Freistetters Formelwelt: Deutscher Archimedes sagte Weltuntergang voraus
Die Summe der ersten n aufeinander folgenden natürlichen Zahlen ist gleich (n²+n)/2. Diese Formel wird auch gaußsche Summenformel genannt, die Carl Friedrich Gauß schon als Neunjähriger entdeckt haben soll. Doch auch wer nicht so begabt ist wie der große deutsche Mathematiker, kann sich diese Formel durch ein wenig Nachdenken schnell herleiten.
Komplizierter wird es da schon, wenn man die ersten n Quadratzahlen summieren möchte oder die ersten n Kubikzahlen. Und für das allgemeine Problem der Summe der ersten n Zahlen zur p-ten Potenz muss man dieses Ungetüm von Formel bemühen:
Sie wird faulhabersche Formel genannt, und es lohnt sich, sich mit ihrer Geschichte zu beschäftigen. Johannes Faulhaber wurde 1580 als Sohn eines Webers in Ulm geboren. Faulhaber erlernte zuerst ebenfalls den Beruf des Webers, bevor er als Jugendlicher bei einem Rechenmeister in die Lehre ging. Er war mathematisch begabt und beherrschte die Rechenkunst der damaligen Zeit. Seine Spezialität war die Addition von Potenzen. In seinem Buch »Academia Algebrae« gab er an, wie man die Summe der Potenzen der natürlichen Zahlen bis zur 17. Potenz berechnen kann. Die heute nach ihm benannte Formel findet man darin aber nicht.
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Die obige Gleichung enthält die Koeffizienten Bk, die »Bernoulli-Zahlen«. Das ist eine Abfolge rationaler Werte, die der Schweizer Mathematiker Jakob Bernoulli bei der Beschäftigung mit Faulhabers Arbeit entdeckte. Ihm fiel ein Muster in den Koeffizienten der Formel seines Ulmer Zeitgenossen auf – und eine Formel, mit der man sie schnell berechnen kann.
Exakt bewiesen wurde der allgemeine Fall der faulhaberschen Formel allerdings erst im 19. Jahrhundert von Carl Gustav Jacob Jacobi. Faulhaber selbst war an so einem allgemeinen Beweis vermutlich nicht sonderlich interessiert; bei den Rechenmeistern der damaligen Zeit war es nicht üblich, irgendwelche Lösungen zu veröffentlichen. Das hätte auch ihr Geschäftsmodell gestört, das darin bestand, Unterricht gegen Geld anzubieten, um anderen beizubringen, wie man mathematische Probleme löst.
Eine düstere Prognose bewahrheitet sich
Johannes Faulhaber war außerdem davon überzeugt, ein von Gott auserwählter Mensch und mit der besonderen Gabe ausgestattet zu sein, Zahlen in religiösen Texten zu interpretieren und Aussagen über die Zukunft zu machen. Er sagte zum Beispiel das Erscheinen eines Kometen vorher, der den Weltuntergang ankündigen sollte. Als 1618 tatsächlich so ein Himmelskörper zu sehen war, sah er sich bestätigt und veröffentlichte ein entsprechendes Pamphlet. Daraus entwickelte sich der berühmte »Ulmer Kometenstreit«, bei dem es um die Frage ging, ob Kometen einfach nur simple Naturerscheinungen sind oder »wunderbare Zeichen« Gottes, die Tod und Verderben ankündigen. Angesichts des kurz vor dieser Auseinandersetzung ausgebrochenen Dreißigjährigen Kriegs kann man verstehen, dass Faulhaber die Kometen als Zeichen von Gottes Zorn deutete. Zu einem abschließenden Ergebnis kamen die Parteien des Kometenstreits allerdings trotzdem nicht.
Faulhaber jedenfalls wandte sich der praktischen Seite der Mathematik zu und baute Wasserräder, Mühlen und andere Werkzeuge, die sich zu militärischen Zwecken einsetzen ließen. Er machte sich außerdem einen Namen als Festungsbaumeister und arbeitete an den Befestigungsanlagen von Basel und weiteren Städten. In den Jahren vor seinem Tod veröffentlichte er die vier Bände der »Ingenieurs-Schul«, durch die der dekadische Logarithmus (der wenige Jahre zuvor von Henry Briggs in England eingeführt wurde) in Deutschland bekannt wurde.
Heute ist Faulhabers Name eher unbekannt. Dass es früher aber anders war, zeigt auch der Beiname, der ihm verliehen wurde: »Deutscher Archimedes«.
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