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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte eines deutschen Auswanderers, der Hollywood erfand

Carl Laemmle emigrierte in die USA und brach Edisons Film-Monopol. Die »Zeitsprünge«-Kolumnisten über einen Studioboss, der die Frühphase der Filmindustrie maßgeblich prägte.
Das berühmte Schild in den Hollywood Hills

Wer Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA in der Filmbranche groß rauskommen wollte, musste nach New Jersey gehen, genauer gesagt nach Fort Lee. Hier und nur hier lag, durch den Hudson River vom Broadway und Manhattan getrennt, das Zentrum der amerikanischen Filmindustrie. Dass man heute dort große Studios vergeblich sucht, hängt eng mit dem Wirken eines deutschen Auswanderers zusammen.

Carl Laemmle, 1867 in Laupheim (heute Baden-Württemberg) geboren, schiffte sich 1884 in Bremerhaven ein. Wie viele Auswanderer jener Zeit hoffte er auf ein besseres Leben in den USA. Von New York aus verschlug es ihn nach Chicago, wo er die Nickelodeons kennen lernte. Nickelodeons waren eine Frühform des Kinos. Bezahlt wurde ein Nickel, das entspricht fünf Cent, und dafür gab es kurze Filme zu sehen.

Das Filmmonopol von Thomas Edison wird zerschlagen

Laemmle, fasziniert von der neuen Form der Unterhaltung, beschloss, ins Filmgeschäft einzusteigen. 1906 eröffnete er in Chicago sein erstes Kino: das White Front Theatre. Und die Nickelodeons boomten. Zwei Jahre später gehörte ihm schon die Hälfte der Kinos in der Stadt. Doch bald stieß er an Grenzen. Er hatte zwar inzwischen auch einen eigenen Filmverleih, aber es kam häufig zu Engpässen. Und Film war teuer. In der Frühzeit des US-amerikanischen Films lagen die meisten wichtigen Patente bei Thomas Edison. Der verlangte für jeden Film hohe Lizenzgebühren und setzte mit der 1908 gegründeten, »Trust« genannten Motion Picture Patents Company sein Monopol rigoros durch. Sein Ziel war es, das komplette Filmgeschäft zu kontrollieren. Beispielsweise durften Filme nur mit Kameras gedreht werden, die er entwickelt hatte und die er für teures Geld verlieh.

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« in ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.
Alles begann mit den Nickelodeons | Für wenig Geld konnte man in diesen Filmtheatern in den Genuss des neuen Mediums Bewegtbild kommen: 5 Cent, oder einen Nickel, kostete der Eintritt. Dafür durften die Ansprüche allerdings nicht allzu hoch sein. Dieses Bild stammt aus dem Jahr 1910.

Für seinen gerade sehr erfolgreich aufgebauten Filmverleih plante Laemmle aber auch, eigene Filme zu drehen, und zwar nach Möglichkeit ohne dabei die kostspieligen Lizenzgebühren zu zahlen. Das brachte ihn freilich auf direkten Konfrontationskurs mit dem Trust. 1910 gründete Laemmle die Filmproduktionsfirma Independent Moving Pictures Company, die passenderweise einen kleinen Teufel in ihrem Logo trug. Als Independents wurden in der Folge alle bezeichnet, die sich dem Monopol der Motion Picture Patents Company widersetzten. Um das Edison-Monopol zu umgehen, besorgte sich Laemmle Equipment außerhalb der USA und wich für Dreharbeiten auch mal nach Kuba aus. Doch das half nichts: Edison überschüttete Laemmle mit Klagen und versuchte, Dreharbeiten zu verhindern. Und das nicht immer mit legalen Mitteln. Es kam auch vor, dass der Trust Schlägertrupps losschickte, die nicht nur Kameras zertrümmerten, sondern auch die Filmteams bedrohten.

Nach fast 300 Prozessen wurde der Trust schließlich vom Obersten Gerichtshof für illegal erklärt und 1915 zerschlagen – erst das ermöglichte den Aufbau der Filmindustrie. Das von Carl Laemmle betriebene Ende des Edison-Monopols wird häufig auch als die Geburtsstunde Hollywoods bezeichnet.

Zwei Neuerungen bescherten den Independents große Erfolge: Zum einen drehten sie nun abendfüllende Spielfilme, zum anderen sorgten sie dafür, dass die darin auftretenden Schauspieler zu Stars wurden. Während in den Nickelodeons mit ihren Kurzfilmen die Darsteller am Ende nicht einmal namentlich genannt wurden, lockten die Independents bald seine Zuschauer mit bekannten Namen in die Säle. Aber gedreht wurden die Filme immer noch anderswo. Das änderte sich jetzt: Laemmle wollte nicht nur weit weg von Edisons Einfluss, er erkannte die Vorteile Kaliforniens für Filmdrehs.

Niedrige Löhne, dafür viel Sonne

Carl Laemmle um das Jahr 1930 | Der Filmmogul gründete die Universal Film Manufacturing Company, heute als Universal Studios bekannt. Das erste dieser Studios stand in den Hollywood Hills.

1912 tat sich Laemmle mit weiteren unabhängigen Produzenten zusammen und gründete die Universal Film Manufacturing Company, heute bekannt als Universal Studios. Er übernahm die Leitung und verlegte den Produktionsort von der Ost- an die Westküste der USA. Das senkte die Kosten für das teure Filmgeschäft: In Kalifornien waren die Löhne niedriger, und das sonnigere Wetter erlaubte mehr Drehtage im Jahr. In einer ausgestorbenen Gegend bei Los Angeles kaufte Laemmle eine Farm und richtete einen Studiobetrieb ein – das älteste Filmstudio Hollywoods.

In den folgenden Jahren professionalisierte er das Filmgeschäft, das nun zu einer echten Filmfabrik wurde. In den 24 Jahren, die er Universal leitete, produzierte Laemmle über 1500 Filme, im Schnitt also mehr als einen pro Woche. Die Zelluloid-Massenware lieferte man wöchentlich an die Kinos. Auch Walt Disney begann seine Karriere bei Laemmle, wo er mit seinem Kollegen Ub Iwerks die Cartoon-Figur Oswald, the Lucky Rabbit erfand. Nach einem Streit verließen die beiden aber Universal und schnitten der Figur die Ohren ab – und so wurde aus dem Hasen eine Maus.

Im Sunshine State ließ sich leichter drehen | 1915 stellte der frisch gegründete Zusammenschluss unabhängiger Produktionsfirmen ein erstes Studio in die Einöde um Los Angeles. Es wurde die Keimzelle der Traumfabrik Hollywood.

Nachdem Universal in den 1920er Jahren die Filmindustrie dominiert hatte, kamen wirtschaftlich schwierigere Zeiten. 1936 verlor Laemmle auf Grund eines Kreditgeschäfts Universal und trat als Studioboss zurück.

Filmpionier als Lebensretter

In Deutschland geriet der Auswanderer nach seinem Tod 1939 in Vergessenheit. Erst ab den 1980er Jahren setzte das Interesse an ihm wieder ein. Dabei wurde außerdem bekannt, dass Laemmle nach seiner Zeit bei Universal Juden und Jüdinnen vor dem NS-Terror rettete. Er hat Bürgschaften übernommen, damit sie in die USA auswandern konnten. Mit diesen so genannten Affidavits hat er mindestens 300 Menschen das Leben gerettet.

Heute erinnert auch ein Stern auf dem Walk of Fame in Los Angeles auf dem Hollywood-Boulevard an den Filmpionier aus Laupheim bei Ulm, der in den kargen Hügeln Kaliforniens den Grundstein für eine Traumfabrik legte.

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