Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte der ersten Briefmarke und einer unklugen Farbwahl
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In den Weihnachtsferien 1885 durchstöberte Georg Wilhelm Backman, ein damals 14-jähriger Schüler aus Stockholm, den Dachboden seiner Großmutter. Dabei stieß er auf einen Brief, der ihn neugierig machte. Doch nicht der Inhalt des Briefs ließ ihn aufhorchen, sondern ein kleines Stück Papier, das darauf klebte: eine gelbe Briefmarke. Etwa 30 Jahre zuvor hatte sein Großonkel damit das Porto für das Schreiben an Backmans Großmutter bezahlt. Da sie ihrem Enkel den Brief aber nicht überlassen wollte, löste dieser vorsichtig die Marke ab.
Diese Briefmarke war nicht irgendein Postwertzeichen. Es handelt sich um den so genannten Tre-Skilling-Banco-Fehldruck – die wohl wertvollste Briefmarke der Welt. Nur ein einziges Exemplar ist bekannt. Und es ist ihre Farbe, die die Marke so besonders macht: Sie ist gelb. An sich keine ungewöhnliche Farbe, aber Gelb war bei Schwedens erster Briefmarkenserie für die 8-Skilling-Marke vorgesehen, nicht die 3-Skilling. Sie hätte grün sein sollen. Der Fehldruck kam unbemerkt in Umlauf – und erzielte unter Philatelisten schon bald Rekordpreise.
Wer an teure Briefmarken denkt, hat wahrscheinlich nicht den »Tre-Skilling-Banco-Fehldruck« vor Augen, sondern eher die »Blaue Mauritius«, die ab 1847 von der britischen Kronkolonie ausgegeben wurde. Den höchsten Preis allerdings erzielte – Stand Februar 2024 – eine »Rote Mauritius«, die 2021 für mehr als acht Millionen Euro versteigert wurde. Der letztmalige Auktionserlös des »Tre-Skilling-Banco-Fehldrucks« blieb bislang unveröffentlicht, doch die Philatelieszene munkelt, dass der jetzige Eigentümer einen Rekordpreis dafür zahlte.
Anfangs kam ein Stempel auf den Brief
Briefmarken sind das Ergebnis einer radikalen Postreform, die im Jahr 1680 in London begann. Damals wurde noch nicht die erste Briefmarke ausgegeben; aber die Kaufleute William Dockwra und Robert Murray eröffneten die London Penny Post. Das Unternehmen stellte innerhalb Londons Briefe zu – für die geringe Gebühr von nur einem Penny.
Heute unvorstellbar: Dockwra führte stündliche Abholungen ein. Bis zu zehn Lieferungen erfolgten pro Tag in London, mindestens sechs Lieferungen in die Londoner Vororte. Und dabei war garantiert, dass die Post innerhalb von vier Stunden zugestellt werden würde. Die London Penny Post wurde zu einem großen Erfolg und die Portopauschale von einem Penny legendär. Aber für die Erfindung der Briefmarke war eine andere Innovation entscheidend: Die Person, die den Brief verschicken wollte, entrichtete das Porto im Voraus. Zuvor lagen die Kosten nämlich beim Empfänger. Nun markierte ein spezieller Stempel den Brief als bezahlt. Und dieser Stempel war der direkte Vorläufer der Briefmarke.
Als aus dem Stempel eine Marke wurde
Als es dann 1835 darum ging, die marode Royal Mail zu reformieren, die als schlecht verwaltet, verschwenderisch, teuer und langsam galt, nahm sich Rowland Hill (1795–1879) der Sache an und legte ein Konzept vor, das sich an der London Penny Post orientierte. Der ehemalige Schulleiter schlug einen landesweit einheitlichen Postpreis von einem Penny pro halbe Unze Briefgewicht vor.
Den Penny sollte die Person, die den Brief aufgab, im Voraus bezahlen: indem sie einen vorgedruckten Umschlag oder vorfrankierte Briefbögen verwendete oder die Post mit einer Briefmarke versah. Die britische Regierung nahm Hills Vorschlag an, und so startete am 10. Januar 1840 die Universal Penny Post – allerdings ohne Briefmarken. Die ließen noch ein bisschen auf sich warten. Hill war nämlich der Meinung, dass Menschen lieber vorfrankiertes Papier verwenden würden.
Im Mai 1840 erfolgte dann die erste Ausgabe einer Briefmarke: die »One Penny Black«. Eine Marke in Schwarz mit dem Profil von Queen Victoria. Die ersten Exemplare waren nicht perforiert und mussten aus einem Bogen ausgeschnitten werden. Gleichzeitig kam eine blaue Variante auf den Markt: die »Two Pence Blue« für Briefe mit einem Gewicht von bis zu einer Unze, also etwas mehr als 28 Gramm. Im Februar 2024 versteigerte Sotheby’s in New York den womöglich allerersten Brief, der mit einer Penny Black verschickt wurde. Die Marke wurde am 2. Mai 1840 abgestempelt. Sie ist nicht aufgeklebt, sondern auf das vorfrankierte Kuvert aufgedruckt.
Die »One Penny Black« zählt heute nicht gerade zu den seltensten Briefmarken, auch wenn sie nur kurz auf dem Markt war. Fast 70 Millionen Mal wurde sie gedruckt, aber bereits 1841 durch die »One Penny Red« ersetzt. Denn anfangs entwertete man die schwarze Marke mit einem roten Stempel. Bald stellte sich jedoch heraus, dass die rote Tinte auf dem schwarzen Papierquadrat nicht zu erkennen war und sich noch dazu unauffällig von der Marke entfernen ließ. Also tauschte die Universal Penny Post die Farben – die Marke wurde rot, der Stempel schwarz.
Die »One Penny Red« blieb bis 1879 im Umlauf und genießt heute keinen Seltenheitswert. Schließlich waren davon 21 Milliarden Stück gedruckt worden.
Mit Portosystem und Briefmarke – ging die Post ab
Das Volumen des britischen Briefverkehrs vervielfachte sich durch die Postreform enorm. Sie löste eine regelrechte Kommunikationsrevolution aus, die zudem die viktorianische Gesellschaft prägte, wie die Literaturwissenschaftlerin Catherine Golden vom amerikanischen Skidmore College in ihrem Buch »Posting It: The Victorian Revolution in Letter Writing« erläutert. Briefe schreiben gehörte bald für weite Teile der Gesellschaft zum Alltag, denn eine »One Penny Black« konnten sich so ziemlich alle, nicht nur Reiche, Adlige oder Geschäftsleute leisten.
Mit der Postreform in England etablierte sich bald auch international das noch heute gültige Portosystem. Und Briefmarken kamen in den nächsten Jahrzehnten fast weltweit in Gebrauch.
Die erste deutsche Briefmarke stammt übrigens aus Bayern. Sie war ebenfalls schwarz. Der »Schwarze Einser« mit einem Nominalwert von einem Kreuzer wurde erstmals 1849 ausgegeben. Was die Farbwahl betrifft, hätte es nicht geschadet, wenn die bayerischen Behörden bei der britischen Royal Mail ein paar Erfahrungswerte eingeholt hätten. Denn auch in Bayern stellte sich die schwarze Farbe als unpraktisch heraus – zumal die Stempelfarbe ebenfalls schwarz war. So ersetzten die Bayern die Marke schon bald durch die rosafarbene 1-Kreuzer.
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