Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte der Elektromusik und warum sie auch dem KGB gefiel
Als Lew Sergejewitsch Termen am 30. Dezember 1927 in New York von Bord des Ocean Liners »The Majestic« ging, war er bereits ein Star. Zuvor war er durch Europa getourt – London, Paris und einige deutsche Städte. Überall, wo er auftrat, wurde der Russe gefeiert. Und so überraschte es nicht, dass er ab 1928 auch die größten Konzerthäuser New Yorks füllte. Der Grund für seinen Riesenerfolg war sein Instrument: das Theremin. Termen hatte es selbst konstruiert, aber das war nicht die eigentliche Sensation. Sondern das Theremin ist noch heute das einzige Instrument, das sich berührungsfrei spielen lässt – also ohne, dass eine einzige Taste gedrückt oder eine Saite angeschlagen werden muss.
Wo auch Termen mit seinem Spielkasten auftauchte, waren die Menschen begeistert von seiner Musik. »Soviet Edison« titelten die Zeitungen. Sein Aufenthalt in New York erwies sich bald als Höhepunkt der Tournee. Und so beschloss Termen, in den USA zu bleiben. Ab nun nannte er sich Leon Theremin.
Die Anfänge der elektronischen Musik
Termen kam 1896 in Sankt Petersburg zur Welt. In seiner Heimatstadt hatte er Physik und Astronomie studiert. Doch der Russe war auch leidenschaftlicher Musiker und machte einen Abschluss am hiesigen Konservatorium. Für seine berühmte Erfindung hatte er Physik und Musik miteinander kombiniert und mit dem Theremin die elektronische Musik mitbegründet. Robert Moog, der in den 1960er Jahren die ersten Synthesizer entwickelte, hat in seiner Jugend ebenfalls auf dem Theremin gespielt und selbst welche gebaut.
Bereits 1920 hatte Termen das Spielgerät erfunden. Er taufte es zunächst Ätherophon. Das Prinzip basierte auf einem Schwingkreis und einem Kondensator. Mit der Bewegung der Hand lassen sich Schwingungen erzeugen, die dann durch einen Oszillator verstärkt werden. Mit einer Hand steuert man die Tonhöhe und mit der anderen die Lautstärke des Instruments.
Neben seiner Musikkarriere baute Termen alias Theremin in New York ein Studio auf, in dem er an weiteren Erfindungen tüftelte und diese auch vermarktete. Unter anderem adaptierte er sein Theremin für Geräte der Sicherheits- und Abhörtechnik. So entwickelte er eine Diebstahlsicherung, die Alarm schlug, sobald sich eine Person näherte. Bald schon bekam er einen großen Auftrag vom FBI: Er sollte auf der berühmten Gefängnisinsel Alcatraz ein Alarmsystem installieren.
Termen verschwindet – und wird verhaftet
Doch 1938 war Termen plötzlich spurlos verschwunden. Einige seiner New Yorker Weggefährten hielten ihn gar für tot. Tatsächlich war er aber in die Sowjetunion zurückgekehrt. Die Umstände seiner Heimkehr sind bis heute nicht geklärt. Der Autor und Komponist Albert Glinsky vermutet, dass Termen Schulden hatte und ihm geraten wurde, das Land zu verlassen. Wahrscheinlich hatte der Alcatraz-Auftrag den russischen Musiker ruiniert. Die Gefängnisdetektoren funktionierten nämlich nicht wie geplant.
Als Termen wieder in die Sowjetunion kam, fiel der Empfang nicht mehr so freundlich aus wie die persönliche Verabschiedung von Lenin über ein Jahrzehnt zuvor, als ihn dieser auf Welttournee geschickt hatte. Der Musiker wurde verhaftet und wegen antisowjetischer Propaganda zu zehn Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis begann Termen dann Abhörgeräte zu entwickeln, die wie seine Diebstahlsicherungen auf dem Prinzip des Theremins beruhten.
Eines dieser Abhörgeräte war die erste bekannte passive Wanze: »The Great Seal Bug« oder »The Thing«. Im Unterschied zu aktiven Wanzen senden passive Wanzen nicht ständig selbst, sondern werden erst dann aktiv und abhörbereit, wenn sie Schallwellen empfangen. Also dann, wenn es tatsächlich Geräusche oder Gespräche gibt, denen man lauschen möchte.
Verwanzte US-Botschaft
1945 schenkten sowjetische Schulkinder dem US-amerikanischen Botschafter in Moskau ein aus Holz geschnitztes US-Wappen, das sieben Jahre lang im Büro des Botschafters an der Wand hing. Bis man herausfand, dass es sich bei dem Geschenk nicht um eine Freundschaftsgeste handelte, sondern um eine Abhörwanze.
Die Wanze funktionierte ähnlich wie das Theremin: Sie erzeugte mit Hilfe eines Kondensators einen Schwingkreis, der nun nicht auf Handbewegungen, sondern auf Schallwellen reagierte. Um die Schwingungen auch außerhalb der Botschaft empfangen zu können, hatte man eine Antenne in der Wanze installiert, die unter Einfluss von Radiowellen die empfangenen Schallwellen, also die gesprochenen Worte nach außen sendete. Das Gerät tat seinen Dienst bis 1952. Dann war Schluss mit der Abhöraktion. Die US-Amerikaner hatten die Wanze entdeckt.
Nachdem Termen aus dem Gefängnis entlassen worden war, arbeitete er weiterhin für den sowjetischen Geheimdienst KGB. Erst Mitte der 1960er Jahre tauchte er wieder in der Öffentlichkeit auf. Er forschte unter anderem im Labor für Akustik des Moskauer Konservatoriums an neuen Instrumenten. Sehr viel später kehrte Termen kurz vor seinem Tod im November 1993 noch einmal nach New York zurück und traf sich mit alten Weggefährten.
So kam es, dass die Technik, die für einen einzigartigen Sound sorgte und den Anfang der elektronischen Musik markierte, auch das Knowhow für neue Überwachungstechniken lieferte.
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche eine Geschichte aus der Geschichte auf ihrem Podcast »Zeitsprung«. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
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