Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte der Weißen Rajahs von Borneo
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Kanonenschüsse hallten in den Straßen von Kuching. Doch was da in der Hauptstadt von Sarawak dröhnte, waren keine Kriegsgeschosse, sondern Salutsalven. Die Menschen waren in Feierlaune. Sie begingen den 100. Jahrestag einer außergewöhnlichen Herrschaft: die Ära der Weißen Rajahs. Seit 1841 regierte eine britische Familie das Königreich Sarawak auf der südostasiatischen Insel Borneo. Ihr Name: Brooke. Als die Paraden an jenem 24. September 1941 durch die Straßen zogen, neigte sich die Herrschaft der Brookes jedoch dem Ende zu. Rajah Vyner Brooke und seine Ranee Sylvia sollten das letzte Herrscherpaar der Dynastie sein.
Die Geschichte der Weißen Rajahs begann mit James Brooke, einem britischen Abenteurer. 1803 in Indien als Sohn eines Richters im Dienst der East-India Company geboren, trat auch er als Soldat in das Unternehmen ein. Nachdem er im Ersten Britisch-Birmanischen Krieg von 1824 bis 1826 verwundet worden war, kehrte er nach England zurück und erholte sich im Kurort Bath. Dort las er die Schriften von Sir Stamford Raffles (1781–1826), dem Gründer Singapurs, und entdeckte darin eine neue Welt: James Brooke war plötzlich von der Vision beseelt, in Südostasien die Macht der niederländischen Ostindien-Kompanie zu brechen und eine völlig neue Art der Zusammenarbeit zwischen Kolonialisten und indigener Bevölkerung aufzubauen. Nach dem Tod seines Vaters investierte Brooke daher einen Teil seines Erbes in einen Schoner und brach 1839 in Richtung Malaysia auf.
Er landete allerdings in Sarawak, an der Westküste Borneos. Die Region unterstand offiziell dem Sultan von Brunei. Das Leben dort war aber alles andere als friedlich. Rebellionen und Piraterie zermürbten die Provinz. Brooke bot dem Statthalter Rajah Muda Hashim seine Unterstützung an. Mit der überlegenen Feuerkraft seines Schoners schlug er die Rebellion der indigenen Dayak nieder und befriedete die Region im Lauf der nächsten Jahre mit noch mehr Feuerkraft und etwas diplomatischem Geschick. Das beeindruckte den Sultan so sehr, dass er Brooke schließlich 1841 zum Rajah, dem Herrscher über Sarawak, ernannte.
Der Aufstieg der Weißen Rajahs
James Brooke hatte sich vor allem mit Waffengewalt in diese Position geschossen. Damit war klar, dass seine hehren Ziele wohl etwas zu hoch gesteckt waren. Und so regierte er Sarawak von Beginn an mit einer Mischung aus Reformgeist und Härte. Er schaffte die Sklaverei ab, führte ein Rechtssystem ein und modernisierte die Infrastruktur. Gleichzeitig sicherte er seine Macht durch blutige Feldzüge gegen Rebellen und Piraten – oft mit Unterstützung der indigenen Dayak, deren Tradition der Kopfjagd er für seine Zwecke nutzte. Der Mix aus Fortschritt und Gewalt prägte die gesamte Herrschaft der Brooke-Dynastie. In England machte das James Brooke anfangs zum Helden des Empire, später aber immer mehr zu einem Außenseiter.
Nach James' Tod im Jahr 1868 übernahm sein Neffe Charles Brooke die Macht. Unter seiner Führung wuchs Sarawak territorial und wirtschaftlich. Der Handel, zum Beispiel mit Kautschuk und Holz, florierte. So gelang es den Brookes, die Region als wirtschaftliches Zentrum im Nordwesten Borneos zu etablieren. Doch Charles regierte mit harter Hand. Spannungen zwischen ihm und der indigenen Bevölkerung sowie der britischen Kolonialverwaltung waren an der Tagesordnung. Die Macht der Brookes blieb trotzdem ungebrochen.
Mit dem 20. Jahrhundert zog ein neuer Geist in Sarawak ein. Charles' Sohn mit Namen Charles Vyner Brooke (1874–1963) wurde der designierte Nachfolger als Rajah und heiratete 1911 Sylvia Brett, eine Londoner Aristokratin. Ranee Sylvia brachte Glamour und Exzentrik in den Palast der Weißen Rajahs in Kuching. Wie ihr Biograf, der britische Journalist Philip Eade, in seinem Buch »Sylvia, Queen of the Headhunters« beschreibt, veranstaltete sie rauschende Feste, schrieb Romane und Theaterstücke, engagierte sich für die lokale Kultur und versuchte die Situation der Frauen in Sarawak zu verbessern. Gleichzeitig geriet sie immer wieder mit den Traditionen der Familie Brooke in Konflikt.
Ihr Verhältnis zu ihrem Schwiegervater war angespannt. Während er eine strenge, zurückhaltende Hofhaltung bevorzugte, wollte Sylvia den Palast in einen lebendigen Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens verwandeln. Doch ihre Pläne stießen auf Widerstand. Und ihre Versuche, ihre Töchter als mögliche Thronfolgerinnen zu positionieren, sorgten für Spannungen, weil sowohl die Familie als auch die malaiische Gesellschaft die weibliche Nachfolge ablehnte.
Der Anfang vom Ende der Brooke-Dynastie
In den 1920er Jahre begann die Macht der Dynastie zu bröckeln, nicht zuletzt mit der Ankunft eines jungen Schotten namens Gerard MacBryan (1902–1953). Der exzentrische Beamte wurde trotz seines oft unberechenbaren Verhaltens zu einem engen Vertrauten, schließlich sogar zum Privatsekretär von Vyner Brooke. Dieser schätzte vor allem MacBryans Sprachtalent und Versiertheit im Umgang mit der lokalen Bevölkerung. Doch bald zettelte MacBryan Intrigen und Konflikte an: Er versuchte, Einfluss auf die Thronfolge zu nehmen, und intrigierte gegen Sylvia und andere Mitglieder der Familie. Die so genannte MacBryan-Affäre wurde zum Symbol für die wachsende Instabilität des Brooke-Regimes, die dem britischen Kolonialamt immer mehr Einfluss ermöglichte. Die Tage der Dynastie waren spätestens jetzt gezählt.
Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verschärfte sich die Lage. 1941 stimmte Vyner Brooke einer Verfassungsreform zu, die seine Macht einschränkte. Noch im selben Jahr besetzte Japan das Königreich Sarawak und zwang die Familie ins Exil. Vyner floh gemeinsam mit MacBryan, von dem er sich nie komplett losgesagt hatte, nach Australien. Sylvia, die schon in den Jahren zuvor viel Zeit in den USA verbracht hatte, um dort für Sarawaks Kultur – und sich selbst – zu werben, verbrachte die Kriegsjahre dort. Nach Kriegsende kehrte Vyner nicht nach Sarawak zurück. Stattdessen übertrug er 1946 die Herrschaft an die britische Krone. Die Ära der Weißen Rajahs war damit endgültig beendet.
Die Brookes hinterließen in Sarawak ein gespaltenes Vermächtnis. Sie brachten Stabilität, schufen eine Infrastruktur und führten Reformen ein, die das Land modernisierten. Wie die anderen Kolonialmächte beuteten sie das Land aber ebenso aus und verstärkten die soziale Ungleichheit. Ihre Herrschaft beruhte zudem auf der paternalistischen Vorstellung, die englische Kultur sei erfahrener und wissender als die Indigenen Borneos. Der einheimischen Bevölkerung schenkten die Brookes allerdings wenig Beachtung. Wie sich zeigen sollte, wurde Sarawak unter ihrer Führung nicht auf eine selbstbestimmte Zukunft vorbereitet. Sogar in die Machtstruktur der Britischen Krone ließ sich Sarawaks Infrastruktur, das Wirtschafts- und Bildungssystem kaum eingliedern.
Während Vyner Brooke sich nach der Abdankung auf sein Landgut in England zurückzog, blieb Sylvia Brooke bis zu ihrem Tod im Jahr 1971 eine schillernde Figur. Sie schrieb Bücher, hielt Vorträge und bemühte sich, das Erbe der Weißen Rajahs zu bewahren. Doch letzten Endes wurde die Dynastie, die Sarawak einst wie ein britisches Landgut regierte, zu einer Fußnote der Geschichte.
Bis heute bleibt ihr Erbe ein Symbol für die Widersprüche des Kolonialismus – und eine Erinnerung daran, wie schmal der Grat zwischen Idealismus und Ausbeutung sein kann.
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