Freistetters Formelwelt: Kepler, Newton und die ISS
Menschen, die mit dem Nachthimmel nicht vertraut sind, sind oft überrascht, was es dort zu sehen gibt. Das kann aber auch jemandem wie mir passieren, der sich beruflich mit der Astronomie beschäftigt. Etwa wenn die Internationale Raumstation am frühen Abend gut sichtbar und hell leuchtend über den Himmel zieht. Auch ich bin immer wieder von diesem Anblick beeindruckt.
Allerdings rufe ich dann nicht bei der nächsten Sternwarte an, um von der Sichtung eines Ufos zu berichten (was tatsächlich regelmäßig Menschen tun), sondern denke an Johannes Kepler, Isaac Newton und diese mathematische Formel:
Das ist, in etwas ungewohnter Form, das dritte der drei berühmten keplerschen Gesetze zur Beschreibung der Umlaufbahnen von Planeten. Die ersten beiden lassen sich, ganz ohne Mathematik, recht simpel formulieren: Himmelskörper umkreisen die Sonne nicht auf Kreisen, sondern auf elliptischen Bahnen. Und wenn ein Himmelskörper auf seiner elliptischen Bahn der Sonne nahekommt, bewegt er sich schneller, als wenn er fern von ihr ist.
Das dritte keplersche Gesetz fällt aber immer ein wenig aus dem Rahmen. Üblicherweise lernt man es in der Schule mit folgender Formulierung: »Die Quadrate der Umlaufzeiten stehen im gleichen Verhältnis wie die Kuben der großen Halbachsen.« Das klingt recht abstrakt und definitiv mathematisch, heißt jedoch eigentlich nichts anderes als: Je größer die Umlaufbahn eines Himmelskörpers ist, das heißt, je größer sein mittlerer Abstand von der Sonne ist, desto länger braucht er für eine Runde.
Man wird der Arbeit von Johannes Kepler mit dieser fast zu sehr vereinfachten Formulierung aber nicht wirklich gerecht – das Besondere an seinem dritten Gesetz liegt nämlich gerade darin, dass sich eine offensichtliche Tatsache mathematisch quantifizieren lässt: dass ein Planet länger für einen Umlauf um die Sonne braucht, wenn seine Bahn größer ist.
Kepler war ganz nah dran
Das dritte keplersche Gesetz hängt eng mit Isaac Newtons Gravitationsgesetz zusammen; man kann es sogar direkt daraus ableiten. Tatsächlich war Kepler kurz davor, zu finden, was Newton erst ein paar Jahrzehnte später entdeckte: Das dritte keplersche Gesetz in der oben abgebildeten Form zeigt den Zusammenhang zwischen beiden im Detail.
Mit seiner ursprünglichen Fassung des Gesetzes dagegen konnte Kepler nur Verhältnisse angeben – keine absoluten Werte. Die waren damals auch nicht bekannt, da die exakten Entfernungen zwischen den Planeten erst lange nach seiner Zeit gemessen werden konnten. Mit Kenntnis des Gravitationsgesetzes und dem Wissen über die beteiligten Massen der Himmelskörper kann man aber aus Keplers Gesetz auch absolute Werte berechnen.
Setzt man in die Formel beispielsweise die Gravitationskonstante G, die Masse m1 der Erde und die Masse m2 der Internationalen Raumstation – etwa 420 Tonnen – ein und berücksichtigt, dass sie ungefähr 6780 Kilometer vom Erdmittelpunkt entfernt ist (das entspricht der »großen Halbachse« a in der Formel), dann kann man direkt ihre Umlaufzeit T um unseren Planeten berechnen: 5556 Sekunden beziehungsweise 92,6 Minuten.
Wenn ich die Raumstation also zu einem bestimmten Zeitpunkt über mir fliegen sehe, habe ich gute Chancen, sie auch rund 90 Minuten später ein weiteres Mal zu sehen. Mit der Einschränkung, dass die für einen bestimmten Ort auf der Erde herrschenden Beobachtungsbedingungen noch von einigen anderen Faktoren abhängen.
Als Johannes Kepler und Isaac Newton vor Jahrhunderten über die Bewegung von Himmelskörpern nachdachten, wollten sie verstehen, wie das Universum funktioniert. Dass ihr damals abstraktes Wissen heute unsere moderne Welt dominieren würde, konnten sie nicht ahnen. Nicht nur die Flugbahn der ISS wird von ihren Gesetzen bestimmt, sondern etwa auch die diversen Navigations- und Fernsehsatelliten. Die Mathematik von Johannes Kepler ist heute überall!
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