Direkt zum Inhalt

Grams' Sprechstunde: »Ich kann mich nicht impfen lassen, ich habe …!«

Immer wieder begegnen unserer Kolumnistin, der Ärztin Natalie Grams-Nobmann, vermeintlich gute Gründe gegen die Corona-Impfung. Medizinisch berechtigt sind sie allerdings fast nie. Welche Kontraindikationen gibt es wirklich?
Impfgegner haben eine Menge Ausreden

Es bleibt dabei, das Thema Corona-Impfung sorgt für viel Verunsicherung und jede Menge Informationsbedarf. Das zeigen generell etwa die COVIMO-Erhebungen zur Impfbereitschaft, mir persönlich aber auch jede Menge Fragen, die an mich herangetragen werden. Zunehmend häufig scheint dabei eine Sorge: bei welchen Vorerkrankungen oder Medikamenten man sich »nicht impfen lassen darf«. Es gebe doch immerhin auch stichhaltige Gründe gegen eine Impfung? Die Frage ist wichtig; und es lohnt sich, darauf einmal genau einzugehen.

Natürlich schon deshalb, weil zum Thema in der Corona-Gerüchteküche selbstverständlich wieder allerlei Schreckensmärchen zusammengerührt werden. Was anschließend serviert wird, sollte man aus verschiedenen Gründen nicht einfach schlucken – schon deswegen, weil dabei auffällig oft allein schon die Menge an Kontraindikationen, also medizinisch fundierten Gründen gegen die Impfung, deutlich überschätzt wird.

Als Kontraindikationen zählt all das, was gegen eine bestimmte diagnostische oder therapeutische Maßnahme spricht, zum Beispiel gegen eine Impfung. Das können sowohl Vorbedingungen sein, die selbst keine Krankheit sind, als auch bestimmte Erkrankungen. Eine Kontraindikation kann absolut sein, also eine bestimmte Maßnahme komplett ausschließen. Bei einer relativen Kontraindikation lässt sich eine notwendige Intervention nach einer Risikoabwägung trotzdem rechtfertigen, gegebenenfalls mit geeigneten Vorsichtsmaßnahmen.

Spricht eine Allergie gegen die Impfung?

Viele Kontraindikationen bei Impfungen gegen Covid-19 sind jedoch ausschließlich gefühlt, nicht real. Hier ganz vorne dabei: Allergien. Klar, wenn man gegen einen der Inhaltsstoffe des Impfstoffs bekanntermaßen allergisch ist, empfiehlt auch das Paul-Ehrlich-Institut auf einen anderen Impfstoff auszuweichen. Solche Allergien sind aber sehr, sehr speziell und selten, immerhin enthalten die Impfstoffe ja auch erstaunlich wenig Hilfsstoffe. Das gilt gerade für die neu entwickelten mRNA-Vakzine sowie für die modernen Vektorimpfstoffe. Im Übrigen gilt: Eine Allergie – etwa gegen Pollen oder andere Arznei- oder Lebensmittel – stellt keine Kontraindikation gegen die Corona-Impfung dar.

In der Impfpraxis werden gerade frisch geimpfte Personen zur Sicherheit noch eine gewisse Zeit im Auge behalten, um bei einer allergischen Sofortreaktion oder Anaphylaxie an Ort und Stelle sofort helfen zu können. Tatsächlich gibt es seltene Fälle, bei denen das Immunsystem kurz nach der ersten Impfung reagiert hat. Eine gerade veröffentlichte US-Studie hat untersucht, ob die von solchen Erstreaktionen Betroffenen bei der zweiten Impfung mit mRNA-Impfstoffen ebenfalls ein höheres Risiko tragen – das ist aber nicht der Fall. Dies spricht dagegen, dass die Personen bei der ersten Impfung überhaupt eine »echte« allergische Reaktion gegen die Inhaltsstoffe hatten.

Schadet das Vakzin bei Rheuma, Autoimmunität und anderen Erkrankungen?

Einen genauen Blick verdienen die Bedenken von Patientinnen und Patienten, die an einer rheumatischen Erkrankung leiden. Bis auf wenige Ausnahmen sind das ja Autoimmunerkrankungen – und irgendwie haben Impfungen ja schon etwas mit dem Immunsystem zu tun, auf das sie einwirken sollen. Die Behauptung, Impfungen würden Autoimmunerkrankungen auslösen oder verschlimmern, wurde allerdings niemals belegt. Als gesichert gilt dagegen, dass Infektionskrankheiten ein relevanter Auslöser für Autoimmunerkrankungen sein können. Vor einer Infektion mit dem Coronavirus, nicht vor der Impfung dagegen droht demnach Gefahr.

Auch bei einer rheumatische Erkrankung ist die Covid-Impfung nicht kontraindiziert. Es kann jedoch sein, dass das Immunsystem hier nicht ähnlich gut auf die Impfung anspricht wie bei Gesunden. Vor allem gilt das bei Therapien mit Immunsuppressiva oder auch bei einer grundlegenden Immunschwäche, also Immundefizienz. Es wird gerade noch untersucht, ob man solchen Patientinnen und Patienten zu einer dritten Impfung raten sollte, um ihren Impfschutz zu erhöhen.

Es ist sicher nachvollziehbar, dass ungern über eine Impfung nachdenkt, wer eine Krebserkrankung, multiple Sklerose oder eine chronisch entzündliche Darmerkrankung hat. Dabei sollte man aber nicht dem Missverständnis unterliegen, eine Impfung würde bei geschwächtem Immunsystem oder unter Kortisontherapie womöglich die Erkrankung auslösen, gegen die das Vakzin sich eigentlich richtet. Bei den modernen Impfstoffen ist das nicht möglich: Egal ob vektor- oder mRNA-basiert, eine Virusinfektion durch das Vakzin ist ausgeschlossen, da hier nur »genetische Schnipsel« des Viruserbguts und nicht der Erreger selbst in den Körper gelangen. Ein geschwächtes Immunsystem bildet dann vielleicht nicht so viele Antikörper wie ein völlig gesundes, die Bilanz ist aber auch hier positiv, und ein gewisser Schutz wird entstehen.

Das Impfen von Schwangeren

Und wie sieht es in Schwangerschaft und Stillzeit aus? Hier muss das Impfrisiko für Mutter und Ungeborenes oder Säugling zusammen bedacht werden. Dazu kommt, dass dabei eine Entscheidung auf schmaler Datengrundlage getroffen werden muss. Denn nachvollziehbarerweise ist die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Vakzine in den Zulassungsstudien zunächst nicht mit größeren Gruppen von Schwangeren geprüft worden. Man ist daher noch auf Erkenntnisse angewiesen, die nachträglich ermittelt wurden. Mangels Daten gibt es derzeit also keine generelle Impfempfehlung der STIKO für Schwangere – ganz wie sie vor Kurzem auch für Jugendliche noch ausstand. Ein Arzt kann zurzeit nach Risikoabwägung und einem Aufklärungsgespräch aber ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel mit einem mRNA-Impfstoff impfen, wenn bei der Schwangeren bestimmte Vorerkrankungen oder ein erhöhtes Expositionsrisiko auf Grund ihrer Lebensumstände bestehen.

In den USA empfiehlt die US-Infektionsschutzbehörde CDC übrigens inzwischen generell die Impfung von Schwangeren und Stillenden: In den dort vorliegenden Studiendaten war weder die Rate von Fehlgeburten noch die von allgemeinen Schwangerschaftskomplikationen bei bereits Geimpften höher als im Bevölkerungsdurchschnitt. Der STIKO wird das sicher auch Anlass zu weiteren Überlegungen geben.

Bleibt am Ende das Risiko der Spritze selbst. Ist vielleicht die Nadel bei Gerinnungsstörungen oder bei der Einnahme von gerinnungshemmenden Medikamenten kontraindiziert? Nein: Wie auch bei jeder anderen Impfung reicht es, darauf zu achten, einfach etwas länger die Einstichstelle abzudrücken, eine feinere Nadel zu verwenden und strikt direkt in den Muskel zu impfen. Ein Absetzen der Gerinnungsmedikamente ist nicht notwendig oder empfohlen.

Ernst nehmen sollte man allerdings, dass manche Menschen generell Angst vor dem Impfen oder speziell vor Spritzen haben. Behandelnde Ärzte sind Spritzenangst gewohnt, und gemeinsam haben behandelnder Arzt und Ärztin, Geimpfte und Geimpfter einige Möglichkeiten, mit den Ängsten fertigzuwerden – man muss sie nur vorher ansprechen! Es kann auch helfen, eine vertraute Person mit zum Impftermin zu nehmen. Am Ende ist es allemal besser, die Furcht zusammen zu besiegen, als auf den Impfschutz zu verzichten – auch wenn der Gang schwerfällt.

Was bleibt übrig von den Gründen gegen die Impfung?

Gibt es also echte, absolute Kontraindikationen? Nein. Klar, es gibt noch keinen Impfstoff für Kinder unter zwölf Jahren – aber da laufen die Studien gerade auf Hochtouren, und vielleicht schon im September ist mit Ergebnissen zu rechnen. Natürlich sollte man sich nicht gerade mit einem akuten Infekt oder Fieber über 38,5 Grad Celsius impfen lassen, doch das gilt für jede andere Impfung auch. In den Fachinformationen – quasi den Beipackzetteln der Impfungen – und auf den Aufklärungsbögen findet man jedenfalls keine weiteren Kontraindikationen – außer dem sehr seltenen Kapillarlecksyndrom (CLS).

Beim CLS handelt es sich um eine selbst in Fachkreisen kaum bekannte Erkrankung. Seit der ersten klinischen Beschreibung im Jahr 1960 sind weltweit nur wenige Dutzend Fälle registriert worden. Wenn also diese extrem seltene Störung als Vorerkrankung bekannt ist: Finger weg vom Vektorimpfstoff AstraZeneca/Vaxzevria (und eben einen mRNA-Impfstoff wählen). Und bei wem die besondere Gerinnungsstörung mit Blutgerinnseln und Blutplättchenmangel nach der ersten Impfung mit Vaxzevria aufgetreten ist, der sollte besser einen mRNA-Impfstoff als Zweites erhalten. Das wird nach dem heterologen Impfschema nun ja ohnehin empfohlen.

So weit, nach bestem Wissen und Gewissen, der gerade aktuelle Stand der Dinge zu Kontraindikationen, Erkenntnisfortschritt – klar – nicht ausgeschlossen! Wie immer gilt, dass jede Impfentscheidung zusammen mit dem behandelnden Arzt oder der Ärztin nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung getroffen werden sollte und bei der Aufklärung vorher alle offenen Fragen beantwortet wurden. Ach, und: Nein, »keine Zeit« oder »keine Lust« sind keine wissenschaftlich anerkannten Kontraindikationen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.