In Bestform: »Übertraining kann man mit einer Art Burnout vergleichen«
»Ich bin im Übertraining«, sagt mancher, der mehr macht, als sein Trainingsplan vorgibt. Stimmt das? Und wenn ja: was dann? Wie man feststellt, ob man übertrainiert ist, woher das kommt und was sich dagegen tun lässt, weiß Sarah Jakowski, Sportwissenschaftlerin und Sportpsychologin an der Ruhr-Universität Bochum. Die gute Nachricht: Wegen einer falschen Trainingseinheit rutscht niemand ins Übertraining. Die schlechte: Wenn man einmal drin ist, bemerkt man es oft nicht.
Spektrum.de: Angenommen, ich trainiere für einen Zehn-Kilometer-Lauf. In der Vorbereitungsphase laufe ich aber einfach mal 20 Kilometer. Bin ich dann übertrainiert, Frau Jakowski?
Sarah Jakowski: Nein, zumindest nicht von einem Mal. Übertraining ist etwas, das sich über die Zeit hinweg entwickelt.
Wann spricht man tatsächlich von Übertraining?
Es ist sehr schwer, das anhand eines Merkmals festzumachen. Zunächst mal ist es wichtig, das Ganze als Prozess zu charakterisieren. Man kann nicht sagen: Ab morgen bin ich übertrainiert. Wenn ich fortwährend Reize generiere, die meinen Körper überfordern, dann kann sich daraus ein Übertrainingssyndrom entwickeln. Das ist im Freizeitbereich sehr selten und kommt fast ausschließlich im Leistungssport vor.
Der Begriff »Syndrom« impliziert, dass hier viele Faktoren zusammenkommen. Was gehört alles dazu?
Das kann bei einzelnen Sportlerinnen und Sportlern sehr unterschiedlich sein. Allgemein lässt sich sagen: Die Leistungsfähigkeit und Belastungstoleranz sind langfristig herabgesetzt. Die Pausen, die man macht, reichen nicht mehr aus, um sich angemessen zu regenerieren. Dazu kommt eine psychische Komponente, man kann das mit einer Art Burnout vergleichen. Sich davon komplett zu erholen, dauert Monate bis Jahre.
Wie lange muss das Übertraining denn andauern, bis es dazu kommt?
Auch das ist unterschiedlich. Üblicherweise dauert es mehrere Monate. Im Jahr 2013 gab es ein Konsensus-Statement von der europäischen und amerikanischen Sportvereinigung. Die Kolleginnen und Kollegen haben sich den Prozess ganz genau angeschaut und die einzelnen Phasen dargestellt.
Können Sie diese kurz erläutern?
Gerne. Zunächst kommt eine Phase, die man als funktionales Übertraining bezeichnet oder auf Englisch Functional Overreaching. Wer auf einen Wettkampf, beispielsweise einen Marathon, trainiert, plant vielleicht eine intensive Phase, die ein paar Wochen andauert. Währenddessen trainiert man besonders viel oder hart, findet aber immer noch genügend Zeit, um zu regenerieren. Und der Körper passt sich allmählich an die Belastung an. Das geht ein paar Wochen gut, vielleicht auch ein paar Monate. Behält man dieses Pensum bei oder erhöht es sogar noch, rutscht man ins so genannte Non-functional Overreaching, das nichtfunktionale Übertraining. Da hat der Körper deutlich mehr zu kämpfen. Man ist anfälliger für Verletzungen und Infektionen. Auch psychisch kann sich das Übertraining bemerkbar machen: Man ist vielleicht gereizter oder schläft schlechter. Das kann sich über mehrere Wochen bis Monate hinziehen, bis es dann tatsächlich in ein Übertrainingssyndrom übergeht.
»Oft erkennt man erst im Nachhinein: Damals war ich wohl im Übertraining«Sarah Jakowski
Wie stellt man denn fest, ob man in einer dieser Phasen steckt?
Das ist schwierig. Häufig braucht es dazu eher eine Ausschlussdiagnose. Oder man erkennt erst im Nachhinein: Damals war ich wohl im Übertraining.
Gibt es denn keine spezifischen Marker, beispielsweise Blutwerte, die das anzeigen?
Jein. Es gibt schon gewisse Indikatoren. Häufig lassen sich hormonelle Ungleichgewichte feststellen oder ein Mangel an bestimmten Nährstoffen, etwa Eisen. Andere Werte steigen an, beispielsweise die Kreatinkinase. Aber es gibt nicht den einen Wert oder das eine Profil, das ein Übertraining anzeigt. Bei den so genannten REGman-Studien, die sich dem Thema Regeneration im Spitzensport widmen, haben wir außerdem festgestellt: Es hängt von der Sportart ab. Bei ausdauerorientierten Sportarten sind andere Parameter wichtig als im Kraftsport. Auf physiologischer Ebene ist es also sehr schwierig, das zu erkennen.
Von Sportlerin zu Sportlern
Sarah Jakowski hat Yoga für sich entdeckt. Im bewussten Atmen und Bewegen findet sie einen guten Ausgleich zum Alltag. Zudem bekomme man ein besseres Körpergefühl, sagt die Sportwissenschaftlerin. Es fasziniert sie, dass sich eine bestimmte Sequenz an verschiedenen Tagen komplett unterschiedlich anfühlen kann: mal gut, mal nicht so gut.
Und auf psychologischer oder emotionaler Ebene – gibt es hier eindeutigere Zeichen?
Ja, tatsächlich. In den 1980er Jahren fing man an, das Phänomen Übertraining zu erforschen, und stellte fest: Es gibt gewisse emotionale Profile, die sich über Sportarten hinweg gleichen. Die Motivation der Menschen stagniert, sie hinterfragen die Sinnhaftigkeit ihres Trainings, haben wenig Spaß daran. Dazu kommen Gefühle von Übermüdung, Ängstlichkeit, depressive Verstimmungen, manche neigen auch zu Wut und Gereiztheit.
Vieles davon verspürt aber doch jeder Sportler mal, oder?
Klar, jeder hat mal einen schlechten Tag. Der Unterschied: Wenn man sich tatsächlich im Übertraining befindet, sind diese Gefühle über eine längere Zeit konstant da. Ein weiteres wichtiges Kriterium: die Leistung.
Sie nimmt ab?
Genau. Obwohl die Sportlerin oder der Sportler viel trainiert, findet keine Leistungssteigerung mehr statt. Selbst wenn der Körper eigentlich genügend Zeit haben müsste, um sich zu erholen. Auch das kann verschiedene Ursachen haben, Stress bei der Arbeit, in der Beziehung, ein Umzug. Aber es kann eben genauso auf Übertraining hindeuten.
Was sollte man dann tun?
In keinem Fall noch mehr trainieren. Das ist ein Fehlschluss, den ambitionierte Sportlerinnen und Sportler leider oft ziehen – und damit alles schlimmer machen. Stattdessen sollte man seinem Körper mehr Zeit geben und das Training eventuell herunterschrauben. Das Gleichgewicht zwischen Erholung und Beanspruchung muss gegeben sein. Ein Trainingstagebuch kann helfen, zu erkennen, wenn etwas nicht stimmt: Darin trägt man beispielsweise ein, wie lange und intensiv man jeweils trainiert hat – und wie es einem dabei ging. Wichtig ist auch, darauf zu achten, wie man sich danach fühlt und ob man gut schläft. Über die Zeit zeigen sich individuelle Muster, die man nutzen kann, um Training und Regeneration individuell zu optimieren.
Was ist die Kreatinkinase?
Die Kreatinkinase (auch Creatinkinase) von Fachleuten mit CK abgekürzt, ist ein Protein, das vor allem in den Muskeln vorkommt. Es sorgt dafür, dass genügend Energie bereitsteht. Ist die Muskulatur beschädigt, wird das Enzym freigesetzt, folglich ist seine Konzentration im Blut erhöht. Ein erhöhter CK-Wert kann auf ein Übertraining oder einen Herzinfarkt hinweisen. Als normal gilt bei Frauen ein Wert von bis zu 145 Einheiten pro Liter Blut, bei Männern bis zu 170. Bei Sportlerinnen und Sportlern können die Werte aber deutlich höher sein.
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