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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte einer falschen Besessenen und williger Exorzisten

Marthe Brossier war vom Teufel besessen. Jedenfalls machte sie das um 1600 alle glauben. Bis ihr Beelzebub-Experten auf die Schliche kamen, wie unsere Kolumnisten erzählen.
Ein Geistlicher führt an einem Mädchen einen Exorzismus durch. Kolorierter Stich von C. Penoso aus dem Jahr 1878.
Ein Geistlicher führt an einem Mädchen einen Exorzismus durch. Der kolorierte Stich von C. Penoso stammt aus dem Jahr 1878, ist also deutlich jünger als die Geschichte um Marthe Brossier.

Als 1973 »Der Exorzist« in die Kinos kam, löste der Horrorschocker einen wahren Exorzismus-Boom aus. Neben selbst ernannten Teufelsaustreibern weckte der Film auch die katholische Kirche aus ihrem historischen Schlummerschlaf. Denn das goldene Zeitalter des Exorzismus lag schon einige Jahrhunderte zurück, wie der Religionswissenschaftler Joseph Laycock von der Texas State University in seinem Buch »The Penguin Book of Exorcisms« schreibt. Etwa im Fall von Marthe Brossier. Die junge Französin war in den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts durch Frankreich gezogen und hatte die Aufmerksamkeit der politischen Kräfte des Landes auf sich gezogen. Denn: Sie war vom Teufel besessen. Sagte sie jedenfalls.

Marthe Brossiers Geschichte, welche die Neuzeithistorikerin Sarah Ferber von der University of Queensland in ihrem Buch »Demonic Possession and Exorcism in Early Modern France« beschreibt, begann in einem kleinen Dorf namens Romorantin, im heutigen Centre-Val de Loire. Um das Jahr 1598 herum zeigte die 26-jährige Marthe Anzeichen einer dämonischen Besessenheit. Ein Umstand, der ihre Familie und allen voran ihren Vater, einen erfolglosen Textilhändler, dazu brachte, den örtlichen Priester zu Rate zu ziehen. Der Gottesmann bestätigte prompt die Besessenheit.

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« in ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Womöglich entgegen heutiger Vorstellungen wollten Marthe und ihre Familie das Ganze nicht geheim gehalten. Stattdessen planten sie, den Teufel oder Dämon, der von Marthe Besitz ergriffen haben sollte, öffentlich auszutreiben.

Vom Teufel besessen begann sie zu orakeln

Die öffentlichen Exorzismen wuchsen sich bald zur Jahrmarktattraktion aus. Zwar ist unbekannt, wie sich die Besessenheit in jenen Wochen physisch bei Marthe manifestierte. Aber es ist überliefert, dass ihr die Dämonen hellseherische Fähigkeiten verliehen haben sollen. Die junge Frau trat bei den öffentlichen Spektakeln daher auch als Orakel auf.

So erklärte sie den Fragenden, ob die Seelen verstorbener Verwandter bereits im Himmel oder vielleicht doch noch im Fegefeuer weilten. Sie scheute aber auch nicht davor zurück, jene, die an ihr zweifelten, als Hugenotten zu beschimpfen oder sogar der Hexerei zu bezichtigen. Für uns eine glückliche Fügung – denn einer Anschuldigung zur Hexerei ist zu verdanken, dass wir überhaupt so viel über Marthe Brossier wissen.

Die orakelnde Besessene nannte eine gewisse Anne Chevriou, es war eine Nachbarin von Marthe, eine Hexe. Chevriou verbrachte daher einige Zeit im Gefängnis. Darüber erbost, schrieb sie einen Brief an den Bischof von Paris, Henri de Gondi (1572–1622), in dem sie ihn vor Marthe warnte und diese des Betrugs bezichtigte.

Die Teufelstruppe zog von Stadt zu Stadt

In der Zwischenzeit erwies sich der Ort Romorantin als eine zu kleine Bühne für Marthe Brossier und jene, die aus ihr Nutzen schlagen wollten. Gemeinsam mit ihrem Vater, ihrer Schwester Silvine und einem Würdenträger der lokalen katholischen Kirche begann sie, in benachbarten Städten aufzutreten. Den Anfang machte die Truppe in der etwa 60 Kilometer nördlich von Romorantin gelegenen Stadt Cléry. Danach zog sie weiter nach Orleans.

Bei den öffentlichen Zeremonien wurden auch einige der Dämonen identifiziert, von denen Marthe besessen gewesen sein soll. Einer davon war der heute oft synonym mit dem Teufel genannte Beelzebub, der Herr der Fliegen. Außerdem zertifizierten diverse Kirchenmänner Marthe ihre Besessenheit. Dazu las man der jungen Frau aus der Bibel vor, bespritzte sie mit Weihwasser und beobachtete dann die Reaktionen: Körperliche Verrenkungen, Tiergeräusche, wildes Augenrollen und selbst das Herausstrecken der Zunge reichten aus, um die Würdenträger zu überzeugen.

Und so sammelten Marthe und ihr Vater – mittlerweile von mehreren Exorzisten auf ihrer Tour begleitet – ein Zertifikat nach dem anderen, bis sie zu Höchstzeiten über 25 davon verfügten.

Nicht alle Menschen ließen sich täuschen

Natürlich gab es auch Zweifler. So untersuchten sie Mitglieder der Universität von Orleans. Sie lasen ihr unter anderem lateinische Nonsens-Texte vor, die nichts mit der Bibel zu tun hatten. Als Marthe daraufhin die üblichen Reaktionen zeigte, sahen die Gelehrten einen Betrug als erwiesen – ein in Orleans ursprünglich ausgestelltes Zertifikat wurde wieder zurückgezogen, öffentliche Exorzismen wurden Marthe verboten.

Das hielt die Frau jedoch nicht davon ab, weiter aufzutreten. Sie und ihre Entourage wechselten einfach den Ort. So landete die Truppe schließlich um Ostern des Jahres 1599 in Paris. Wahrscheinlich auch, weil sie der Kapuzinerorden eingeladen hatte. Denn im damals herrschenden Politklima Frankreichs kam den Kapuzinern jemand wie Marthe sehr gelegen.

Als Marthe Brossier nach Paris kam, war kurz zuvor das Edikt von Nantes in Kraft getreten. König Heinrich IV. (1553–1610) hatte es unterzeichnet, um die Hugenottenkriege zu beenden. Der Katholizismus wurde zur Staatsreligion gemacht, gleichzeitig wurden den Hugenotten weit reichende Rechte eingeräumt. Vielen religiösen Eiferern gingen diese Zugeständnisse aber zu weit, darunter auch den Kapuzinern.

Eine durchs Land ziehende Besessene, die bei öffentlichen Exorzismen vor großen Menschenmengen gegen die Hugenotten wetterte – das wollten sich die religiösen Hardliner nicht entgehen lassen.

Der Bischof von Paris prüfte die Besessenheit von Marthe Brossier

Die Auftritte zogen aber auch die Aufmerksamkeit der Kirche auf sich, vor allem jenes Bischofs, an den sich schon Marthes Nachbarin Anne Chevriou mit einem Brief gewandt hatte. Wie der König wollte er den noch wackligen Frieden nicht aufs Spiel setzen. Also versuchte er, die Machenschaften der Gruppe um Marthe Brossier einzudämmen.

Am 30. März 1599 berief Bischof Henri de Gondi eine Expertenkommission ein, die Marthe wieder einmal auf Herz und Nieren prüfen sollte. Den vielen Zertifikaten traute er nicht, vor allem weil die Gelehrten in Orleans ihr bereits eines aberkannt hatten. Zu den Experten gehört auch der Leibarzt des Königs, Michel Marescot (1539–1605), der viele Details über die neuerliche Untersuchung aufgeschrieben hat.

Wieder wurden religiöse Texte verlesen, Marthe musste Reliquien küssen und sogar die Nadelprobe machen. Dazu steckte man eine Nadel in Daumen und Zeigefinger, um zu sehen, ob es auch wirklich weh tat. Üblicherweise wurde dieser Test an Personen durchgeführt, die man der Hexerei verdächtigte. Was der humanistisch geprägte Marescot übrigens in seinem Text kritisierte.

Marthe Brossier und ihre Familie kamen ins Gefängnis

Das Urteil der Experten war eindeutig: »Nihil a daemone. Multa ficta. A morbo pauca.« Frei übersetzt: »Kein Teufel. Viel Betrug. Ein bisschen Krankheit.« Und so wurde am 5. April 1599 befohlen, Marthe und ihre Familie im Châtelet, dem an der Seine gelegenen Gefängnis, zu verwahren. Anderthalb Monate später wurde Marthe der Stadt verwiesen. Katholische Priester protestierten vor großen Menschenmengen gegen dieses Urteil, doch Marthe und ihre Entourage mussten nach Romorantin zurückkehren.

Zwar versuchte danach der Prior von St. Martin-de-Randan, Marthe für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Er wollte die junge Frau in Rom vor dem Papst exorzieren, doch der französische König intervenierte, das Unterfangen blieb erfolglos. Marthe und ihre Familie mussten Rom – mittlerweile völlig mittellos – wieder verlassen. Noch einmal tauchte sie im Jahr 1600 in Mailand auf, danach verliert sich ihre Spur. Es war das Karriereende einer Frau, die vermutlich auf Grund fehlender Perspektiven als Besessene auftrat und dabei von ihrem Vater und Geistlichen für deren politische Zwecke instrumentalisiert wurde.

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