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Star-Bugs – die kleine-Tiere-Kolumne: Eine trickreiche Jägerin breitet sich aus

Gottesanbeterinnen lieben es warm und sonnig - und profitieren vom Klimawandel. Die Art findet sich an immer mehr Stellen in Deutschland.
Eine grüne Gottesanbeterin blickt hinter einem hellbraunen Fruchtstand eines Grases hervor. Erkennbar sind die langen Fühler, die beiden Facettenaugen sowie ein Teil des Oberkörpers mit den charakteristischen Fangbeinen. Der Hintergrund ist verschwommen.
Guten Tag, ich möchte mit Ihnen über die Erderwärmung sprechen … Gottesanbeterinnen mögen es warm und sonnig.
Insekten und andere Wirbellose finden sich überall um uns herum, doch bis auf Schmetterlinge, Bienen und wenige andere Gruppen genießen sie geringe bis keine Achtung oder gar Sympathien. Dabei ist die Welt der Sechsbeiner und Co. mehr als faszinierend. Ein genauerer Blick auf diese Welt der kleinen Tiere in unserer Natur lohnt also. Wir stellen regelmäßig besondere Stars aus diesem Universum vor.

Ein blasses Flugobjekt landet in einem kahlen Busch. Erst als es stillsitzt, erkennt man, was es ist: eine Gottesanbeterin (Mantis religiosa). Jetzt, mit zusammengeklappten Flügeln, wirkt sie auch nicht mehr blass, sondern leuchtet hellgrün zwischen den dornigen Zweigen hervor.

Es ist Anfang September 2024, die Spätsommersonne hat das Vulkangestein des Bausenbergs bei Niederzissen im äußersten Norden von Rheinland-Pfalz schon ordentlich aufgeheizt. Zwischen lichten Wäldern liegen große, trockene Rasenflächen. An den steilen Hängen des alten Vulkankraters und auf den Halden eines früheren Steinbruchs finden Insekten offene Stellen, die im Boden brüten.

Eine Schar Ziegen trippelt zwischen den niedrigen Bäumen den Hang abwärts. Die Pflanzenfresser vertilgen junge Baumtriebe und Büsche und sollen so dafür sorgen, dass die artenreichen Trockenlebensräume hier im Naturschutzgebiet offen bleiben. Die kontinuierliche Beweidung hat das Gebiet letztlich auch für Gottesanbeterinnen attraktiv gemacht – das vermuten die Biologinnen und Biologen, die das Biotop betreuen. 2017 haben sie das Insekt erstmals hier gesichtet.

Seitdem ist der Bausenberg eine sichere Adresse für Menschen, die diese Fangschrecken – und viele andere, zum Teil seltene Insektenarten – beobachten wollen. An diesem sonnigen Tag springen auf Schritt und Tritt Grasbewohner auf; viele davon geben sich durch ihre leuchtend blauen Hinterflügel als Blauflügelige Ödlandschrecken (Oedipoda caerulescens) zu erkennen; Kohlweißlinge, Perlmutterfalter und Würfel-Dickkopffalter eilen von Blüte zu Blüte.

Beweglich, geduldig, tödlich

Die grüne Gottesanbeterin im Dornbusch schaut den Beobachter direkt an. Was verleiht diesen Tieren ihre Faszination? Zum einen ihre Größe. Die macht es leicht, sie zu entdecken und zu beobachten. Zum anderen ihre großen Facettenaugen, mit denen sie dank ihres beweglichen Kopfes schnell nach allen Seiten Ausschau halten können. Am auffälligsten aber sind ihre »Hände«, deren eigenartig abgewinkelter Haltung sie ihren Namen verdankt. Eigentlich handelt es sich um die beiden vorderen Beine, aber auch sie sind, wie Kopf und Augen, ungewöhnlich beweglich: ideal, um Beute zu packen.

Das Exemplar auf dem Dornbusch ist ein Männchen; das verrät der schlanke Hinterleib, der kaum unter den zusammengelegten Flügeln hervorschaut. Bei den Weibchen hingegen muss dieses Abdomen Platz bieten für Unmengen Eier. Sie sind insgesamt etwa ein Drittel größer als die Männchen.

Gottesanbeterin mit Beute | Diese Insekten sind geschickte Jäger, die zahlreiche unterschiedliche Insektenarten erbeuten können – und von denen die Weibchen im Zweifel auch die Männchen fressen.

Das wichtigste Ziel des Männchens um diese Jahreszeit ist es, ein Weibchen zu finden und zu befruchten, was überwiegend nachts geschieht. Die Weibchen helfen dabei, indem sie Duftstoffe absondern. »Die Männchen können diese Pheromone mit ihren langen Fühlern auf 150 Meter Entfernung wahrnehmen«, sagt der Berliner Biologe Manfred Berg. Er hat 1998 als Autodidakt begonnen, die Welt der Insekten zu erkunden, und sich dann mit der Zeit zum Experten für Gottesanbeterinnen entwickelt. Nach diversen Fachaufsätzen hat er 2011 ein Buch geschrieben, das die Tiere und ihre Lebensweise auf rund 500 Seiten beschreibt.

Manfred Berg hat die charismatischen Fangschrecken vor allem in Berlin und Umgebung studiert – und viele interessante Details über sie herausgefunden. Zum Beispiel, woran man erkennt, ob ein Weibchen bereits befruchtet ist. Das verraten winzige Spuren, die Männchen bei der Paarung hinterlassen. Wenn sie eine Sexualpartnerin aufgespürt haben, schleichen sie sich von hinten an sie heran, besteigen ihren Rücken und halten sich mit den Vorderbeinen daran fest. »Dabei perforieren sie mit den Dornen ihrer Fangbeine die Deckflügel der Weibchen«, beschreibt Berg. Davon bleiben an der Basis der Deckflügel kleine Narben als braune oder schwarze Punkte zurück, manchmal sogar größere Flecken, die an welkendes Laub erinnern.

Mörderische Paarung

Dass die Paarung für die männlichen Gottesanbeter lebensgefährlich ist, gehört zum besonderen Nimbus der Tiere. Und entspricht der Wahrheit – in den meisten Fällen jedenfalls. Zwar versuchen die Männchen, nach der Paarung sofort wegzuspringen, denn schließlich haben sie größere Chancen, ihre Gene weiterzugeben, wenn sie sich mit vielen Weibchen paaren. Die Flucht misslingt aber ziemlich häufig. Oft verspeist das Weibchen das Männchen gleich nach oder sogar noch während der Kopulation. Den mit Eiern beladenen Weibchen fällt es schwerer zu jagen, doch wenn sie einen Artgenossen verspeisen, sind sie gut gestärkt für die Eiablage, und der Partner kann sich nicht mehr mit anderen Weibchen paaren. Das reduziert die Konkurrenz.

Die vollbeladenen Weibchen machen sich zu Fuß auf die Suche nach einer geeigneten Stelle zur Ablage ihrer Eipakete. Manfred Berg hat beobachtet, dass die Gottesanbeterinnen ihre Ootheken gern an der Unterseite nackter Steine anlegen, an Schotter beispielsweise. Denn solches Gestein erwärmt sich bereits früh im Jahr, wenn die Frühlingssonne darauf scheint. Dann entwickeln sich die Embryonen schneller, schlüpfen früher und haben einen Vorsprung vor dem Nachwuchs der Verwandtschaft.

Hat sie einen guten Ablageplatz gefunden, presst die Gottesanbeterin einen Schaum aus ihrem Hinterleib, den sie an Steine oder feste Pflanzenteile heftet und in den sie ihre Eier legt. Der Schaum wird schnell fest und verfärbt sich dunkel. »Der oxidiert wie ein angeschnittener Apfel«, erklärt der Mantis-Fachmann Berg. In den Eipaketen sind die Eier gut geschützt. Um Schimmel und Fäulnis zu verhindern, sucht sich das Tier eine Stelle zwischen 5 und 25 Zentimetern über dem Boden in ausreichend Abstand zum Boden, wo sich Tau und Regen sammeln können.

Auch die Weibchen können fliegen

Dass die Weibchen nicht vollbeladen fliegen, ist allerdings ein Mythos, dem Bergs Beobachtungen widersprechen. Bei Leuchtabenden hat er mehrere Gottesanbeterinnen gesehen, die zuerst ein paar Runden um die hellen Türme der Nachtfalterforscher flogen, um sich danach darauf niederzulassen und andere Besucher aufzufressen. »Ich konnte feststellen, dass die Weibchen sowohl mit vollbeladenem Hinterleib als auch jungfräulich sehr wohl fliegen können«, sagt er.

Ausbreitung in Deutschland

Lange bildete Südbaden das Hauptverbreitungsgebiet der Gottesanbeterinnen in Deutschland – vor allem die wämebegünstigte Region rund um den Kaiserstuhl bot ihnen optimale Bedingungen. Auch in Rheinland-Pfalz hat sich die Art inzwischen etabliert. Ab 1998 gab es ein sicher nachgewiesenes Inselvorkommen in Berlin-Schöneberg, wo sich die Tiere ebenfalls erfolgreich fortpflanzen konnten. Generell begannen sich diese Insekten aber ab den 1990er Jahren in Mitteleuropa auszubreiten – dank wärmerer Sommer und milderer Winter.

Bis zu den 2020er Jahren konnten sich in Deutschland zwei stabile Populationen etablieren: im Westen in den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Hessen und Saarland und im Osten in Berlin, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Die westliche Population stammt demnach hauptsächlich aus Frankreich, während die östliche Population aus Tschechien über das Elbtal eingewandert ist. Bis 2023 folgte eine weitere Ausbreitung nach Nordwesten vom Bestand in Deutschlands Südwesten ausgehend, der sich auch ostwärts über den Schwarzwald in Baden-Württemberg ausgedehnt hat. Die östliche Teilpopulation wandert ihr dabei entgegen und hat bis 2024 Thüringen erreicht.

Das erklärt auch, weshalb die Tiere immer wieder in beleuchtete Wohnungen hineinfliegen. »Wir hatten im vergangenen Jahr mehr als 300 Meldungen aus dem ganzen Stadtgebiet von Berlin«, so Berg, »sogar aus dem zehnten Stock.« Zusammen mit Forschern des Naturkundemuseums Potsdam haben Berg und seine Mitstreiter von den »Mantidenfreunden Brandenburg« eine eigene Website eingerichtet, um Meldungen von gesichteten Gottesanbeterinnen zu sammeln.

Wenn die Weibchen nicht fliegen könnten, hätten sich die Insekten auch kaum so weit nach Norden ausgebreitet: auf den Bausenberg, nach Berlin, inzwischen sogar fast bis an die Nord- und Ostsee. Das jedenfalls legen Meldungen in Citizen-Science-Projekten von iNaturalist bis observation.org nahe.

Mantis religiosa stammt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum, doch als invasive Art ist sie nicht zu betrachten. Zwar profitiert sie vom Klimawandel und frisst viele heimische Ameisen, Wespen, Bienen, Heuschrecken und andere Gliederfüßer. Aber bislang deutet nichts darauf hin, dass sie einzelne Arten dezimiert oder die Lebensgemeinschaften der Gebiete durcheinanderbringt, in denen sie sich etabliert. Vielleicht liegt das auch daran, dass Gottesanbeterinnen von Natur aus eher selten sind, weshalb sie unter strengem Schutz stehen: Die Rote Liste für Deutschland weist sie als »gefährdet« aus. Noch …

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