Akademische Whistleblower: Im Dunkeln
Wenn es um das dornige Feld wissenschaftlichen Fehlverhaltens und dessen Aufarbeitung geht, gilt Deutschland vielen als Vorbild. Der wichtigste Forschungsfinanzier des Landes, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), veröffentlichte beispielsweise bereits 1998 Richtlinien, in denen Universitäten zur Durchsetzung guter wissenschaftlicher Praxis angehalten wurden. Die Richtlinien umfassen 16 Empfehlungen und sind tatsächlich verbindlich, da Hochschulen, die sich dazu nicht verpflichten wollen, praktisch von DFG-Zuschüssen ausgeschlossen sind.
Zu finden sind darin etwa Mechanismen, mit denen Nachwuchswissenschaftlern eingepaukt werden soll, wie wichtig Ehrlichkeit ist. Zudem wird zur Auflage gemacht, dass jede Hochschule eine unabhängige Ombudsperson ernennt: Junge Wissenschaftler sollen sich an diese wenden, wenn sie wissenschaftliches Fehlverhalten vermuten. Die DFG schuf zudem einen zentralen Ombudsrat, der Streitfälle regelt, die nicht vor Ort gelöst werden können. Die Entwicklung der Richtlinien fiel in eine Zeit nach 1997, in der gerade ein historischer Betrugsfall aufgedeckt worden war, der die akademische Welt in ihren Grundfesten erschütterte: Zwei Mediziner hatten über ein Jahrzehnt lang systematisch Forschungsergebnisse erfunden – am Ende betraf dies mehr als 100 Veröffentlichungen.
Die digitale Revolution hatte möglich gemacht, dass ihre Fälschungen so lange unentdeckt blieben: Sie konnten Bilder und andere Daten auf ihrem Computer kopieren und speichern, als die Gutachter mit derartigen Tricks noch nicht vertraut waren. Im streng hierarchischen akademischen System Deutschlands kontrollierten die Fälscher zudem jede potenziell undichte Stelle in ihren Laboren, über die Informationen hätten durchsickern können. Als hochkarätige Professoren, die mit ihrer Publikationsliste im Rücken rasch in der wissenschaftlichen Rangfolge aufgestiegen sind, konnten sie leicht jeden Doktoranden einschüchtern – wenn diese Studienarbeiten anzweifelten, die quasi über Nacht entstanden waren, obwohl offensichtlich keine Experimente dafür durchgeführt wurden. Jeder Whistleblower, der auf diese Missstände aufmerksam machen würde, büßte wohl jede Karrierechance ein.
Die digitale Revolution ist seitdem ungebremst – wie auch die stete Folge neuer Skandale. Plagiate sind der jüngste Trend: In den vergangenen Jahren flogen einige berühmte Politiker auf, die in ihren Doktorarbeiten betrogen hatten. Wer erinnert sich nicht an Karl-Theodor zu Guttenberg? Der ehemalige Verteidigungsminister erlebte in der politischen Hierarchie einen kometenhaften Aufstieg, bis er 2009 das Verteidigungsministerium übernahm. 2011 entdeckten jedoch Plagiatsjäger, dass Teile seiner Dissertation einfach abgekupfert waren. Sie informierten die Presse und zwangen ihn schließlich zur schnellen Abdankung. Nach zu Guttenberg folgte eine Reihe ähnlicher Enttarnungen hochrangiger Politiker, die sich von ihrem Doktortitel einen Vorteil im politischen System versprachen. Die Enthüllungen zerschmetterten ihre Karriere.
Wie umgehen mit den Whistleblowern?
Jeder Computerbesitzer kann heute eine Plagiats-Suchsoftware auf seinem Rechner laufen lassen. Manche haben sie für das öffentliche Wohl benutzt wie Integru.org, die damit die gewaltige akademische und politische Korruption in Rumänien aufgedeckt hat. In manch anderem Fall diente sie aber eher dazu, andere einfach anzuschmieren, oder sie wurde nur der aufregenden Jagd wegen eingesetzt. Viele Menschen waren beispielsweise nicht von den Plagiatsanschuldigungen gegen die ehemalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan überzeugt, doch im Dauerfeuer öffentlicher Anschuldigungen blieben so viele Vorwürfe an ihr hängen, dass sie im Februar zum Rückzug gezwungen war.
Mit den wachsenden Möglichkeiten digitaler Prüfungen und der zunehmenden Zahl selbst ernannter Plagiatsjäger sorgt sich die DFG zu Recht über den Bedarf, ordentliche Verfahren durchzuführen. Ist es zum Beispiel richtig, dass der Beschuldigte benannt wird, während sich die Ankläger hinter der Anonymität des Internets verstecken?
Vor Kurzem hat die DFG ihre Richtlinien für die wissenschaftliche Praxis auf den neuesten Stand gebracht, um die Vorteile ihres Systems zu unterstreichen: Dieses ermöglicht – so weit wie möglich – eine vertrauliche, faire und gründliche Untersuchung der Vorwürfe. Ihre neuesten Empfehlungen betonen nun den Wert von Whistleblowern und wie wichtig es ist, sie unter allen Umständen zu schützen. Sie warnt davor, die Vertraulichkeit laufender Verfahren zu zerstören, indem Namen öffentlich gemacht werden. Ausdrücklich erwähnt die Vorgabe, dass alle Anschuldigungen in "gutem Glauben" vorgebracht werden müssen: "Böswillige" Unterstellungen könnten demnach ebenfalls als eine Art wissenschaftliches Fehlverhalten durchgehen, und anonymen Beschwerden werde nicht mehr unbedingt nachgegangen.
Alles schön und gut. Doch die DFG hat dieses Mal ihre Empfehlungen überraschend schlecht formuliert. Offen bleibt etwa, welche Konsequenzen drohen, sollte man einen Vertrauensbruch begehen oder beschuldigt werden, in böswilliger Absicht gehandelt zu haben. Dieses Manko rief Verschwörungstheoretiker auf den Plan, die die Blogosphäre mit der wüsten Anschuldigung füllten, die DFG wolle die wissenschaftliche Gemeinschaft mundtot machen.
Das ist weit hergeholt. Aber es stimmt: Dass nicht überprüfbare Anschuldigungen unter Strafandrohung stehen sollen, dürfte auch sehr überzeugte Whistleblower nervös machen. In ihrer Bekanntmachung hat die DFG zudem eine Schlüsselfrage nicht beantwortet, wegen der Whistleblower überhaupt erst an die Öffentlichkeit gehen: die berechtigte Angst, dass die Untersuchung im Sand verläuft, ohne dass jemand überhaupt weiß, was hinter den Kulissen abläuft.
Die DFG bringt die Universitäten damit in eine schwierige Lage. Die Hochschulen untersuchen Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens, die gegen sie selbst vorgebracht wurden. Und deshalb werden die Universitäten gebeten, bedingungslos Whistleblower zu bestrafen, sollten sich deren Informationen nicht bestätigen. Die DFG sollte klarstellen, welche Sanktionen wann und wie eingesetzt werden und welcher Art diese wahrscheinlich sind.
Der Artikel erschien unter dem Titel "In the dark" in Nature 499, S. 125-126, 2013.
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