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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte einer Hollywoodlegende, die Bluetooth nicht erfand

Hedy Lamarr war eine berühmte Schauspielerin. Fast bekannter ist sie heute als Erfinderin eines Funkverfahrens, auf dem angeblich Bluetooth basiert. Diese Episode, schreiben die »Zeitsprünge«-Kolumnisten, gehört aber ins Reich der Legenden.
Hedy Lamarr im Jahr 1944

Als Hedy Lamarr 1937 nach Hollywood kam, hatte sie bereits ein bewegtes Leben hinter sich: In Europa war die Österreicherin ein Operettenstar, dann hatte sie für eine der skandalträchtigsten Nacktszenen der Filmgeschichte gesorgt und war mit einem der größten Waffenhersteller Europas verheiratet gewesen. Nachdem sie diesen verlassen hatte, wollte sie in den USA noch einmal neu durchstarten. Das gelang ihr. Und offenbar nicht nur vor der Filmkamera. Zusammen mit dem Komponisten George Antheil (1900–1959) soll sie ein Funksystem erfunden haben, das bis heute von Bedeutung ist: nämlich für die Entwicklung der Datenübertragung per Bluetooth.

Aber alles der Reihe nach.

Lamarr wurde 1914 in Wien als Hedwig Kiesler geboren und wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf. Irgendwann beschloss sie, Schauspielerin zu werden. In Berlin lernte sie den Regisseur Max Reinhardt kennen und ergatterte Anfang der 1930er Jahre ihren ersten Filmauftritt. In ihrer ersten Hauptrolle in »Man braucht kein Geld« spielte sie 1932 an der Seite von Heinz Rühmann und Hans Moser. Ein Jahr später war sie im Film »Ekstase« zu sehen. Der Streifen löste einen der größten Skandale der Filmgeschichte aus. Lamarr war nicht nur nackt zu sehen, sondern sie spielte auch die erste bekannte Darstellung eines Orgasmus in einem nichtpornografischen Film.

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« in ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Dann hängte sie die Filmschauspielerei an den Nagel und machte sich einen Namen als Operettensängerin. Im Theater an der Wien spielte sie die Kaiserin »Sissy« und lernte dort ihren ersten Ehemann kennen: den Waffenhersteller Fritz Mandl, damals einer der reichsten Österreicher. Mit seiner Firma Hirtenberger Patronenfabrik hatte er nach dem Ersten Weltkrieg viel Geld damit verdient, die Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns mit Waffen und Munition zu versorgen. Nach der Verlobung und der Hochzeit 1933 gab Hedy Lamarr die Schauspielerei ganz auf. Doch bald schon bereute sie ihre Entscheidung – später beschrieb Hedy Lamarr ihre Zeit mit Mandl als »velvet prison«, als »samtenes Gefängnis«. 1937 beschloss sie, Mandl zu verlassen und wieder ins Schauspielgeschäft einzusteigen. Dafür plante sie ihre Flucht in die USA.

Ein neuer Stern in Hollywood – und eine Erfinderin?

Als Dienstmädchen verkleidet, verließ sie das Haus und traf sich in London mit dem Mann, der ihre Schauspielkarriere maßgeblich prägte: Louis B. Mayer (1884-1957). Mayer leitete eines der größten Filmstudios Hollywoods, die Metro-Goldwyn-Mayer (MGM), und war regelmäßig in Europa unterwegs, um neue Talente zu entdecken. Er nahm sie unter Vertrag und riet ihr zu einem neuen Namen. Fortan nannte sich Hedy Kiesler: Hedy Lamarr. In den nächsten Jahren stieg sie zur Stilikone auf, und MGM vermarktete sie als »schönste Frau der Welt«.

Wann und wie wurde Lamarr aber zur Erfinderin? Während des Zweiten Weltkriegs engagierte sie sich auf Seiten der USA. Zum Beispiel half sie, Kriegsanleihen, so genannte »war bonds«, an die Bevölkerung zu verkaufen. In den Medien bekam sie nun mit, dass es Schwierigkeiten beim Kampf gegen deutsche U-Boote gab. So ließen sich die US-Torpedos nicht präzise genug steuern. Gemeinsam mit dem Musiker George Antheil soll Lamarr eine Lösung entwickelt haben: eine Funksteuerung für Torpedos. Damit der Funkverkehr weder gestört noch gekapert werden konnte, verschlüsselten sie die Verbindung. Das Ergebnis war das Frequenzsprungverfahren. Bei der Funkübertragung wurde das Signal in unterschiedlichen Frequenzen gesendet, es sprang also von Frequenz zu Frequenz. Technisch beruhte die Idee auf dem »Ballet Mécanique« von Antheil. Dabei handelt es sich um eine Komposition für selbstspielende Klavierautomaten, so genannte Pianolas, die mit Lochstreifen bespielt wurden.

1942 erhielten Hedy Lamarr und George Antheil auf ihre Erfindung »Secret Communication System« vom National Inventors Council in Washington ein Patent. Darin ist erklärt, dass beim Sender und beim Empfänger Papierrollen mit den gleichen Lochmustern synchron abgespielt werden und so für den parallelen Wechsel der Frequenzen sorgen. 88 Frequenzen waren laut Patent vorgesehen – also genau die Zahl an Tasten eines Standardklaviers.

Ehrengrab von Hedy Lamarr | Auf dem Wiener Zentralfriedhof wurde ein Ehrengrab für die Schauspielerin angelegt, die im Jahr 2000 gestorben war. Die Metallskulptur soll das Frequenzsprungverfahren darstellen.

Das Patent blieb bis 1985 unter Verschluss. Doch die Tatsache, dass eine bekannte Hollywoodschauspielerin eine vielleicht kriegsentscheidende Erfindung machte, war ein großes Medienthema. Lamarr erschien damals als Erfinderin auf der Titelseite der »New York Times«. Was dabei jedoch häufig unerwähnt blieb: Das technische Teil des Patents stammte von George Antheil verfasst, wie es Lamarr auch in späteren Interviews schilderte.

Wie Lamarr zur Lady Bluetooth wurde

Haben die beiden mit dem Patent die Grundlagen für die moderne Kommunikation gelegt? Wird Hedy Lamarr also zu Recht als Lady Bluetooth gefeiert? Eher nicht. Die Erfindung geriet nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit. Auch Lamarr erwähnte sie nicht in ihrer Mitte der 1960er Jahre erschienen Biografie. Es könnte indes sein, dass der National Inventors Council den Namen der Schauspielerin nutzte, um für sich Werbung zu machen. Die Behörde prüfte Erfindungen, die einen militärischen Nutzen versprachen.

Hinzu kommt: Das Patent ging nie in eine Produktion ein, zumal die mechanische Papierrollensteuerung in den 1940er Jahren keine Neuheit war. Michaela Lindinger, Kuratorin am Wien Museum, hat eine lesenswerte Biografie über Hedy Lamarr geschrieben. Sie sprach mit Experten, wie das Frequenzsprungverfahren wissenschaftlich einzuordnen sei. Die Antwort lautete, dass Lamarr und Antheil mit ihrem Vorschlag quasi versucht hätten, einen elektronischen Computer bauen, der von einer mechanischen Dampfmaschine angetrieben wird. Die heutige drahtlose Kommunikation hat also wenig mit dem Patent von 1942 zu tun – auch wenn die Frequenzspreizung heute eine wichtige Rolle in der digitalen Kommunikation spielt, etwa für Bluetooth-Verbindungen oder GSM. Bei Lamarrs und Antheils Patent handelte es sich aber um eine rein elektromechanische Umsetzung des Frequenzsprungs.

In den 1990er Jahren wurde das Patent wiederentdeckt und Hedy Lamarr als Pionierin der digitalen Kommunikation gefeiert. 1997 erhielt sie dafür den Electronic Frontier Foundation Pioneer Award. Die Schauspielerin starb im Jahr 2000. Am Wiener Zentralfriedhof legte man für sie ein Ehrengrab an. Darauf steht eine moderne Skulptur, die das Frequenzsprungverfahren darstellt. In den letzten Jahren mehrten sich die Erinnerungen an Lamarr als Erfinderin: Der Tag der Erfinderinnen und Erfinder im deutschsprachigen Raum ist ihr Geburtstag, der 9. November, und die Stadt Wien vergibt seit 2018 den Hedy-Lamarr-Preis an österreichische Forscherinnen für herausragende Leistungen im Bereich neuer Informationstechnologien. Die Biografin Michaela Lindinger ist überzeugt, dass Lamarrs Ehrung eigentlich das Gegenteil bewirke – es sei »ein Schlag ins Gesicht all jener Frauen, die sich ernsthaft und wissenschaftlich fundiert auf (noch immer) männlich dominierten Gebieten wie Mathematik, Physik, Chemie und Technik im weitesten Sinn hervorgetan haben«.

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