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In Bestform: »Bei Kinesiotape sind vor allem subjektive Effekte nachgewiesen«

Die Stretchbänder an den Gelenken sollen Schmerzen lindern und Gelenke stabilisieren. Was wissenschaftliche Studien dazu ergaben, verriet die Sportwissenschaftlerin Lina Rahlf unserer »In-Bestform«-Kolumnistin Annika Roecker.
Ein Mann mit Kinesiotapes läuft durch den Regen

Farbenfrohe Klebebänder zieren seit Jahren die Körper von Sportlerinnen und Sportlern. Kinesiotapes sind nach wie vor im Trend. Können sie tatsächlich Schmerzen lindern und Verspannungen lösen, gar Verletzungen verhindern? Und falls ja, wie funktioniert das? Die Sportwissenschaftlerin und Physiotherapeutin Lina Rahlf von der Universität Hamburg hat die Bänder selbst schon in Studien erforscht. Was sie und ihre Fachkollegen herausfanden, erklärt sie im Interview.

Wie lässt sich Muskelkater vermeiden? Wie viel sollten Sportler trinken? Diesen und weiteren Fragen widmet sich die Biochemikerin Annika Röcker in ihrer Kolumne »In Bestform«. Mit Expertinnen und Experten aus der Sportmedizin diskutiert sie, was beim Sport im Körper vorgeht und wie ein gesundes Training aussieht.

Spektrum.de: Frau Rahlf, man sieht immer mehr Sportler mit bunten Klebestreifen auf Knie, Schulter oder Rücken. Bringt das denn etwas?

Lina Rahlf: Das ist leider nicht so einfach zu beantworten. Wenn wir aus rein wissenschaftlicher Sicht darauf schauen, muss man ganz klar sagen: Es gibt nur sehr wenige Nachweise für die Effektivität von Kinesiotapes. Befragen wir die Sportlerinnen und Sportler selbst, berichten sie jedoch häufig von positiven Effekten. Solche Studien gibt es beispielsweise zu Patienten mit Arthrose im Kniegelenk, Schulterbeschwerden, Rückenschmerzen oder auch mit Beschwerden im Ellenbogen, hier insbesondere dem Tennisellenbogen. Gefunden wurden aber im Wesentlichen subjektiv als positiv empfundene Wirkungen.

Lina Rahlf | Die promovierte Sportwissenschaftlerin ist in der Abteilung für Sport- und Bewegungsmedizin der Universität Hamburg tätig. Zudem ist sie ausgebildete Physiotherapeutin, arbeitet aber aktuell nicht mehr in diesem Bereich.

Was bedeutet das?

Die Probanden sagen etwa, ein bestimmter Schmerz habe sich verringert, oder sie fühlen sich beweglicher. Diese Verbesserungen lassen sich jedoch nur sehr selten durch objektive Messtechniken nachweisen.

Beruht die Besserung also in erster Linie auf dem Placeboeffekt?

Er spielt auf jeden Fall eine wichtige Rolle. In unserer eigenen Untersuchung haben wir eine Placebogruppe mit einbezogen und konnten zeigen, dass bei den Probanden, die richtiges Kinesiotape aufgeklebt bekamen, der Effekt größer war als in der Placebogruppe.

Was nimmt man denn in diesem Fall als Placebo – Isolierband?

So ähnlich (lacht). Die Herausforderung von Placebogruppen besteht ja immer darin, dass man versucht, möglichst nah an die Therapiemöglichkeit heranzukommen. Statt Kinesiotape kann man Klebestreifen nehmen, die nicht elastisch sind. Oder man klebt das Tape an die falsche Stelle.

Wie sollen Kinesiotapes denn überhaupt funktionieren?

Das elastische Klebeband macht eine Art Mikromassage im Gewebe. Das soll die Durchblutung und den Transport von Gewebsflüssigkeit anregen. Therapeuten nutzen häufig Kinesiotape, um Ödeme und Schwellungen zu behandeln. In diesem Bereich gibt es ebenfalls viele – auch nicht immer eindeutige – Studien. Eine weitere Idee ist, dass sich die mechanische Reizung der Haut auf tiefer liegende Wahrnehmungssysteme auswirkt, auf die Propriozeptoren. Mit ihnen ermittelt der Körper, wo er sich im Raum befindet, ob wir uns bewegen, wie unsere Körperteile zueinander angeordnet sind und wie wir unsere Kraft einsetzen. Zudem geben die Tapes, sofern man eine bestimmte Technik anwendet, dem Gelenk eine gewisse Stabilität; dies kann sich ebenfalls positiv auf die Mechanorezeptoren der Haut auswirken, die wiederum in engem Kontakt zu den gelenknahen Propriozeptoren stehen. Beides ist aber rein spekulativ. Bislang konnte der Wirkmechanismus durch keine Studie belegt werden.

Sie haben eine Studie durchgeführt, in der Sie Personen mit Kniegelenksarthrose Kinesiotapes aufgeklebt haben. Was genau haben Sie da untersucht?

Von Sportlerin zu Sportlern
Je nach Saison surft Lina Rahlf gerne oder fährt Ski. Das ganze Jahr über spielt sie außerdem Volleyball und geht laufen. Gerade wenn man einen langen, anstrengenden Tag hinter sich habe, sei das schön unkompliziert und zugleich effektiv, sagt die promovierte Sportwissenschaftlerin und Physiotherapeutin. Man kann es überall machen, braucht wenig Ausrüstung – und tut seinem Herz-Kreislauf-System etwas Gutes. Die Belastung des Laufens helfe ihr außerdem, den Kopf freizubekommen.

Wir wollten wissen, ob man durch das Tapen die arthrosebedingten Schmerzen und Bewegungseinschränkungen lindern kann. Tatsächlich haben die Probanden, die getapt waren, nach drei Tagen angegeben, dass sie weniger Schmerzen hätten und sich im Alltag besser beweglich fühlen würden. In der Placebogruppe, der wir das Tape ohne jegliche Technik an eine andere Stelle des Kniegelenks geklebt haben, und in der Kontrollgruppe, die gar kein Tape bekam, wurden keine wesentlichen Veränderungen sichtbar.

Wie erklären Sie sich den schmerzlindernden Effekt?

Die zuvor angesprochenen spekulativen Wirkmechanismen des Tapes könnten diesen positiven Effekt auslösen. Beispielsweise wissen wir, dass eine verbesserte Durchblutung häufig eine Schmerzlinderung mit sich bringt. Demnach könnten Mikromassage und gesteigerte Durchblutung für eine Erleichterung sorgen. Zudem verspüren Patienten mit Kniearthose häufig eine Instabilität. Das könnte durch ein unter Spannung korrekt angebrachtes Tape gelindert werden.

Trugen Ihre Probanden das Tape durchgehend oder nur bei bestimmten Aktivitäten, etwa beim Gehen?

Sie haben es durchgehend getragen. Das ist ja das Gute beim Kinesiotape: Wenn es einmal angebracht ist, trägt man es Tag und Nacht. Meistens wird das Tape nicht als ausschließliche Therapie eingesetzt, sondern es ist vielmehr eine begleitende Methode. Gerade im Alltag haben Menschen mit Arthrose oft Probleme: Wenn sie vom Stuhl aufstehen wollen oder beim Treppensteigen beispielsweise. Das Tape soll in jeglicher Lebenslage seine Wirkung zeigen.

Geht das Band nicht ab, etwa beim Duschen?

Nein, wenn es richtig angebracht ist, hält es bis zu sieben Tage. Man muss aber auch sagen: Das ist stark vom Hersteller abhängig; die Qualität der Bänder unterscheidet sich teilweise sehr. Ich habe die Methode schon bei Triathleten angewendet, die ja quasi ständig im Wasser sind. Damit das Tape bei ihnen hält, muss man die Haut etwas mehr vorbereiten und eventuell einen Zusatzkleber verwenden. Aber solange sie nicht über mehrere Stunden auf das Tape einwirken, sind Schweiß und Wasser kein Problem.

In Ihrer Studie trugen die Probanden die Tapes für drei Tage. Reicht das bereits aus, um einen Effekt zu spüren – oder muss man länger tapen?

Dazu gibt es unterschiedliche Ergebnisse. Manche Studien weisen schon nach einer Tragedauer von bis zu 24 Stunden Effekte nach. Wenn man die Tapes über längere Zeit trägt, verlieren sie meist ein wenig an Elastizität und damit an Wirkung. Ich empfehle deshalb eine Tragedauer von maximal fünf Tagen. Dann könnte man neu kleben, muss aber natürlich immer beobachten, wie gut man das verträgt und wie sich die Haut darunter verhält.

»Am gesunden Körper würde ich mir keinen Effekt versprechen«Lina Rahlf

Ich kenne Menschen, die sich nur für den Sport tapen. Bringt das überhaupt etwas?

Generell muss man davon ausgehen: Wenn das Tape hilft, dann nur, wenn tatsächlich eine Einschränkung vorliegt. Am gesunden Körper würde ich mir keinen Effekt versprechen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass ein Tape die Leistungsfähigkeit verbessert. Bei Menschen, die verletzt waren und langsam wieder mit dem Sport beginnen, kann ein Tape den fortgeschrittenen Heilungsprozess unterstützen. Durch eine bestimmte Klebetechnik lässt sich zudem eine gewisse Stabilität herstellen, die hilft, sich vor erneuten Verletzungen zu schützen.

Ähnlich wie eine Bandage?

Nein. Eine Bandage schränkt das Gelenk deutlich mehr ein. Beim Tapen soll die Funktion erhalten bleiben, nicht das Gelenk oder ein Körperteil ruhiggestellt werden. Insbesondere bei muskuloskelettalen Beschwerden oder Traumata wissen wir, dass der Funktionserhalt wesentlich zum Heilungsprozess beiträgt. Die Tapes ermöglichen es, das volle Bewegungsausmaß des Gelenks zu erhalten. Sie geben ihm aber trotzdem einen gewissen Halt, eine Unterstützung von außen, die eine Schmerzlinderung oder eine verbesserte Beweglichkeit mit sich bringen kann. Die Bandage ist deutlich fester und stabiler. Damit kann man mehr Kompression erreichen, was sich in vielen Situationen positiv auswirkt. Was besser geeignet ist, hängt vom Krankheitsbild ab.

Die Geschichte des Kinesiotapes
Die Methode stammt ursprünglich aus Japan. Seine ersten Versuche machte der Chiropraktiker Kenzo Kase mit Sumo-Ringern: Um die Durchblutung ihrer Muskulatur zu verbessern, klebte er ihnen ein elastisches Band auf – offenbar mit Erfolg. Gemeinsam mit der Firma Nitto Denko entwickelte Kase die Methode weiter. 1979 gilt als das Geburtsjahr des Kinesiotapes, auch als kinesiologisches Tape oder Physio-Tape bezeichnet. Der Name leitet sich von englisch kinesiology, Bewegungswissenschaft, ab (nicht zu verwechseln mit der alternativmedizinischen Kinesiologie in Deutschland). Die heutigen Tapes bestehen aus Baumwolle und einem eingewebten, elastischen Material. Sie lassen sich auf 130 bis 180 Prozent ihrer Länge dehnen. Ein Acrylkleber fixiert die Bänder auf der Haut.

Muss ein erfahrener Physiotherapeut das Tape anbringen oder kann man das selbst?

Ich würde immer empfehlen, es von einem Profi machen zu lassen. Dem Ganzen liegt eine besondere Technik zu Grunde, und man braucht anatomische Kenntnisse, um das Tape korrekt anzulegen. Vorab sollte auch immer eine Art Diagnostik erfolgen. Dann hat man die beste Chance, eine gewisse Wirkung zu erzielen. Ich schließe nicht aus, dass manche Menschen das Tape auch selbst richtig anbringen können. Man kann sich die Technik von einem erfahrenen Therapeuten oder Arzt zeigen lassen. Doch manche Körperstellen – etwa den Rücken – können wir selbst schwer erreichen. Insgesamt funktioniert es meistens besser, wenn ein Experte oder eine Expertin das macht. Bedauerlicherweise gibt es kein komplett einheitliches Vorgehen. So kann es sein, dass Therapeut A das Tape etwas anders anbringt als Therapeutin B.

Gibt es da keine Richtlinien oder feste Techniken?

Doch, es gibt ähnliche Techniken, aber nicht genau gleiche. Wir unterscheiden im Wesentlichen die Muskel- und die Ligamenttechnik. Wenn es ohne Zug aufgebracht wird, wirkt sich das eher auf die Durchblutung und den Lymphfluss aus. Klebe ich es unter Zug auf, hat das eher einen stabilisierenden Effekt. Ich vermute, diese Unterscheidung findet sich bei den meisten Anbietern.

Kann das Tapen denn auch schaden?

Die einzigen Nebenwirkungen, die mir bekannt sind, sind Hautirritationen. Wenn man empfindliche Haut hat, sollte man also besser auf das Tape verzichten. Auch älteren Personen, die schon etwas dünnere Haut haben, würde ich es nicht empfehlen. Ihre Haut wird dadurch unter Umständen zu stark strapaziert.

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