Forschungszensur: Keine Wissenschaftszensur im Namen der Bioterrorabwehr!
Sicherheitsbedenken haben die Debatte dominiert, die nach der Veröffentlichung der Studie über künstlich mutierte H5N1-Grippevirusvarianten entbrannt ist. Leicht konnte dabei der Eindruck klarer Frontlinien entstehen: Die Wissenschaftlergemeinde auf der einen Seite will die Forschung weiter vorantreiben und Ergebnisse veröffentlichen; die für die Biosicherheit verantwortlichen Stellen auf der anderen Seite sind dagegen. Ich gehöre seit 30 Jahren zu der für Biosicherheit zuständigen Fraktion: Im Irak habe ich als Sonderbeauftragter für den Vorsitzenden der UN-Waffeninspekteure gearbeit, und in den britischen Büros für auswärtige Angelegenheiten in Genf und London war ich für Fragen der Abrüstung von biologischen und chemischen Waffen zuständig. Und nach meiner Einschätzung sollte es keine zwei Meinungen geben: Forschungsergebnisse gehören vollständig publiziert – so, wie es diese Woche auch geschieht.
Tatsächlich würde ich gerne noch einen Schritt weitergehen: Die Einlassung, es sei "Besorgnis erregend", die in Frage stehenden biologischen Forschungen gleichermaßen für gute und böse Zwecke einsetzen zu können, halte ich für schwach und konstruiert. Sie lenkt auf gefährliche Weise vom Kern der Sache ab und ist ein Relikt aus Zeiten, in denen wir mit der Analyse nuklearer Bedrohungsszenarien beschäftigt waren. Denn jegliches durch biologische Forschung erworbene Wissen kann eben zum Nutzen und Schaden eingesetzt werden.
Nun könnten aber Forschungsergebnisse, fürchten die Kritiker einer vollständigen Veröffentlichung der Daten über mutierte Grippeviren, eingesetzt werden, um effektivere biologische Waffen zu konstruieren. Man sollte sich aber die Frage stellen, wer eigentlich lebende, hochansteckende, virulente Organismen als Waffe einsetzen würde. Zu welchem Zweck? Und würde eine Zensur der Studienergebnisse sie davon abhalten? Natürlich würde eine Biowaffe Angst und Schrecken verbreiten und der Wirtschaft eines Landes schaden; ohne Zweifel aber wären die Folgen ihres Einsatzes auch nicht zu kontrollieren, zu steuern oder vorauszusehen. Sie würden im Vergleich zu konventionellen Waffen auch vergleichsweise langsam Wirkung zeigen, während Gegenmaßnahmen mehr Aussicht auf Erfolg hätten – etwa durch Impfungen oder medizinische Behandlung.
All das setzt dem Interesse potenzieller Täter enge Grenzen. Eine nicht kontrollierbare Waffe lässt sich nicht gezielt einsetzen. Darüber hinaus ist jedem Terroristen oder Aufrührer weltweite Verachtung sicher, wenn sie sie dennoch einsetzen: Sobald Unbeteiligte mit katastrophalen Folgen völlig wahllos angegriffen werden, unterminiert dies jede mögliche Sympathie mit den Zielen des Angreifers drastisch. Und so bleiben überhaupt nur wenige Gruppierungen übrig, deren eigene Logik den Einsatz solcher Waffen trotzdem rechtfertigen würde. Etwa Gruppen, für die der Mensch selbst das Problem ist. Dazu könnten manche radikalen Umwelt- oder Tierschutzextremisten zählen oder apokalyptische Sekten wie der japanische Terrorkult Aum Shinrikyo, der 1998 in der Tokioter U-Bahn das Giftgas Sarin freigesetzt hat. Auch Selbstmordattentäter dürften große Verluste an Menschenleben unbeeindruckt lassen; ebenso, unter bestimmten Umständen, auch manches Regime oder Staaten in Situationen, in denen sie selbst vor der Vernichtung stehen.
Allerdings wäre der Geist auch aus der Flasche, wenn Veröffentlichungen wie die aktuelle H5N1-Studie einer Zensur unterlägen. Zensur dürfte das Augenmerk sogar vermehrt auf Risikoschwerpunkte ziehen und die Verbreitung von Wissensinhalten vielleicht sogar fördern, wenn jeder nach Anfrage abgewiesene Wissenschaftler mit eigenen Forschungsanstrengungen beginnt, um ein Ergebnis seines Interesses zu reproduzieren.
Natürlich könnte eine Reglementierung der Forschung der Wissensausbreitung Schranken setzen: Die Wissenschaftler selbst, die Kommissionen der Forschungsinstitute und Geldgeber müssen sämtliche möglichen Implikationen eines Forschungsvorhabens von Beginn an genau prüfen und alle Sicherheitsstandards implementieren – eine Mühe, der wir uns in der Praxis seit einiger Zeit mit einigem Erfolg unterziehen. Es wird eher kontraproduktiv sein, Projekte mit durchaus eindeutigem wissenschaftlichem und gesundheitspolitischem Nutzwert deshalb nicht zu fördern, weil sie womöglich aus Sicht der Biosicherheit gefährlich sein könnten. Dass dürfte in der Praxis dann nur dazu führen, sich nach anderen, womöglich fragwürdigen Geldgebern umzusehen oder die Forschung einzustellen.
Also lassen sich wohl weder Forschung noch Wissensausbreitung wirksam begrenzen – aber vielleicht der Zugang zu den Materialien und der Ausstattung, die für eine praktische Umsetzung von Forschungsergebnissen in eine reale Biowaffe nötig werden? Ein Blick auf aktuelle technologische Trends und gerade aufblühende Serviceleistungen verspricht nichts Gutes für die Chancen solcher Kontrollstrategien. Es gibt längst Firmen, die Geld mit dem Postversand von Genen verdienen. Es gibt kostenlose Software, mit der Gene am Computer designt werden können. In spätestens zehn Jahren dürften DNA-Drucker auf dem typischen Labortisch stehen. Und kein moralisches oder politisches Argument kann rechtfertigen, den Siegeszug dieser für die Grundlagenforschung unverzichtbaren Mittel zu stoppen.
Denn Krieg und Terrorismus sind eben nicht die einzigen biologischen Risiken für die Menschheit; uns bedroht vielmehr eine ganze Bandbreite von natürlichen bis absichtlich oder durch unglückliche Zufälle herbeigeführten biologischen Gefahren. In regelmäßiger Folge lernen wir die nächste neue tödliche Krankheit kennen, der wir hilflos gegenüberstehen. Grippeepidemien werden uns heimsuchen, einige davon werden besonders viele Opfer fordern. Wir dürfen uns nicht vor einer sorgfältigen Abwägung drücken, wenn wir über die Veröffentlichung von Forschungsdaten streiten – vor einer Kosten-Nutzen-Analyse. Zunächst die Kosten, also die Gefahr, dass die einer Veröffentlichung inhärenten Risikofaktoren sich potenzieren: Das Risiko durchgesickerter oder absichtlich verbreiteter Wissenbruchstücke multipliziert sich mit dem Impakt der Veröffentlichung; beides multipliziert sich noch einmal mit der Häufigkeit, mit der so etwas vorkommt.
Dagegen der Nutzen: Womöglich sterben in Zukunft weniger Menschen als heute weltweit pro Jahr in der Grippesaison (250 000 bis 500 000) oder an einer der anderen Infektionskrankheiten (zwölf Millionen), andere Gesundheitsgefährdungen einmal außer Acht gelassen. Eine exakte Abwägung ist da unmöglich – immerhin deutet aber alles darauf hin, dass der Risikozuwachs durch frei publizierte Studien eher minimal ist. Dagegen steht der Nutzen, sich gegen unvorhersehbare Gesundheitsgefahren bestmöglich zu wappnen.
Es gibt noch bessere Gründe dafür, Forschungen zur Übertragbarkeit und Pathogenität von Viren nicht einzustellen, worauf auch der Fokus der aktuellen Mutantenvirusstudie lag: Auf lange Sicht wird sie Bioterror sogar eher eindämmen. Denn nichts schützt besser vor Biowaffen als die Erkenntnis, dass diese Waffe stumpf ist, weil die Gesellschaft auf ihren Einsatz effektiv vorbereitet ist. Je mehr wir über die Transmissionsmechanismen und das pathogene Potenzial der Viren wissen, desto eher werden wir Gefahren erkennen, desto schneller können wir Impfstoffe entwickeln und herstellen und desto besser werden wir die Erkrankungen bekämpfen können. Damit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir wappnen uns gleichermaßen gegen terroristische wie gegen natürliche Biogefahren.
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