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Die fabelhafte Welt der Mathematik: In der Mandelbrot-Menge steckt die Fibonacci-Folge

Das wohl berühmteste Fraktal der Mathematik ist nicht nur hübsch anzusehen, es hat auch spannende Eigenschaften. Darin verbirgt sich die Kreiszahl Pi, und auch eine allseits bekannte Folge.
Mandelbrotmenge
Das »Apfelmännchen« zählt zu den berühmtesten mathematischen Mustern.

Die Mandelbrot-Menge fasziniert nicht nur Mathematikerinnen und Mathematiker: Das berühmte »Apfelmännchen« ist schon in verschiedensten Formen veröffentlicht worden: Unter anderem diente es als Coverbild für Alben von Bands wie »Anaal Nathrakh« oder »Heart«. Das Fraktal entwickelte sich außerdem zum Sinnbild der in den 1980er Jahren boomenden Chaostheorie, was sich beispielsweise am Einband des Bestseller-Buchs »Chaos« des »New-York-Times«-Journalisten James Gleick zeigt.

Tatsächlich birgt das Fraktal zahlreiche spannende Eigenschaften: Fachleute untersuchen damit dynamische Systeme, zu denen etwa Planetenbahnen oder Finanzmärkte gehören. Zudem wirft die Mandelbrot-Menge noch immer elementare Fragen auf, an denen sich Mathematiker und Mathematikerinnen seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißen. Aber auch bereits gut untersuchte Merkmale des Fraktals sind verblüffend: So versteckt sich darin nicht nur die Kreiszahl Pi, sondern auch die berühmte Fibonacci-Folge, bei der jeder Wert sich aus der Summe der zwei zurückliegenden ergibt (1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, …). Das erscheint noch überraschender, wenn man die Definition der Mandelbrot-Menge betrachtet – es scheint keinen Zusammenhang zu solch simpler Arithmetik zu geben.

Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen hin zu Steuertricks. Die Artikel können Sie hier lesen oder als Buch kaufen.

Der Grundgedanke, durch den das Muster entsteht, ist zunächst nicht allzu kompliziert. Tatsächlich braucht man dafür nur eine quadratische Gleichung der Form f(z) = z2 + c, wobei c eine Konstante ist. Die Aufgabe ist dann folgende: Man wählt einen bestimmten Wert für c, zum Beispiel −1, und berechnet damit f(0), was in diesem Fall −1 ergibt. Anschließend setzt man dieses Ergebnis als neuen Wert für z wieder in die Gleichung ein: f(−1) = (−1)2 − 1 = 0. Dann wiederholt man das Ganze: Man setzt das Resultat wieder in f(z) ein und erhält dadurch ein periodisches Muster: −1, 0, −1, 0, −1, … Doch nicht für jeden Wert c entstehen derart »zahme« Folgen. Wählt man etwa c = 2, ergibt sich die Sequenz 2, 6, 38, 1446, 2 090 918, … – die Werte explodieren geradezu. Die Mandelbrot-Menge besteht aus allen Zahlen c, für die die entstehende Folge beschränkt ist, deren Glieder also nicht ins Unermessliche wachsen.

Ein Blick über die reellen Zahlen hinaus

Auch wenn das interessant ist, lässt sich nicht erkennen, wie daraus das beeindruckende Fraktal entsteht. Um das zweidimensionale Muster zu erzeugen, muss man den Bereich der reellen Zahlen um so genannte komplexe Werte erweitern. Das heißt, man lässt neben den Punkten des Zahlenstrahls auch Wurzeln aus negativen Zahlen zu. Dabei führt man einen neuen Begriff i ein, die Wurzel aus minus eins. Mit diesem i lässt sich dann jede negative Wurzel ausdrücken, so ist √(−543) = √(543) i. Doch wo lassen sich die neuen Zahlen auf dem Zahlenstrahl verorten? Wie sich herausstellt, gar nicht. Man muss stattdessen eine zusätzliche Dimension für sie einführen: Aus der Geraden, auf der die reellen Zahlen liegen, wird eine »komplexe Ebene«. Die y-Achse enthält rein imaginäre Werte, also Wurzeln aus negativen Zahlen, und die x-Achse weiterhin die reellen. Möchte man auf diese Weise beispielsweise 3 + 4i grafisch darstellen, entspricht das dem Punkt (3, 4) in der komplexen Ebene.

Komplexe Ebene

Indem man untersucht, wie sich die Funktion f(z) = z2 + c für komplexe Werte c und z verhält, erhält man schließlich die gesamte Mandelbrot-Menge: Eine zentrale Kardioide (der »Körper« des Apfelmännchens), an der Knospen wachsen, von denen wiederum kleinere Knospen ausgehen. Um den Zusammenhang zur Fibonacci-Folge zu erkennen, muss man die Eigenschaften der Punkte innerhalb der verschiedenen Knospen untersuchen. Konvergiert die dazugehörige Folge gegen einen eindeutigen Wert? Springt die Sequenz zwischen mehreren Punkten hin und her?

Innerhalb der Kardioide liegt beispielsweise der Nullpunkt c = 0. Setzt man diesen in die zu Grunde liegende Gleichung f(z) = z2 + c ein, ergibt sich daraus als erstes Folgenglied f(0) = 0. Wenn man das Ergebnis nochmals in f einsetzt, landet man wieder bei null. Damit ist z = 0 ein so genannter Fixpunkt der Funktion für c = 0: Entspricht der Ausgabewert der Eingabe, liefert erneutes Einsetzen immer dasselbe Ergebnis. Wie sich herausstellt, führen auch andere Werte von c zu Fixpunkten. Diese kann man berechnen, indem man alle Lösungen für f(z) = z mit allgemeinem c bestimmt, also z2 + c = z nach z auflöst und damit eine Formel für Fixpunkte herleitet: z = ½ ± √(¼−c).

Fixpunkt | Wenn der Eingabe- und Ausgabewert einer Funktion gleich ist, also f(x) = x, dann ist x ein Fixpunkt.

Erstaunlicherweise sind diese Fixpunkte ein charakteristisches Merkmal der Kardioide: Die darin befindlichen Punkte c führen zu Folgen, die gegen die dazugehörigen Fixpunkte konvergieren oder sich um sie herum bewegen. Das lässt sich am Beispiel c = −¼ erkennen: Wiederholtes Einsetzen in die Gleichung f liefert eine Sequenz, die um den entsprechenden Fixpunkt variiert, also um z = ½ − √(½) = 0,207… Gleiches gilt für alle anderen Punkte c innerhalb der Kardioide. So schwanken für c = −¾ die Folgenglieder um den Fixpunkt −½.

Folgenglieder für c = –0,25

Allerdings gibt es innerhalb der Mandelbrot-Menge nicht nur Fixpunkte, sondern auch andere Muster, denen die Folgen gehorchen. Das ist etwa bei c = −1 der Fall, dessen dazugehörige Sequenz −1, 0, −1, 0, −1, 0, … lautet. Solche Folgen, die zwischen zwei festen Werte hin- und herhüpfen, werden als Zyklen mit Periodizität zwei bezeichnet. Sie sind so etwas wie ein Fixpunkt zweiter Ordnung, das heißt, erst die doppelte Anwendung der Funktion ergibt wieder den Eingangswert z, also f(f(z)) = z. Ausgeschrieben bedeutet das: f(z2 + c) = (z2 + c)2 + cz. Diese Gleichung kann man auflösen, um alle z zu finden, die Zyklen mit Periodizität zwei entsprechen. Und wie sich herausstellt, gehört zu jedem Wert c innerhalb der ersten Knospe (dem »Kopf« des Apfelmännchens) eine Folge, die mit solchen Zyklen zusammenhängt. Ein Beispiel dafür ist c = −1,1, dessen dazugehörige Folgenglieder abwechselnd in die Nähe der Werte 0,09 und −1,09 springen.

Folgenglieder für c = –1,1

Die Knospen der Mandelbrot-Menge haben Zahlenwerte

Für jede einzelne Knospe der Mandelbrot-Menge lässt sich eine solche Periodizität angeben. Dabei fällt vielleicht auf, dass die Zahlenwerte nicht willkürlich verteilt sind. So liegt zwischen der Knospe mit Periodizität drei (kurz: »Knospe drei«) und Knospe fünf eine kleinere Knospe mit Periodizität acht. Zwischen Knospe drei und vier steckt Knospe sieben. Es scheint, als setzt sich die Periodizität einer Knospe aus der Summe der äußeren großen Knospen zusammen. So ganz geht das Muster aber nicht auf. Zwischen Knospe fünf und neun liegt eine mit Periodizität sieben. Doch solche vermeintliche Ausreißer lassen sich erklären.

Periodizitäten in der Mandelbrot-Menge | Die Punkte innerhalb der Knospen führen zu Folgen mit unterschiedlichen Periodizitäten.

Dafür hilft es, den Rand der Kardioide genauer zu untersuchen: Durchläuft man beispielsweise ein Drittel des Umfangs, landet man bei dem Punkt, wo die Knospe mit Periodizität drei liegt. Die Hälfte des Durchmessers mündet zur Knospe zwei (dem Kopf des Apfelmännchens) und bei zwei Dritteln des Umfangs wieder bei einer unteren Knospe mit Periodizität drei. Die Periodizität hängt nämlich mit dem entsprechenden Bruchteil des Umfangs zusammen – und zwar mit dem Nenner des Bruchteils. Möchte man beispielsweise herausfinden, welche Knospe zwischen jenen mit Periodizität zwei und drei liegt, kann man den Bruchteil des Umfangs suchen, der zwischen ½ und ⅓ liegt und einen möglichst kleinen Nenner hat. Denn je größer der Nenner, desto kleiner die Knospe. Das heißt, man sucht eine Zahl pq mit kleinstmöglichen q, die zwischen ½ und ⅓ liegt: ½ < pq< ⅓. Der Nenner q kann ganz klar nicht 1, 2 oder 3 sein – aber auch nicht 4, da ¼ zu klein ist, 24 gekürzt ½ ergibt und ¾ zu groß ist. Also kann man es mit q = 5 versuchen – mit Erfolg: ⅖ erfüllt die obige Gleichung: ½ < ⅖ < ⅓. Und tatsächlich: Zwischen Knospe drei und Knospe zwei liegt eine mit Periodizität fünf.

Auf q = 2 und 3 folgt also 5. Dabei lassen sich schon ein paar Elemente der Fibonacci-Folge erkennen (1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, …). Man kann sich fragen, welche Knospe zwischen der Drei und der Fünf steckt, das heißt, welcher Bruch zwischen ⅖ und ⅓ liegt. Tatsächlich lässt sich diese Aufgabe systematisch lösen, indem man die »fehlerhafte Bruchrechnung« anwendet, also die so genannte Farey-Summe bildet: Um einen Bruch pq zu berechnen, der zwischen ⅖ und ⅓ liegt, kann man dazu die Nenner und Zähler der beiden Brüche separat addieren und durcheinander teilen: (2+1)(5+3) und erhält damit pq = 38 – und tatsächlich ist q = 8 das nächste Folgeglied der Fibonacci-Sequenz. Da sich der nächste Bruch zwischen den Knospen fünf und acht wieder durch eine Farey-Summe dieser Zahlen bestimmen lässt, entsteht zwangsläufig die Fibonacci-Folge. Die Farey-Summe erklärt auch die scheinbaren Unregelmäßigkeiten in den Knospen, wie die Sieben, die zwischen den Knospen fünf (⅖ des Umfangs) und neun (49 des Umfangs) liegt: (2+4)(5+9) = 614 = 37.

Um die Fibonacci-Folge zu erhalten, startet man folglich mit den Knospen zwei und drei und springt dann zur nächstkleineren Knospe zwischen ihnen. Diese hat eine Periodizität von fünf. Dann betrachtet man die Knospe zwischen drei und fünf und findet eine mit Periodizität acht. Zwischen fünf und acht steckt die 13 und so weiter. Indem man immer weiter in die Mandelbrot-Menge hineinzoomt und die Periodizitäten der Knospen bestimmt, entfaltet sich Stück für Stück die Fibonacci-Folge.

​​Was ist euer Lieblingsmathetheorem? Schreibt es gerne in die Kommentare – und vielleicht ist es schon bald das Thema dieser Kolumne!

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