Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte des Dariénprojekts oder warum es Großbritannien gibt
Wir sind im Schottland des späten 17. Jahrhunderts. Das Land ist in der Krise: Krieg und sieben Jahre Hungersnot treiben die Landbevölkerung in die Städte, die aus allen Nähten platzen. Die Straßen sind überfüllt mit Obdachlosen, etliche Menschen verhungern.
Unweit davon in England sieht die Sache anders aus. Das Land floriert – was nicht nur, aber auch auf den von England verwalteten Kolonien beruht. Vor allem die Kolonien in der Neuen Welt sorgen für satte Profite. Doch Schottland hat davon nichts, obwohl mit Jakob II. ein Schotte auf dem Thron sitzt. Denn die Kolonien werden ausschließlich von der englischen »Company« verwaltet, jenem Unternehmen, das schon lange das exklusive Privileg hat, in den Überseegebieten Handel zu treiben. Ein Privileg, von dem Nichtengländer ausgeschlossen sind.
Von Bier und verhängnisvollen Ideen
Wie so oft steht am Anfang einer schicksalhaften Entwicklung eine Idee. So auch hier. William Paterson, Schotte und Mitbegründer der Bank of England, hat sich in England einen Namen gemacht und ein nicht unerhebliches Vermögen angehäuft. Nun will er auch Schottland an dem fetten Gewinn der Kolonien teilhaben lassen.
Die Idee dafür kommt ihm beim Biertrinken. Ein Seemann namens Lionel Wafer erzählt ihm von einem Flecken Land, wo es geradezu paradiesisch sein muss: Darién, eine Landenge in Panama, zwischen dem Karibischen Meer im Norden und dem Pazifik im Süden, nur bewohnt von angeblich freundlichen Eingeborenen und als Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika ideal gelegen, um eine Handelskolonie aufzubauen.
Paterson erkennt sofort das Potenzial. Denn bisher hat der Handel mit den sehr lukrativen Pazifikmärkten ein Problem: Er ist umständlich und teuer, da die wichtigste Handelsroute ums Kap Horn verläuft, die Südspitze Südamerikas. Dieser Umweg ist Zeit raubend und äußert gefährlich. Nicht nur, weil dort Überfälle durch Piraten drohen, sondern weil jede Reise auf dem Meer auch eine Reise gegen das Meer ist. Schiffsunglücke waren damals an der Tagesordnung und konnten ganze Unternehmen mit einem Schlag ruinieren.
Für Paterson ist klar: Gäbe es in Darién einen Handelsstützpunkt, könnten Waren aus Schiffen vom Pazifik schnell und unkompliziert auf Schiffe im Atlantik verladen werden. Die umständliche Reise ums Kap Horn ließe sich vermeiden, und gleichzeitig könnten die Kolonisten einen respektablen Gewinn einfahren.
Paradiesisches Ideal und höllische Wirklichkeit
Um Geld für das Projekt aufzutreiben, gründet Schottland 1695 die »Company of Scotland«. Und obwohl die englischen Geldgeber auf Drängen der English East India Company hin abspringen müssen, ist der Plan erfolgreich. Man appellierte an den Patriotismus der Schottinnen und Schotten, zum Wohle des Landes Anteile an der Company of Scotland zu kaufen. Mit Hilfe der Bevölkerung werden innerhalb von sechs Monaten Anteile im Wert von fast 400 000 Pfund gezeichnet.
Es werden Schiffe gekauft, eine Mannschaft zusammengestellt, auswanderungswillige Siedlerinnen und Siedler gefunden – am 14. Juli 1698 geht es los in Richtung Panama. Fast vier Monate später, nach den zu jener Zeit üblichen Strapazen auf See und 70 Seelen weniger an Bord, landen die rund 1200 Auswanderer in Darién. Dort angekommen, stellt sich allerdings schnell heraus, dass das vermeintliche Paradies eher einer Hölle gleicht.
Das Wetter ist derart schlecht, dass nicht nur der Ackerbau unmöglich ist, die ständige Nässe sorgt auch für das Ausbrechen diverser Krankheiten. Keine fünf Monate später sind bereits 200 Siedler tot. Wer die Strapazen überlebt, muss hart arbeiten, damit die Siedlung erhalten bleibt. Gleichzeitig schwinden die Vorräte, da viele Nahrungsmittel im Dauerregen vergammeln.
Währenddessen wird in Schottland – auf die Kunde, in welcher verzweifelten Lage die Kolonie steckt – ein Versorgungsschiff ausgestattet und losgeschickt. Doch es zerschellt bereits an der Westküste Schottlands. Derweil in Darién: Die Lage ist völlig aussichtslos, und Paterson, der ebenfalls mit nach Panama aufgebrochen war, beschließt, die Kolonie aufzugeben. Im Juli 1699 verlässt er Darién mit allen noch lebenden Mitgliedern der Expedition.
Beinahe zeitgleich wird jedoch eine zweite Expedition aus Schottland losgeschickt. Die Nachrichtenwege sind zu lang, um die Heimat rechtzeitig von der Aufgabe der Kolonie zu informieren. Der zweiten Charge Kolonisten ergeht es nicht besser: Neben Krankheiten und feindlich gesinnten Ureinwohnern geraten sie noch dazu an spanische Siedler. Nach blutigen Auseinandersetzungen gewähren die Spanier den Geschundenen, ihre Schiffe zurück nach Schottland zu besteigen. Die Kolonie war verloren. Nur eine Hand voll Siedler kehrt im Jahr 1700 zurück.
Eine Bank und die Entstehung Großbritanniens
Die Folgen des katastrophalen Projekts sind kaum zu überschätzen: Für die Schotten war die Pleite nicht nur peinlich, der wirtschaftliche Schaden war enorm. Tausende Kleinanleger verloren ihr Geld. Schottlands Wirtschaft war so geschwächt, dass sich das schottische Parlament bloß sieben Jahre nach dem gescheiterten Vorhaben gezwungen sah, in eine Union mit England einzutreten. Teil der Vereinbarung war, dass die Schulden Schottlands getilgt würden. Die Institution, die all das verwalten sollte, wurde die dafür gegründete Royal Bank of Scotland.
Am 25. März 1707 traf das schottische Parlament zum letzten Mal zusammen. Aber es sollte wieder ein schottisches Parlament geben – knapp 300 Jahre später im Jahr 1999.
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche eine Geschichte aus der Geschichte auf ihrem Podcast »Zeitsprung«. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
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