Grams' Sprechstunde: Ist Sterbehilfe mit dem ärztlichen Ethos vereinbar?
Im Film »Gott« von Ferdinand von Schirach möchte die alternde, aber gesunde Hauptfigur seinem Leben ein Ende setzen. Dass er ein unbestreitbares Recht dazu hat, ist abschließend durch das Bundesverfassungsgericht im Februar dieses Jahres festgestellt worden. Trotzdem sieht sich der – eindeutig nicht psychisch beeinträchtigte – Mann tatsächlichen Barrieren bei einer menschenwürdegerechten Umsetzung seines Entschlusses gehindert. Dies thematisiert der Film unter verschiedenen Aspekten.
Der Film ist mir als Mensch und Ärztin sehr unter die Haut gegangen. In der fiktiven Geschichte, die wie ein Kammerspiel verschiedener Positionen angelegt ist – die der Hausärztin, die dem Wunsch ablehnend gegenübersteht, des Vertreters der organisierten Ärzteschaft, der dies ebenfalls vertritt, des Bischofs, der aus der Sicht religiös motivierter Ethik auch seine ablehnende Position darlegt, diese alle als Gegenspieler des eloquenten und wohlinformierten Anwalts – ist für mich natürlich die ärztliche Position angesichts des hilfesuchenden, authentisch und überzeugend auftretenden Suizidwilligen von besonderem Interesse. Wie kann man ihm und seinem Wunsch nach einem selbstbestimmten Lebensende in Würde überhaupt gerecht werden? Im Film gibt der fiktive Vertreter der Bundesärztekammer eine Antwort, die (derzeit) auch die Position der ärztlichen Standesvertretungen in der realen Welt ist: Hilfe zum Sterben gehöre nicht zu den Aufgaben von Ärzten und Ärztinnen. Sie seien keine »Sterbehandwerker«. Punktum.
Kann es mit diesem »Punktum« wirklich sein Bewenden haben? Das hat mich sehr beschäftigt. Macht man es sich ärztlicherseits damit nicht etwas zu leicht? Es geht für Menschen mit dem – legitimen – Wunsch nach einem selbstbestimmten Lebensende und für die ins Vertrauen gezogenen Ärzte und Ärztinnen doch um höchst existenzielle Fragen, die schnelle, eindeutige und leichte Antworten nicht zulassen. Ein »Punktum« gewiss nicht.
In den Fokus von Diskussionen zum Thema rückt schnell das ärztliche Ethos, mit dem eine ärztliche Unterstützung bei einem selbstbestimmten Suizid angeblich unvereinbar sei. Medizin soll Leben retten, nicht beenden. Und verbietet es der hippokratische Eid nicht, jemandem – egal ob er danach verlangt oder nicht – ein tödliches Gift zu verabreichen oder ihm zu einem zu raten?
Arzt und Ärztin haben Leben zu retten, nicht zu beenden, wie es auch im Film explizit hieß – natürlich! Aber der Satz hat etwas von »Wer heilt, hat Recht«: Er ist als semantische Aussage richtig, aber zu kurz gegriffen, um als tiefere Wahrheit durchzugehen. Die hinter dem Eid stehenden ethischen Vorstellungen sind mehr als 2000 Jahre alt. Heute ist die ärztliche Ethik vom Begriff der Menschenwürde geprägt, wie ihn die neuzeitliche Aufklärung hervorgebracht hat. So ist ein zentraler Satz des »Genfer Gelöbnisses« des Weltärztebundes (das meist anstelle des hippokratischen Eides verwendet wird): Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patientin oder meines Patienten respektieren.
Das ist eine ganz zentrale Aussage. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom Februar 2020 klargestellt, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ein Ausdruck von Autonomie und Würde ist, die jedem Menschen zustehen. Ein Grundrecht, das höher steht als das Leben selbst. Bei klarem Verstand und nach gebührender, nachhaltiger Aufklärung über Alternativen und Hilfsangebote kann am Ende nur ich allein entscheiden, ob ich mein Leben als weiterlebenswert erachte, oder ob ich freiverantwortlich aus dem Leben scheiden möchte. Und an diesem Punkt stellt sich durchaus zwingend die Frage nach der Rolle ärztlicher Unterstützung, will man nicht wieder den Suizidwilligen auf die Sackgasse all der Unwägbarkeiten und Risiken verweisen, die mit untauglichen Mitteln und Methoden verbunden sind.
Ist eine gute Medizin nicht vor allem anderen eine dem Menschen zugewandte, empathische, humane, ja auch barmherzige Medizin? Eben eine, die sich nicht als bloße Reparaturdienstleistung versteht? Sondern eine, die Menschen in ihrer persönlichen Situation, in ihrem persönlichen Leid hilft und zur Seite steht. Und die dabei auch die Option beinhaltet, bei einem freiverantwortlichen Suizid zu assistieren, wenn dies die persönliche Gewissensprüfung erlaubt? Der Arzt selbst ist ja auch mehr als ein Reparaturdienstleister.
Ich finde: Wer den Arztberuf ergreift, weil er Menschen in Leid und Not helfen will, kann eine letzte Hilfe für den in freier Selbstbestimmung und Würde entschlossenen Menschen nicht ausschließen. Selbstverständlich unterliegt die Entscheidung auch der persönlichen freien Willens- und Gewissensentscheidung von Arzt oder Ärztin! Niemand kann und darf gezwungen werden, Hilfe bei einem Suizid zu leisten. Es sollte jedoch auch kein Mediziner durch Standesregeln daran gehindert werden.
Aber nimmt – wie im Film eindringlich vorgetragen – das Vertrauen in die Ärzteschaft insgesamt Schaden, oder das konkrete Vertrauensverhältnis zwischen Arzt oder Ärztin und Patientin oder Patient, wenn Hilfe beim eigenverantwortlichen Suizid möglich ist? Ich denke nicht. Warum sollte es? Ist die Bereitschaft, dem Gegenüber in einer solchen Situation zu vertrauen, das Wissen, dass er einen im Zweifel nicht im Stich lassen wird, nicht ein höchster Ausdruck von Vertrauen? Was könnte eine engere Bindung im Arzt-Patienten-Verhältnis herbeiführen als das Wissen, auch ein Thema wie das des eigenverantwortlichen Suizids ohne Scheu und im Vertrauen auf Verständnis und Respekt ansprechen zu können?
Arzt und Ärztin sein ist mehr als ein Beruf, mehr als Expertise, mehr als Professionalität. Es ist, wie die Einleitung zum Genfer Gelöbnis es ausdrückt, ein Leben im Dienst der Menschlichkeit. Und damit auch im Dienst der Menschen, die sich ärztliche Unterstützung bei ihrer letzten Entscheidung in Würde und Selbstbestimmung erhoffen.
Mehr zum Thema Sterbehilfe auch in »Grams' Sprechstunde«, dem Podcast für Recht gute Medizin.
Wege aus der Not
Denken Sie manchmal daran, sich das Leben zu nehmen? Erscheint Ihnen das Leben sinnlos oder Ihre Situation ausweglos? Haben Sie keine Hoffnung mehr? Dann wenden Sie sich bitte an Anlaufstellen, die Menschen in Krisensituationen helfen können: an den Hausarzt, niedergelassene Psychotherapeuten oder Psychiater oder die Notdienste von Kliniken. Kontakte vermittelt der ärztliche Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 116117.
Die Telefonseelsorge berät rund um die Uhr, anonym und kostenfrei: per Telefon unter den bundesweit gültigen Nummern 0800 1110111 und 0800 1110222 sowie per E-Mail und im Chat auf der Seite www.telefonseelsorge.de. Kinder und Jugendliche finden auch Hilfe unter der Nummer 0800 1110333 und können sich auf der Seite www.u25-deutschland.de per Mail von einem Peer beraten lassen.
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