In Bestform: »Motivation ist nicht vom Körpergewicht abhängig«
Ein paar Kilos abnehmen, endlich wieder fitter werden – diesen Wunsch haben viele Menschen, insbesondere, nachdem Fitnessstudios und andere Sportstätten pandemiebedingt monatelang geschlossen waren. Jetzt könnten wir wieder loslegen. Doch die zusätzlichen Pfunde machen die Bewegung womöglich anstrengender als früher. Zudem zeigt sich nicht jeder gern in kurzen Hosen oder im Badeanzug. Wie kann man es trotzdem schaffen, sich zum Sport aufzuraffen und vor allem: dranzubleiben? Gesundheitspsychologin Wiebke Göhner von der Katholischen Hochschule Freiburg weiß Rat.
»Spektrum.de«: Überschüssige Pfunde erschweren die Bewegung. Wie kann man sich trotzdem zum Sporttreiben motivieren?
Wiebke Göhner: Erst mal müssen wir uns eingestehen, dass der Anfang wirklich schwer ist. Das ist ein komplexer Prozess. Ein zentraler Faktor dabei: Ich muss überzeugt davon sein, mich bewegen zu können. In der Fachwelt spricht man auch von Selbstwirksamkeit – sei es nur ein Spaziergang oder ein paar Kniebeugen. Ich weiß, dass ich es schaffen werde. Genauso wichtig ist, dass ich an die positiven Folgen des Sporttreibens glaube. Das kann bedeuten, dass ich mich danach besser oder fitter fühle. Ob ich wirklich fitter bin, ist in diesem Moment noch gar nicht relevant. Viel wichtiger ist die Erwartung, dass der Sport gut für mich ist.
Die beiden Faktoren, die Sie nannten, sind Teil des Motivations-Volitions-Konzepts, kurz MoVo, das Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegen Professor Reinhard Fuchs entwickelt haben. Was besagt es?
In diesem Konzept sind insgesamt fünf Faktoren identifiziert, die für den Aufbau und die Aufrechterhaltung eines gesunden Lebensstils relevant sind. Sie sind vor allem für diejenigen extrem wichtig, die mit dem Sport beginnen möchten, es aber nicht schaffen. Dann muss man aufdröseln, woran es liegt. Ist jemand nicht motiviert genug? In solchen Fällen schaut man, was die Person tun kann, um positive Erwartungen und Vertrauen in ihre Fähigkeiten aufzubauen. Es gibt zudem viele Menschen, die wirklich motiviert sind, es allerdings trotzdem nicht schaffen.
Woran liegt es dann?
Die Umsetzung braucht gewisse Planungsprozesse. Wie wichtig diese sind, habe auch ich anfangs unterschätzt. Sport planen – das klingt erst mal sehr langweilig und strategisch, aber wir haben schließlich alle unseren Alltag. Bestimmte Dinge muss man planen. Für Bewegung und Ernährung machen wir das eher selten. Wir essen manchmal unterwegs, gemeinsam mit anderen, oder kaufen spontan ein, worauf wir Lust haben. Für den Sport bleibt am Ende des Tages oft keine Zeit.
Ich persönlich versuche, meine Freizeit so wenig wie möglich durchzutakten und treibe trotzdem sehr viel Sport. Geht es also auch ohne Planung?
Ja. Vermutlich gehören Sie zu der Kategorie Mensch, die eine sehr hohe Motivation mitbringt und diese auch umsetzt. Dazu müssen Sie vielleicht nicht bewusst planen, aber im Hintergrund laufen die Prozesse trotzdem ab. Schließlich müssen Sie genügend Zeit für den Sport aufbringen, ohne andere Termine und Verpflichtungen zu vernachlässigen. Dafür braucht es eine Priorisierung. Sie machen das vielleicht automatisch, andere müssen das besonders am Anfang aktiv planen. Hier reichen kleine Schritte: Wann mache ich heute Sport? Es braucht keine großen Vorsätze. Die gibt man meist ohnehin schnell wieder auf und ist frustriert. Setzen Sie sich lieber realistische Ziele und erstellen Sie kleine Pläne wie: Ich gehe jeden Mittwoch eine Stunde spazieren.
Durch die Coronapandemie haben viele Menschen zugelegt. Wie schafft man es, die überschüssigen Pfunde wieder loszuwerden?
Zunächst einmal ist das ein ganz natürlicher Vorgang. Viele Menschen konnten sich weniger bewegen, weil sie selbst krank oder in Quarantäne waren, aus dem Homeoffice gearbeitet haben und ihren Sport nicht mehr ausüben konnten wie gewohnt. Die Zeit, in der wir sitzen und uns nicht bewegen, hat sich erhöht. Das muss man anerkennen und sich überlegen: Was mache ich anders als früher? Im zweiten Schritt sollte man darauf hinarbeiten, nicht weiter zuzunehmen. Versuchen Sie, Ihre Bewegungszeit wieder zu erhöhen und Ihre Ernährung anzupassen.
Nur durch Sport schaffe ich es nicht?
Nein. Um effektiv abzunehmen, braucht es immer eine Kombination aus Ernährung und Bewegung. Die Ernährung ist sogar der wichtigere Teil. Gleichzeitig ist das Thema viel komplexer: Wir essen mehrmals am Tag, Nahrung ist quasi überall im Überfluss vorhanden und auch der soziale Aspekt spielt eine große Rolle. Trotzdem kann man versuchen, sich über die Faktoren des MoVo-Konzeptes selbst zu steuern.
Was ist am schwierigsten daran, mit Übergewicht Sport zu treiben?
Das ist sehr unterschiedlich. Viele Personen haben länger keine größere Aktivität mehr durchgeführt. Wenn sie es doch wieder tun, fühlen sie sich vielleicht unwohl. Sie sind es nicht mehr gewohnt, zu schwitzen oder die Muskeln anzuspannen und empfinden dies als unangenehm. Der Körper ist schwer geworden, bewegt sich nicht so, wie sie es möchten. Wenn die Aktivität überhaupt nicht an den aktuellen Fitnesszustand angepasst ist, man etwa von null auf hundert joggen geht, funktioniert das natürlich nicht und es macht weder Sinn noch Spaß. Darum ist es extrem wichtig, etwas zu finden, was an das individuelle Gewicht angepasst ist.
Von Sportler zu Sportler
Unter der Woche trainiert Wiebke Göhner möglichst zweimal im Sportverein, Tag und Uhrzeit stehen fest. Am Wochenende geht sie, ganz für sich, hinaus in die Natur. Glücklicherweise habe sie ja den Schwarzwald vor der Nase, erzählt die Gesundheitspsychologin. Im Sommer ist Nordic Walking oder Joggen, im Winter Langlaufen ihr Lieblingssport. An der frischen Luft zu sein und sich ganz auf die Bewegung zu konzentrieren, tue ihr sehr gut, sagt Göhner.
Welche Sportarten wären denn gut geeignet?
Nordic Walking beispielsweise. Und Schwimmen. Wenn es für jemanden kein Hinderungsgrund ist, dass man im Schwimmbad viel Haut zeigt, ist das sehr zu empfehlen. Das Gleiche gilt für Aqua Fitness, wo das Gewicht vom Wasser getragen wird. Es gibt auch spezielle Sportkurse für Menschen mit Übergewicht und Adipositas. Ausgebildete Trainerinnen und Trainer suchen die richtigen Übungen aus. Denn manche Übungen sollte man besser nicht machen, um die Gelenke zu schonen. Natürlich kann ich auch ins Fitnessstudio gehen und dort sehr gezielt trainieren, dafür brauche ich aber das nötige Wissen im Hintergrund.
Ist es besser, anfangs in einer Gruppe zu trainieren?
Für viele schon. Das ist ein Stück weit Typsache. Und es kommt auf die Gruppe an. Manche treffen sich nur zum Training, danach geht jeder seiner Wege. In anderen Gruppen wird viel miteinander geredet, man trifft sich vielleicht auch außerhalb des Sports. Wenn man mal nicht zum Training kommt, ruft jemand an und fragt, was los ist. Es gilt herauszufinden, was zu einem passt.
Das kann sich ja im Lauf der Zeit ändern. Vielleicht möchte ich am Anfang lieber allein trainieren und wenn ich dann fitter bin, gehe ich in eine Gruppe.
Genau, das kann dann zusätzliche Motivation geben. Oder Sie legen sich pro Woche zwei Termine: An einem treiben Sie allein Sport, am anderen in der Gruppe.
Übergewichtig, adipös oder muskulös?
Der so genannte Body-Mass-Index (BMI) ergibt sich aus dem Verhältnis des Körpergewichts in Kilogramm und der Körpergröße in Metern zum Quadrat. Ab einem BMI von 25 gelten Menschen als übergewichtig, ab 30 als adipös. Zwar bietet der BMI eine grobe Orientierung, Alter und Geschlecht werden jedoch nicht berücksichtigt. Zudem unterscheidet die Formel nicht zwischen Fett- und Muskelmasse. Wer viel Sport treibt und entsprechend viel Muskelmasse hat, die schwerer ist als Fett, gilt laut BMI möglicherweise als übergewichtig, ist es aber gar nicht.
Als übergewichtige Person habe ich vielleicht Angst, dass andere mich beim Sport auslachen oder anstarren. Wie kann ich mich davon befreien?
Ich kann gut verstehen, dass man davor Angst hat und einem das unangenehm ist. Wir alle möchten anderen gefallen. Sich davon komplett loszumachen, ist schwierig. Der erste Schritt beginnt immer bei einem selbst. Da sind wir wieder bei der Selbstwirksamkeit: Ich bin überzeugt, dass ich das kann. Auch wenn mein Kopf rot wird oder die anderen Leute gucken. Das ist ein schwieriger Schritt, vielleicht braucht es dafür soziale Unterstützung, Freundinnen und Freunde, denen man von seinen Plänen erzählt, die mitkommen, einem Mut zusprechen. Und man muss die Erfahrung machen, dass es wirklich geht. Dann stellen sich relativ rasch die ersten Erfolge ein. Auch wenn das Sporttreiben bei anderen Personen total leicht aussieht – die haben vielleicht andere Schwierigkeiten. Einen inneren Schweinehund hat jeder. Motivation ist nicht vom Körpergewicht abhängig.
Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen haben Sie ein zwölfmonatiges Programm konzipiert, das Menschen mit Adipositas helfen soll, ihr Bewegungs- und Ernährungsverhalten zu ändern: M.O.B.I.L.I.S (multizentrisch organisierte bewegungsorientierte Inititative zur Lebensstiländerung in Selbstverantwortung). Welche Erkenntnisse konnten Sie daraus gewinnen?
Unser Programm und solche mit ähnlicher Zielsetzung, Weight Watchers beispielsweise, führen dazu, dass etwa die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer substanziell Gewicht verliert. Das ist ein sehr gutes Ergebnis. Die Gewichtsreduktion findet nicht bei jedem statt. Es hängt von den Lebensumständen ab. Manchmal kommen andere Erkrankungen oder Medikamente dazu, die das Abnehmen erschweren. Oder aber das Programm passt einfach nicht zu der Person.
Wenn das Programm vorbei ist: Fällt man dann nicht schnell in alte Muster zurück?
Das kann natürlich passieren. Unser Konzept ist vorausschauend angelegt – dafür braucht es Strategien. Gruppen können zum Beispiel helfen. Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es in Deutschland sehr viele Sportvereine. Das ist eine große Hilfe, das Angebot ist dauerhaft und vergleichsweise günstig. Fitnessstudios sind natürlich auch eine Möglichkeit, aber die haben eine andere Struktur und die Kosten sind in der Regel höher. Vielleicht reicht es mir schon, mich jedes halbe Jahr auf den Prüfstand zu stellen: Wie schwer bin ich, wie oft treibe ich Sport? Menschen ticken da sehr verschieden. In jedem Fall lohnt es, sich selbst immer wieder zu reflektieren.
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