleichförmig geradlinig weiter. Oder besser: Sie würden es tun, wenn da nicht noch die allgegenwärtige Schwerkraft wäre. Diese bringt sie je nach Ablösegeschwindigkeit auf eine Wurfparabel. Ein sich schüttelnder, nasser Hund ist darum von einer Wolke umgeben, in der Tropfen diverser Größe auf verschiedensten Bahnen davonfliegen.
Warum die Technik der Tierwelt unterlegen ist
Das Prinzip der Trocknungsmethode wird schon lange technisch genutzt. Im Schleudergang einer Waschmaschine beschleunigt die Trommel die nasse Kleidung auf eine so hohe Rotationsgeschwindigkeit, dass sich ein großer Teil des anhaftenden Wassers von den Fasern löst und durch die Löcher der Trommel entkommt. Hier dauert der Prozess mehrere Minuten, wohingegen sich ein Hund in sehr kurzer Zeit ziemlich gründlich entwässert. Was ist das Geheimnis pelziger Tiere, das sie so schnell trocknen lässt?
Diese Frage haben US-Wissenschaftler um David Hu vom Georgia Institute of Technology in Atlanta genauer untersucht. Unterstützt vom örtlichen Zoo vermaßen die Forscher verschiedene Säuger, spritzten sie nass und filmten sie mit Hochgeschwindigkeitskameras beim Trockenschütteln. Dieses beginnt im Allgemeinen mit einer schnellen Drehung des Kopfes. Mit einer gewissen Phasenverschiebung folgt der übrige Körper, wobei das Rückgrat etwa 30 Grad weit in die eine und andere Richtung gedreht werden kann. Doch die leicht verschiebbare Haut rotiert noch viel weiter – bis zu 90 Grad zu beiden Seiten – und deutlich schneller als die Wirbelsäule selbst. Dabei dürften neben der Trägheit, mit der die Hautpartien die Bewegung noch eine Zeit lang beibehalten, elastische Kräfte aus der Verbindung zum übrigen Körpergewebe im Spiel sein. Sie zerren an der Haut wie Gummibänder. Jedenfalls sind die herauskatapultierten Wassertropfen den Berechnungen der Forscher zufolge Kräften vom 10- bis 70-Fachen der Gravitation ausgesetzt. Angesichts solcher Beschleunigungen schließen die Tiere dabei die Augen, um diese vor Verletzungen zu schützen.
Beim Trocknen durch Schütteln lösen sich zunächst die Tropfen, die an den Spitzen der Haare anhaften. Gleichzeitig rückt Feuchtigkeit aus tieferen Schichten nach. Sie wird dann im nächsten Drehzyklus abgelöst. Das setzt sich fort, bis der Nachschub versiegt und das Fell hinreichend entwässert ist. Die Kraft, mit der die Tropfen beschleunigt werden, variiert und hängt vom Krümmungsradius der Bewegung ab – je größer das Tier, desto mehr Schwung entsteht. Deswegen müssen sich kleinere Säuger mit einer höheren Frequenz schütteln, um Wassertropfen unter sonst gleichen Bedingungen loszuwerden. Ein Labrador Retriever trocknet sich typischerweise mit einer Frequenz von 4,5 Hertz (Schwingungen pro Sekunde). Eine Maus braucht dagegen unglaubliche 29 Hertz – eine so schnelle Bewegung können wir mit den Augen gar nicht mehr wahrnehmen. Die Forscher verknüpften anhand eines quantitativen Modells die Masse eines Tiers recht genau mit der nötigen Schüttelfrequenz.
Wer das nächste Mal neben sich einen Hund aus dem Wasser kommen sieht, sollte also vielleicht einmal in Ruhe hinschauen, statt hastig auf Distanz zu gehen. Dann wird man zwar nass, aber zugleich Zeuge eines äußerst interessanten physikalischen Vorgangs.
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