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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte der Kartoffel – oder: Warum heutzutage alles anders ist

Wäre die Kartoffel nie nach Europa gelangt, würde die Welt heute ganz anders aussehen.
Friedrich II. von Preußen besucht Bauern, um die Kartoffelernte zu inspizieren.

Wer einen Abstecher ins Europa des 15. Jahrhunderts machen könnte, würde wohl auf dem Speiseplan der Menschen die Kartoffel vermissen. Die Pflanze ist heute so allgegenwärtig, dass es schwerfällt, sich ein Leben ohne sie vorzustellen. Dabei war sie zu jener Zeit in anderen Teilen der Welt schon ein weit verbreitetes Nahrungsmittel: An den ersten Kartoffelknollen taten sich Menschen in Peru wahrscheinlich schon vor 5000 Jahren gütlich.

Dass die Kartoffel schließlich nach Europa kam, ist vermutlich den Spaniern zu verdanken. Im Jahr 1565 wurde eine Kiste der Knollen an den spanischen König Phillip II. geschickt, der einige davon dem Papst in Rom weitergab. Der war so angetan, dass er einem niederländischen Kardinal ein paar Kartoffeln zukommen ließ. Schließlich gelangten diese Knollen zu jenem Mann, der sie als Erster in seinem Werk »Rariorum Plantarum Historia« beschreiben sollte: dem niederländischen Botaniker Carolus Clusius.

Die Spanier waren's – oder die Engländer!

Auch den Engländern wird nachgesagt, sie hätten die Kartoffel aus der Neuen Welt mitgebracht. Richtig beweisen lässt sich aber weder die eine noch die andere Theorie. Tatsache ist, dass die Kartoffel gegen Mitte des 17. Jahrhunderts in Europa bekannt war und auch angepflanzt wurde, anfangs allerdings in erster Linie als Zierpflanze.

Vor allem in Deutschland verlief die Verbreitung der Kartoffel eher schleppend. In England wurde der Anbau bereits um 1660 empfohlen. In Deutschland gab es zu dieser Zeit Missernten – die verbreitete Art Andigena war nämlich für das nordeuropäische Klima nicht wirklich geeignet. Erst mit der Solanum tuberosum, die aus Chile importiert wurde, gelang der Anbau in nördlicheren Gebieten.

Nicht ganz unwesentlich für die stockende Verbreitung war der anfängliche Glaube, dass die Kartoffel giftig sei. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, da nur der Genuss der Knolle unbedenklich ist. Doch nicht nur das: In Frankreich beispielsweise hielt sich hartnäckig der Mythos, die Kartoffel würde Lepra auslösen.

Schließlich gab es auch noch einen agrarpolitischen Grund: den Flurzwang. Durch Vorschriften von Gemeinde und Obrigkeit hatte die Landbevölkerung meist keine freie Wahl, welche Frucht sie auf ihren Feldern anpflanzen konnte.

Es ergeht: der Kartoffelbefehl!

Dass die Kartoffel schließlich doch ihren Siegeszug begann, ist in weiten Teilen wohl einem Monarchen geschuldet: Friedrich II. von Preußen (1712-1786). Schon sein Vater, Friedrich Wilhelm I., hatte dasselbe versucht, allerdings mit nur mäßigem Erfolg.

Die Kartoffel von 1588 | Dieses Aquarell von Philippe de Sivry ist die erste europäische Zeichnung der Kartoffel. Das Bild erschien in Carolus Clusius' Werk »Rariorum Plantarum Historia«.

Friedrich der Große beschloss die Sache offiziell zu machen und erließ ab 1746 nicht nur ein, sondern gleich drei Kartoffel-Edikte. In allen drei Edikten wurde verlautbart, dass die Kartoffel nun, wo auch immer möglich, anzupflanzen sei. Zusätzlich wurden Instruktionen zum Anbau gedruckt und unter der Bevölkerung verteilt. Friedrich und seinen Beratern war aufgefallen, dass die Bevölkerung noch sehr wenig über die Kultivierung der Pflanze wusste.

Wer sich fragt, warum Friedrich solch ein Interesse daran hatte, den Kartoffelanbau in seinem Reich zu forcieren, muss sich nur die Auswirkungen diverser Kriege jener Zeit ansehen. Schon im Dreißigjährigen Krieg, aber auch zur Regierungszeit Friedrichs, als mehrere Kriege gegen das Habsburgerreich geführt wurden, waren die Folgen für die Landbevölkerung katastrophal. Es wurden Felder zerstört, und marodierende Heere plünderten die Getreidereserven. Die Kartoffel brachte da gleich zwei Vorteile mit: Die Knolle ist deutlich kalorienreicher als Getreide und lässt sich besser und länger lagern.

Selbst nach Friedrichs Kartoffel-Edikten dauerte es aber noch einige Jahre, bis die »Tartuffel«, wie sie unter anderem genannt wurde, tatsächlich weit verbreitet war. Doch Hungersnöte wie die von 1770 bis 1772 und 1774 überzeugten die Landbevölkerung dann von den Vorzügen des Kartoffelanbaus.

Eine folgenreiche Entwicklung

Die Auswirkung der schließlich großen Verbreitung der Kartoffel ist laut Historiker William McNeill kaum zu überschätzen: Mehr Kalorien und weniger Arbeit beim Getreideanbau setzten ein Bevölkerungswachstum in Gang, aus dem sich auf lange Sicht nicht nur die Industrialisierung, sondern auch die großen europäischen Armeen speisten. Im Grunde dürfte auch die neuzeitliche Kolonialisierung auf die Kartoffel zurückgehen. Freilich nicht nur – diese Erklärung allein wäre zu simpel.

Doch nicht immer brachte die Kartoffel Vorteile. Das wird im Fall der großen Hungerkatastrophe im Irland des 19. Jahrhunderts sichtbar: Eine durch Kartoffelfäule ausgelöste Hungersnot kostete mehr als einer Million Menschen das Leben, zwei weitere Millionen waren gezwungen, das Land zu verlassen, um vor allem in der Neuen Welt ihr Glück zu suchen.

Wie auch immer – die Kartoffel hat Europa nachhaltig verändert. Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal Pommes essen!

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche eine Geschichte aus der Geschichte auf ihrem Podcast »Zeitsprung«. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.

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