Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte einer Immobilien-Imperatorin in Pompeji
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Es war ein Tag im Oktober 79 n. Chr., der das Schicksal der Stadt Pompeji besiegeln sollte. Schon Tage zuvor hatten die Menschen seltsame Erschütterungen gespürt und ein Grollen aus dem Berg vernommen, der wie ein stummer Wächter über der Stadt thronte – der Vesuv. Als ebenjener Vesuv dann ausbrach, stieg eine riesige Aschewolke bis zu 30 Kilometer hoch in den Himmel auf. Aus der Ferne ähnelte die Rauchsäule einer Pinie. Für die Menschen der Stadt war sie der Vorbote ihres Untergangs.
Was folgte, war eine unvorstellbare Katastrophe. Heißer Ascheregen fiel herab, Gesteinsbrocken zerstörten Dächer und Gebäude, das Atmen fiel immer schwerer. Menschen versuchten, ihr Hab und Gut zu retten oder Schutz in ihren Häusern zu suchen – viele von ihnen vergebens. Berge von Bims überragten bald die Gebäude. Innerhalb von etwa 20 Stunden war das Leben in Pompeji vollständig ausgelöscht. Die Stadt und ihre Nachbarorte am Golf von Neapel lagen unter einer dicken Schicht Vulkangestein begraben.
Erst im 18. Jahrhundert, als Neapel unter der Herrschaft des späteren Bourbonenkönigs Karl III. stand, wurde Pompeji wiederentdeckt. Die ersten Ausgräber, die im Auftrag des Königs weniger nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern mehr nach Schätzen suchten, brachten langsam eine Stadt zum Vorschein, die in der Zeit eingefroren schien. Die Ausgrabungen förderten allerdings nicht nur prachtvolle Villen und Tempel zu Tage, sondern auch die Überreste des Alltagslebens – darunter Gebäude, die die Geschichte der Mittelschicht erzählen, einer Gesellschaftsgruppe, die in historischen Quellen selten zu Wort kommt.
Zu dieser Schicht zählte vermutlich auch eine Frau namens Julia Felix. Über ihre Herkunft gibt es keine verlässlichen Quellen, doch ihre Namen könnten bedeuten, dass sie ein uneheliches Kind war oder aus der Familie eines frei gelassenen kaiserlichen Sklaven stammte. Sicher ist jedenfalls: Sie besaß in Pompeji einen großen Gebäudekomplex, dessen Vermarktung ihr offenbar einen beachtlichen Wohlstand verschaffte.
Eine Römerin mit Geschäftssinn
Das Anwesen der Julia Felix, in dem sie selbst wohl einen kleineren abgeschotteten Bereich bewohnte, bestand aus mehreren Läden, Wohnbereichen, einer Taverne und einer luxuriösen Therme – und, wie eine neben dem Haupteingang aufgemalte Inschrift verrät, plante sie, die Anlage für die Dauer von fünf Jahren zu vermieten. Was uns diese Anzeige auch zeigt: Julia Felix verwaltete ihr Eigentum ohne die Aufsicht eines männlichen Vormunds – eine Seltenheit in der antiken Welt, in der Frauen meist nur eingeschränkt rechtliche Befugnisse hatten.
Die Historikerin Emma Southon, die in ihrem Buch »A History of the Roman Empire in 21 Women« die Geschichte der Julia Felix erzählt, vermutet, die Mittelschicht der römischen Gesellschaft machte es den Frauen etwas leichter. Die strengen Regeln, die ihnen häufig einen männlichen Vormund aufzwangen, wurden in dieser sozialen Schicht womöglich weniger strikt angewendet als in anderen Gruppen. Julia Felix könnte ein Beispiel dafür sein, dass Frauen auch abseits der Elite größere wirtschaftliche Freiheiten genossen, als es in den Gesetzestexten oder den Werken antiker Autoren festgehalten worden war.
Worüber die Schriftquellen schweigen, erzählen im Fall der Julia Felix die erhaltenen Gemäuer von Pompeji. Die Immobilienbesitzerin verfügte über ein riesiges Anwesen. Besonders beeindruckend dürfte die Therme gewesen sein, die weit mehr und viel größer als ein privates Bad war. Mit großem Schwimmbecken und allen Arten von Baderäumen ausgestattet, war sie ein Ort des Rückzugs und der Erholung, der zahlenden Besuchern einen Hauch von Luxus bot. In Pompeji waren öffentliche Bäder Teil der Infrastruktur – doch kaum jemand war vermögend genug, in seinem Haus eine Badeanlage einzurichten. Auch Julia Felix musste den Besitz der Therme offenbar durch Vermietung finanzieren. Dabei richtete sie sich an eine wohlhabende Kundschaft, die bereit war, für Privatsphäre und Komfort mehr zu bezahlen: kunstvolle Wandmalereien, ein prächtiger Garten mit einem kleinen Kanal und Säulengängen sowie große Fenster, die einen Blick ins Grüne gewährten.
Der gesamte Komplex war so konzipiert, dass die Bediensteten, die den Betrieb der Therme sicherstellten, vor den Gästen möglichst unsichtbar blieben. Dieser architektonische Kniff zeigt: Julia Felix wollte ihren Besuchern nicht nur Entspannung, sondern auch Exklusivität und Abgeschiedenheit bieten – etwas, was in den großen, oft überfüllten öffentlichen Bädern kaum möglich war.
Kunden, Händler, Marktgeschehen
Zu den außergewöhnlichen Funden im Anwesen der Julia Felix zählt ein Fresko, das den überdachten Lichthof in einem Eingangsbereich des Anwesens schmückte. Die Wandmalereien, von denen ein Teil heute im Neapler Nationalmuseum ausgestellt ist, zeigen lebendige Szenen vom Alltag auf dem Forum von Pompeji. Man sieht keine reichen Patrizier in weißen Togen, sondern Menschen in farbenfrohen Tuniken. Sie handeln, plaudern und begutachten Waren – es ist das Bild einer Mittelschicht, die das wirtschaftliche und soziale Leben der Stadt prägte.
Auf dem Fresko sind auch Frauen abgebildet, die allein oder mit ihren Kindern einkaufen und mit Händlern feilschen. Die Darstellungen geben eine Seite des römischen Alltags wieder, die Schriftquellen kaum erwähnen: das Leben der Handwerker, Händler und ihrer Kundschaft.
Diese Bilder gewähren einen Blick in das soziale Gefüge Pompejis und zeigen, welche – vor allem auch wirtschaftliche – Rolle die Menschen der Mittelschicht spielten. Sie lebten zwar nicht in bombastischen Villen, doch sie genossen genug Wohlstand, um sich einen gewissen Luxus leisten zu können, wie zum Beispiel den Besuch in der Therme der Julia Felix.
Das Ende von Pompeji, das letzte Kapitel der Julia Felix?
Über das persönliche Schicksal von Julia Felix nach dem Ausbruch des Vesuvs ist wenig bekannt. Bei den Ausgrabungen wurde allerdings im Garten des Anwesens das Skelett einer Frau gefunden, die vermutlich auf dem Weg zu einem kleinen Altar der Göttin Isis starb. Die Frau hatte wertvollen Schmuck bei sich getragen. Vielleicht war es Julia Felix gewesen. Und vielleicht hatte sie versucht, in den Momenten nach dem Vesuvausbruch noch wertvolle Gegenstände zu retten, bevor der Ascheregen sie einholte.
Wir wissen natürlich nicht, ob es wirklich Julia Felix war, die dort im Garten starb. Möglicherweise entkam sie der Katastrophe – und damit auch den Augen der Archäologen.
Ihr Vermächtnis in Form des Gebäudekomplexes zeigt aber, dass wirtschaftlicher Erfolg und unternehmerische Tätigkeit für Frauen im antiken Rom möglich waren – zumindest für jene, die nicht der Elite angehörten. Zugleich bezeugt ihr Anwesen die bedeutende Rolle der Mittelschicht in Pompeji, die Julia Felix womöglich den nötigen Freiraum bot, eine selbstständige Geschäftsfrau zu sein. Vielleicht ein Grund, weshalb sie jene Menschen an den Wänden ihres Anwesens verewigte.
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